Eine mehrsprachige Schule wird in Südtirol seit Langem gefordert, in verschiedenster Gestalt. Mehrsprachige Schulen sind modern und trendy. Wohlfeil ist das Etikett „europäisch“, obwohl sich darunter gemeinhin nur ein massiver Einsatz von Englisch als Unterrichtssprache verbirgt. Das macht uns zwar fit für die Globalisierung, aber ist die Schule dann schon „europäisch“? Der letzte Vorschlag in diese Richtung stammt vom Team K, das mit einem Beschlussantrag (im Landtag am 4. Februar 2020) eine „Europäische Schule“ für Südtirol fordert. Damit soll die Mehrsprachigkeit gefördert und den Schülern eine Gelegenheit geboten werden, in ein mehrsprachiges Umfeld einzutauchen. Die Europäische Schule, betonte Einbringer Alex Ploner bei der Vorstellung des Beschlussantrags am 31. Jänner 2020, „würde die derzeitige Struktur des Schulwesens nicht verändern, sondern ein zusätzliches Angebot zum heute bestehenden schaffen.“ Auch eine Änderung von Art. 19 des Autonomiestatuts sei nicht nötig. Passt eine solche Schulform für Südtirol und würde sie das heutige System optimal ergänzen? Hier sechs Einwände:
- Europäische Schulen sind seit 1953 dort gegründet worden, wo EU-Institutionen ihren Standort haben, sind ganz eigene Rechtssubjekte und bis heute im Kern Schulen für die Mitarbeiterinnen dieser EU-Einrichtungen. Die Lehrpersonen stammen von den nationalen Schulbehörden, die Schulen werden von den EU-Staaten getragen und finanziert. Südtirol hat keine EU-Institution und keine bunte Eurokratenschar zu bedienen. Wozu also eine solche Schule?
- Das Team K bezieht sich in seinem Vorschlag vor allem auf sogenannte „Anerkannte Europäische Schulen“. Als solche können auch nationale Schulen akkreditiert werden, sofern sie den pädagogischen Anforderungen von Europäischen Schulen entsprechen. Sie sind aber vollständig Teil des nationalen Bildungssystems und haben mit der EU finanziell und administrativ nichts zu tun. Wiederum stehen die zwölf heute in der EU existierenden Schulen dieser Art fast ausschließlich an Standorten von EU-Institutionen. Im Rahmen des Südtiroler Schulsystems würde eine solche Schule sowohl administrativ wie inhaltlich aus der Reihe fallen und eine eigene rechtliche Regelung erfordern.
- Nur um mehr Fremdsprachen einzusetzen, braucht keine Südtiroler Schule sich als „Europäische Schule“ anerkennen zu lassen. So steht z.B. in der Bozner Pascoli-Oberschule so viel CLIL auf dem Programm, dass sie klassische „Europäische Schulen“ schon übertrifft, die im Wesentlichen muttersprachliche Sektionen haben. Ohne trendiges Etikett steht es den Südtiroler Schulen heute schon frei, mehr Sachfachunterricht in zwei anderen Sprachen einzuführen oder einfach nur den Fremdsprachenunterricht zu verbessern.
- Im Kern sind Südtirols Schulen aller drei Sprachgruppen im Grunde schon ziemlich „europäisch“ im Sinne der EU-Vorgabe Muttersprache +2. L2 und L3 werden hierzulande mehr und besser gelernt als in vielen Ländern Europas, ganz zu schweigen von anderen Regionen Italiens (mit Ausnahme des Aostatals). Wenn das Team K hingegen unter dem Etikett „europäisch“ eigentlich internationale Schulen mit sehr viel Englisch als Unterrichtssprache anstrebt, sollte es das sagen. Das käme dann den Wünschen des Unternehmerverbandes (UVS) entgegen, der Spezialschulen für seine auswärtigen Mitarbeiter fordert, nicht aber einer eigenständigen Bildungspolitik.
- Das Team K behauptet, dass „Europäische Schulen“ keine Änderung von Art. 19 des Autonomiestatuts erfordern würden (zwei eigenständige muttersprachliche Schulsysteme plus das in den ladinischen Ortschaften). Dies trifft zum Teil zu, weil interessanterweise auch in den Europäischen Schulen vorwiegend in der Muttersprache der Jugendlichen unterrichtet wird. Zum Teil aber nicht, weil in einigen Fächern gemeinsamer Unterricht für alle in anderen Sprachen stattfindet. Ein solch zusätzliches Angebot ins Südtiroler Bildungssystem einzufügen, geht nicht ohne Änderung des Statuts.
- Schließlich die Frage der „Ergänzung des bestehenden Schulsystems“ durch eine Europäische Schule. Zum ersten genügt nicht die Einführung einer einzigen Schule dieser Art (Alex Ploner will sie am besten im Bozner Bahnhofspark platzieren), denn in Südtirol gibt es ein gutes Dutzend Oberschultypen. Warum sollte ein Realgymnasium nach diesem Modell funktionieren, eine Fachoberschule für Wirtschaft aber nicht? Warum sollte eine Europäische Schule nur für die Bozner geschaffen werden, und nicht auch für alle übrigen Landesteile? Damit zum zweiten Bedenken: ganz neue Schulformen mischen ein bewährtes System unnötig auf. „Ergänzung“ geht nicht. Alles, was die Einführung einer neuen Schulform bewirken würde, ist eine ruinöse interne Konkurrenz, wie dies Simon Constantini schon 2016 in seinem Beitrag „Zweisprachige Schule – Individuum und Gesellschaft“ zum Buch „Mehr Eigenständigkeit wagen“ ausgeführt hat. Überdies ist das Team K den Nachweis schuldig, dass die heutige Südtiroler Schule zu geringe Qualität und zu geringe Fremdsprachenkenntnisse produziert.
Die Schlussfolgerung zum Vorstoß des Team K liegt somit auf der Hand. Südtirol braucht keine „Europäische Schule“. Unser Land ist weder Brüssel noch Luxemburg, weder eine Finanzmetropole noch eine Großstadt mit tausenden Businessnomaden. Seinen Bedarf an Erlernung der Zweit- und von Fremdsprachen kann Südtirol auch mit dem heutigen Schulmodell decken. Warum sollte ein Schulmodell, das für eine sprachlich heterogene Zielgruppe wie das EU-Personal an Standorten von EU-Einrichtungen passt, für Südtirol und seine besondere Minderheitensituation passen? Und warum sollten Südtirols Jugendliche normaler Oberschulen plötzlich mit Absolventen solcher Schulen konkurrieren müssen, wenn im gesamten deutschen Sprachraum nur ein Modell — die muttersprachliche Schule mit L2 und L3 als Fremdsprache — Standard ist? Wer denkt in Nordtirol, Graubünden oder Bayern daran, aus wirtschaftlichen Gründen eine öffentliche „Europäische Schule“ in Konkurrenz zum bestehenden Schultyp einzurichten? Warum sollte unser heutiges Erfolgsmodell muttersprachlich eigenständiger Schulen ohne Not aufgegeben werden oder halt einer internen Konkurrenz durch ein „ergänzendes Schulangebot“ ausgesetzt werden?
Dieser Beitrag wurde am 3. Februar 2020 vom Autor überarbeitet und ergänzt.
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