Eine verkehrte und gar »undankbare Südtiroler Welt« sieht Südtirol Online in Zusammenhang mit der gesamtstaatlichen Corona-Studie, die vom Istat durchgeführt wird. Fast die Hälfte (45%) der kontaktierten Südtirolerinnen habe abgelehnt, daran teilzunehmen.
Der zuständige Landesrat, Thomas Widmann (SVP), wird vom Onlineportal folgendermaßen zitiert:
Schon erstaunlich. Zuerst hat die ganze Bevölkerung [?] allerorten Tests gefordert. Jetzt wird getestet, aber Testmöglichkeiten werden nicht angenommen. Dabei geht es um eine ganz wichtige wissenschaftliche Studie. Eine Studie, die einer ganzen Bevölkerung Sicherheit gibt. Aber dies wird hintangestellt aus Angst vor möglicherweise 2 Wochen Quarantäne. Ein Infizierter, der nicht zum Test geht, würde einen nicht wiedergutzumachenden Schaden für Südtirol anrichten. Das ist nicht Verantwortungsbewusstsein. Ich verstehe, dass der eine oder andere nicht im Lande ist oder keine Zeit hat, aber diese Menge ist für mich verwunderlich. Es geht hier nicht um den Einzelnen, es geht um Südtirol.
Wer sich bei einem positiven Test nicht in Quarantäne begäbe, wäre wirklich verantwortungslos. Doch darum geht es hier eigentlich gar nicht. Nicht zu berücksichtigen scheint der Landesrat mindestens zwei weitere Szenarien: Erstens dürften nicht wenige Angst haben, sich im Rahmen der Testung zu infizieren. Dies ist eine hoffentlich unbegründete, aber durchaus nachvollziehbare Befürchtung. Zweitens wollen sicher viele nicht das Risiko eingehen, sich bei einem zweifelhaften Ergebnis zwei Wochen wegsperren lassen zu müssen — eine Maßnahme, die möglicherweise auch auf andere Mitglieder des eigenen Haushalts ausgedehnt werden könnte.
Was dies bedeutet, durfte ich nach meiner Rückkehr aus dem Ausland (am 21. April) persönlich erfahren, obschon mir zuvor (fälschlicherweise) mitgeteilt worden war, dass eine Isolation bei Rückkehr aus beruflichen Gründen nicht mehr vorgeschrieben sei: Es ist nicht nur wie ein gewöhnlicher Hausarrest, der nicht von ungefähr als eine Form der Freiheitsstrafe gilt, sondern ein Hausarrest unter verschärften Bedingungen:
- Selbstüberwachung des Gesundheitszustands, einschließlich regelmäßiger Messung der Körpertemperatur (zweimal täglich zu vorgegebener Uhrzeit);
- Regelmäßige Mitteilung der Ergebnisse an das Gesundheitsamt;
- Keine Besuche anderer Personen, Einhaltung von Abständen zu Personen des eigenen Haushalts;
- Rückzug in ein Einzelzimmer, falls die Maßnahme nicht sämtliche Mitglieder des Haushalts gleichzeitig betrifft;
- Benützung eines gesonderten Badezimmers und — falls nicht möglich — systematische Desinfektion nach Benützung.
- Einnahme von Mahlzeiten getrennt von anderen Personen;
- Lieferung von Lebensmitteln, Medikamenten und anderen Einkäufen vor die Haustür;
- Sonderbehandlung der Abfälle (doppelt einpacken, gut verschließen, keine Mülltrennung);
- Neuntägige Quarantäne für Wäsche, die nicht bei 60-90 Grad gewaschen werden kann.
Dass dieses Szenario — überdies im möglicherweise unbegründeten Verdachtsfall — für sehr viele Menschen abschreckend wirken, ja gar gesundheits- und existenzgefährdend sein kann, ist für mich sehr gut nachvollziehbar. Dabei hatte ich noch das »Glück«, dieser Maßnahme zu einem Zeitpunkt unterworfen worden zu sein, als das öffentliche Leben ohnehin deutlich eingeschränkt war. Zudem kann ich in meinem Beruf ziemlich viel in Heimarbeit erledigen.
Dem Risiko, diese Erfahrung jetzt wiederholen zu müssen, würde ich mich aber ungern aussetzen.
Die Gefahr einer ungerechtfertigten Quarantäne zu entkräften ist den zuständigen Behörden bisher auch gar nicht gelungen. Ich halte es also für höchst unangemessen, wenn Landesrat Widmann Menschen, die sich dieser potenziellen Belastung nicht aussetzen möchten, als verantwortungslos und unsolidarisch brandmarkt.
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