Soll Tolomei einen späten Triumph erhalten, indem flächendeckend alle Wegschilder des AVS zweinamig gefasst werden müssen? Oder sollen zumindest die Wanderer und Bergsteiger vom Unfug der Tolomeischen Fantasienamen verschont bleiben? Jahrzehntelang haben sich weder die italienischen Mitbürger noch die Urlaubsgäste an den einnamigen Wegweisern gestoßen. Erst die Digitalisierung der Wanderrouten durch den AVS hat der italienischen Rechten den Anlass geliefert, einen Angriff gegen dieses Refugium gewachsener Ortsnamen zu starten. Statt Tolomeis Prontuario im öffentlichen Gebrauch aufs unvermeidliche Minimum zu reduzieren, statt eine Lösung im Einklang mit internationalen Standards des Minderheitenschutzes bei der Ortsnamengebung zu suchen, soll das Tolomei-Erbe bis aufs letzte Hinweisschild im hintersten Bergtal ausgedehnt werden, obwohl fast kein Italiener diese Namen kennt oder jemals verwendet hat. Sogar ein Ultimatum meinte Regionenminister Fitto dafür setzen zu müssen: eine Revanche der italienischen Rechten gegen die langjährigen Bestrebungen der Südtiroler, zumindest einen Teil der Tolomei-Namen ins Kuriositätenfach der Geschichte zu entsorgen? Dazu kommen konnte es freilich nur, weil das Land die Materie seit Jahrzehnten vor sich herschiebt und nicht in der Lage war, durch ein klares Landesgesetz den vom Autonomiestatut erlaubten Spielraum vor dem Verfassungsgericht auszuloten.
Dabei könnten einnamige Wegschilder, versehen mit den italienischen geografischen Bezeichnungen (Berg, Bach, Alm usw.), Teil der Südtiroler kollektiven Erinnerung sein. Die AVS-Schilder erinnern die italienischen Gäste und Mitbürger daran, dass hier die allermeisten Flur- und Ortsnamen einnamig deutsch oder ladinisch waren, bis es einem Roveretaner Fanatiker eingefallen ist, sich am Schreibtisch 8000 Namen aus den Fingern zu saugen und per Dekret Mussolinis einem ganzen Land aufzustempeln. Es war ein Projekt der kulturellen Kolonisierung und wird der deutschen Sprachgruppe als solches in Erinnerung bleiben. Wie die nicht durch Kontextinformationen relativierten faschistischen Denkmäler sind sie ein penetrant störendes Element im Zusammenleben der Sprachgruppen. Ein sprachgruppenübergreifender Widerstand gegen den Tolomei-Unfug aus Einsicht in die Revidierbarkeit einer kulturpolitischen Aggression der Vergangenheit ist in Südtirol nie entstanden, doch auch eine Kompromisslösung etwa im Sinne der Prozentlösung der fünf Vereine oder des Durnwalder-Vorschlags zur Regelung der Mikrotoponomastik auf Gemeindeebene wird nicht ohne deutlicheres Engagement gelingen.
Dass die italienische Rechte und PDL-Minister diese Linie fahren, kann niemanden überraschen, bietet doch der Symbolgehalt von Namen und Denkmälern den klassischen Stoff für nationalistische Stimmungsmache. Dass sich der CAI für 7000 solcher Namen stark macht, ist aber wenig angetan, die Stimmung zwischen deutsch- und italienischsprachigen Bergfreunden zu verbessern. Traurig schließlich, dass die Grünen und der PD sich für das Ansinnen der Durch-Tolomeisierung der Landschaft hergeben. Die Grünen müssen sich fragen, ob solche Positionen mit der Tatsache in Zusammenhang stehen, dass es landesweit nur mehr 20 grüne Gemeinderäte gibt. Der PD, offensichtlich gefangen in der italienischen Wahlarithmetik, glaubt, dass jegliches Nachgeben bei den Ortsnamen als Kniefall gegenüber der deutschen Sprachgruppe ausgegeben wird und nicht als Akt kulturpolitischer Vernunft. Um keine Stimmen zu riskieren, lässt man sich die Position von der italienischen Rechten diktieren. Für die italienische “società civile” Südtirols bleibt es ein Armutszeugnis, die Tolomei-Namen auf allen Wegweisern im Land durchsetzen zu wollen. Diesen kulturpolitischen Unfug einzudämmen wäre ein wichtiger Schritt zur gemeinsamen Beheimatung der Sprachgruppen in diesem Land, nicht seine Ausweitung und Perpetuierung.
*) Thomas Benedikter ist Wirtschafts- und Sozialforscher in Bozen. Er ist u. a. Autor von »Autonomien der Welt« (Athesia, Bozen 2007) und »The World’s Working Regional Autonomies« (Anthem, London/Neu-Delhi 2007).
PS: Sollten, wie der HGV dies vorschlägt, auf den künftigen Wegschildern auch englische geografisch-technische Bezeichnung Platz finden, wäre ich absolut für die Ergänzung mit chinesischen Bezeichnungen. Wie kann man es bloß den Angehörigen dieser großen Kulturnation, zahlreiche und zahlungskräftige Touristen der Zukunft, zumuten, “Tal”, “Alm” und “Berg” in einer Fremdsprache lesen zu müssen?
Dieser Beitrag ist auch in der aktuellen Ausgabe des Wochenmagazins ff erschienen.
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