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Beschmierte Girlaner Ortstafel.
Auf Differenzierungsentzug

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ai

Am 25. Jänner wurde in der Gemeinde Eppan eine Ortstafel beschmiert, wobei der italienisch klingende Name von Girlan übermalt wurde. Ob es sich bei dieser Sachbeschädigung um eine rassistische antiitalienische Aktion oder um einen misslungenen Akt zivilen Widerstands gegen die aufgezwungene, künstliche Zwei- und Dreinamigkeit handelt, ist schwer feststellbar. Die Indizien sprechen für ersteres.

Ziviler Widerstand gegen das Erbe von Tolomei wäre meiner Meinung nach legitim. Umso mehr, als der Südtiroler Landtag vor wenigen Jahren sprachgruppenübergreifend ein Ortsnamengesetz beschlossen hatte, das dann — auf Zuruf post- und neofaschistischer Kräfte! — von Rom hintertrieben wurde.

Doch um seinen Zweck zu erfüllen, hätte der Akt sich auf die Toponyme beschränken müssen, wohingegen zweimal auch der Zusatz »Comune di« ausgelöscht wurde. Unter Umständen hätte zudem das historisch gewachsene »Appiano« verschont werden müssen.

Anlass für dieses Posting ist aber auch ein Artikel von Teseo La Marca auf Barfuss, wo sonst meist wohltuend unvoreingenommen argumentiert wird. In diesem Fall jedoch werden die Ebenen derart durcheinandergeschmissen, dass eine Rückkehr der Diskussion in einen überwunden geglaubten, undifferenzierten Grabenkampf droht. 

Drei Gründe nennt La Marca, warum nicht »allein die deutschen und ladinischen Orts- und Flurnamen […] historisch gewachsen [sind] und somit eine Existenzberechtigung [haben]«. Schon diese Prämisse ist falsch, denn das behauptet eigentlich niemand.

Aber sehen wir uns die Argumente im Einzelnen an:

1. Die Ortsbezeichnung „Cornaiano“ wurde von den italienischen Faschisten gar nicht erfunden. „Cornaiano“ hat als Ortsname eine mindestens 800 Jahre alte Geschichte und geht auf das romanische „Corneianum“ zurück. Insofern sollte niemand, der sich über die Willkürlichkeit faschistischer Toponomastik aufregt, mit der italienischen Bezeichnung für Girlan ein Problem haben. Es sei denn, man stört sich gar nicht so sehr an der faschistischen Geschichte bestimmter Ortsnamen, sondern daran, dass sie einfach nur italienisch sind.

Zu behaupten, »Cornaiano« sei keine Erfindung, weil die Bezeichnung »Corneianum« (1210) belegt ist, ohne dass zwischen beiden eine historische Kontinuität bestünde, ist genauso Humbug, wie die Vorstellung des faschistischen Regimes, dass das Italien von 1920 der Nachfolger des römischen Reiches wäre. La Marca begibt sich hiermit auf die argumentative Ebene von Tolomei, der womöglich überzeugt war, mit seinem Fälschungswerk nur die verlorengegangene Italianität Südtirols wieder freizulegen.

2. Die selbsternannten Antifaschisten, die fast einem Drittel der Südtiroler Bevölkerung die Verwendung einer eigenen Toponomastik untersagen wollen, vergessen wohl, wie wichtig Sprache ist, um die Welt um sich herum zu erfassen. Eine Welt, deren Begriffe und Bezeichnungen fremdartig klingen, ist auch an sich fremd und kann nie zur Heimat werden. Italienische Ortsnamen – ob „historisch gewachsen“ oder nicht – sind daher eine Notwendigkeit, damit sich im Jahr 2020 alle Südtiroler – nicht nur die deutschsprachigen – zuhause fühlen. Italienische Ortsnamen zu entfernen, würde daher bedeuten, einem Drittel der Südtiroler die Heimat zu verweigern. Und das ist eine Praxis, die ironischerweise gerade von den Faschisten mit Vorliebe gepflegt wurde.

Erstens will niemand einem Drittel der Südtiroler Bevölkerung die Verwendung von irgendwas untersagen, denn es geht bei der Debatte einzig um die Amtlichkeit. Im nichtamtlichen Bereich sind alle ohnehin frei, jeden Ort so zu nennen, wie sie möchten. Dies ist schon heute mit Exonymen (Venedig, Florenz, Rom – Vienna, Monaco, Amburgo) der Fall. Völlig hanebüchen ist zweitens aber auch das Ubi-nomen-ibi-patria-Prinzip: Dieser Logik zufolge könnten sich Italienerinnen in Aosta, Französinnen auf Korsika, Spanierinnen im Baskenland oder englischsprachige Kanadierinnen in Québec niemals zuhause fühlen. Schlimmer noch: Keinen Zuwandernden von außerhalb des deutschen und des italienischen Sprachraums könnte Südtirol jemals zur Heimat werden, es sei denn, wir engagieren Dutzende neuer Tolomeis, die unsere Ortsnamen in alle Sprachen der Welt übersetzen. Mit einem derartigen Argument spielt man nicht zuletzt Rassistinnen in die Hände.

3. „Historisch gewachsen“ ist eine relative Kategorie. Die italienischen Orts- und Flurnamen sind inzwischen seit mindestens 75 Jahren in Gebrauch. Während dieser Zeit haben Südtiroler aller Sprachgruppen gelernt, friedlich und konstruktiv miteinander zusammenzuleben. Die Geschichte, wie ein Begriff entstanden ist, kann nicht von der Geschichte getrennt werden, wie der Begriff seither gebraucht wurde. Und noch weniger kann sie von der Gegenwart getrennt werden. Wer heute also italienische Ortsnamen verwendet, verherrlicht dadurch keinen Faschismus, genauso wenig, wie jemand, der sich einen Volkswagen kauft, ein Nazi ist.

»Historisch gewachsen« ist vor allem dann eine relative Kategorie, wenn man es mit »historisch« verwechselt (vgl. Punkt 1). Doch ein aufoktroyierter Name wird auch nach 500 Jahren nicht »historisch gewachsen« sein.

Natürlich sind nicht alle, die einen von Tolomei erfundenen Ortsnamen benutzen, Faschistinnen — so wie nicht alle, die Ayers Rock statt Uluru sagen, Kolonialistinnen sind. Aber diese vorbelasteten Namen haben per se keine Berechtigung, amtlich zu sein.

Auch Cristian Kollmann, Toponomastik-Experte der [Süd-Tiroler] Freiheit, hat dies in Ansätzen anerkannt. Als Kriterien für die „historische Fundiertheit“ nennt er unter anderen einen „hohen Verkehrswert des Namens auf Grund der Relevanz des benannten Objekts für den italienischen Sprachraum“. Das dürfte im Falle von „Cornaiano“ in der Gemeinde Eppan, wo sich 13,29 Prozent der Einwohner bei der letzten Volkszählung der italienischen Sprachgruppe zugerechnet haben, eindeutig zutreffen.

Was der Verkehrswert eines Namens mit der »historischen Fundiertheit« zu tun haben soll, ist mir genauso unverständlich, wie La Marcas Gleichsetzung von  13,29% italienischsprachigen Einwohnerinnen in der Gemeinde Eppan mit »dem italienischen Sprachraum«. Aber natürlich können Prozentlösungen ein Anhaltspunkt dafür sein, ob ein Ortsname offiziell sein soll. Auf eine solche Lösung und auf einen entsprechenden Schwellenwert müsste man sich aber demokratisch einigen — und im internationalen Vergleich sind 13% nicht unbedingt eine Garantie für die Amtlichkeit einer Bezeichnung. Nicht zuletzt wäre ohnehin zu klären, ob die Prozentlösung nur auf historisch gewachsene Ortsbezeichnungen angewandt werden soll oder auch (und unter welchen Voraussetzungen) auf die Erfindungen von Tolomei.

Die gute Nachricht: Wenn manchen Südtirolern wirklich so viel an der Aufarbeitung der faschistischen und nationalsozialistischen Geschichte Südtirols liegt, dann gibt es in der Gemeinde Eppan noch viel zu tun. In Hochfrangart steht ja immer noch – von weitem sichtbar – eine als Kunst ausgegebene, geschmacklose Riesenkugel, errichtet vom Herrn Karl Nicolussi-Leck, Mitbegründer des völkischen Kampfringes, SS-Hauptsturmführer und Nazi-Fluchthelfer, der sich durch geschäftliche Beziehungen zu geflüchteten Nazis in Argentinien finanziellen Wohlstand verschafft hatte. Was wäre, wenn sich hier einmal nächtliche Randalierer ans Werk machten? Aber dann müsste man, um ganz konsequent zu sein, auch gleich die Claudiana und das Museion (beide vom besagten Herrn Altnazi gegründet) abreißen. Und das geht ja nun wirklich nicht.

Was ein (schönes oder hässliches) Kunstwerk, eine Schule oder ein Museum, auch wenn sie von einem Altnazi errichtet/gegründet wurden, mit Geschichtsaufarbeitung zu tun haben sollen, ist mir (anders als etwa bei Benennungen von Schulen, Museen oder Straßen nach Altnazis!) völlig schleierhaft. Nirgendwo werden Kunstwerke eingestampft oder Bauwerke geschleift, weil sie mit irgendeinem Nazi in Verbindung stehen. Eine Erklärung für diese doch etwas abstruse Analogie bleibt La Marca leider schuldig.

Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10



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Comentârs

10 responses to “Beschmierte Girlaner Ortstafel.
Auf Differenzierungsentzug

  1. max avatar
    max

    Erstens will niemand einem Drittel der Südtiroler Bevölkerung die Verwendung von irgendwas untersagen, denn es geht bei der Debatte einzig um die Amtlichkeit. Im nichtamtlichen Bereich sind alle ohnehin frei, jeden Ort so zu nennen, wie sie möchten. Dies ist schon heute mit Exonymen (Venedig, Florenz, Rom – Vienna, Monaco, Amburgo) der Fall. Völlig hanebüchen ist zweitens aber auch das Ubi-nomen-ibi-patria-Prinzip: Dieser Logik zufolge könnten sich Italienerinnen in Aosta, Französinnen auf Korsika, Spanierinnen im Baskenland oder englischsprachige Kanadierinnen in Québec niemals zuhause fühlen. Schlimmer noch: Keinen Zuwandernden von außerhalb des deutschen und des italienischen Sprachraums könnte Südtirol jemals zur Heimat werden, es sei denn, wir engagieren Dutzende neuer Tolomeis, die unsere Ortsnamen in alle Sprachen der Welt übersetzen. Mit einem derartigen Argument spielt man nicht zuletzt Rassistinnen in die Hände.

    Nein, es geht nicht „nur“ um die Amtlichkeit. Ich finde es der (auch bbd-) Grundannahme, dass Südtirol ein konstitutiv dreisprachiges Land ist, nicht entsprechend, wenn in der Definition dessen, was amtlich anerkannte Ortsnamen sein sollen, ein Faktor zum Tragen kommt, der dieser Grundannahme zuwiderläuft. Auch wenn es dazu Vorschläge der UN gibt, auch wenn es nicht dem Prinzip des „historisch Gewachsenen“ entspricht.

    Meine Begründungen dazu:
    – Amtlichkeit bedeutet öffentliche Anerkennung. Nicht-Amtlichkeit bedeutet keine öffentliche Anerkennung. Orte sind öffentliche Räume, keine privaten Räume.
    – Wenn Südtirol konstitutiv dreisprachig ist, dann haben die Mitglieder aller dieser drei Sprachgruppen das Recht, sich in der öffentlichen Bezeichnung des öffentlichen Raums wiederzufinden.
    – Dieses Recht gilt – zumindest im aktuellen gesellschaftlichen Kontext und historischen Moment – nicht automatisch für alle hier lebenden Menschen, die sich zwar in Südtirol, aber in keiner dieser drei Sprachgruppen beheimatet fühlen. Es könnte sich aber irgendwann einmal ändern. Und genau deshalb ist dies keine exkludierende, sondern eine, ich wiederhole mich, dem aktuellen gesellschaftlichen Kontext und historischen Moment entsprechende legitime Begrenzung.
    Ich ordne zwei legitimen Prinzipien nach denen die Ortsnamenbezeichnung gestaltet werden kann, jenes des historisch Gewachsenen und jenes das Unrecht der tolomeischen Erfindungen rückgängig Machende, bewusst dem Prinzip, dass dieses Land ein dreisprachiges ist, unter, weil ich dieses letztere wesentlich für unsere weitere Entwicklung sehe, weil ich glaube, dass es Kohäsion ermöglicht, weil ich glaube, dass es eine Grundlage schaffen kann, die Ängste nimmt und Weiterdenken ermöglicht. Dieses Weiterdenken kann dann – who knows? – auch zu einer gemeinsam getragenen, sprachgruppenübergreifenden Entscheidung für die Einnamigkeit der einen und die Zwei- oder Dreinamigkeit anderer Ortschaften führen. Oder auch nicht.

    Wenn an anderen Orten dieser Welt andere Prinzipien zum Tragen kommen, dann heißt das für mich nicht zwangsläufig und automatisch, dass diese Prinzipien auch hier und jetzt diejenigen sind, die Südtirol weiterbringen.

    1. Harald Knoflach avatar
      Harald Knoflach

      hallo max,

      zunächst einmal vielen dank für deinen wohltuend nüchternen und durchdachten kommentar – in einer diskussion, die sonst recht oft bodenlos ist, was das niveau der argumentation anbelangt.

      – ich denke, dass zwei- bzw. dreisprachigkeit nicht notwendigerweise zwingende, offizielle zwei- bzw. dreinamigkeit verlangt. müsste man “der gerechtigkeit halber” auch noch “ladinische” exonyme für lokalitäten in ganz südtirol finden, wo es keine solchen gibt? und wo zieht man die grenze – bei gemeinden, fraktionen oder soll das hinunter bis zum letzten maulwurfshügel gehen? wobei das landesgesetz hierzu ja einen kompromiss genommen hat.
      – grundsätzlich stellt sich die frage, wer orte benennen darf. soll über die bezeichnung von la val (98 % ladinischsprachige) oder martell (100 % deutschsprachige) die ansässige bevölkerung befinden oder “ganz südtirol”? ich wäre dafür, dass die bezeichnung innerhalb der jeweiligen verwaltungsgrenzen der entsprechenden einheit festgelegt wird. so wie ich und meine familie bestimmen können, wie ich mein haus nenne, so sollte das auf den darüberliegenden ebenen funktionieren. ich für mich kann sagen, dass ich mich meines heimatrechtes in südtirol nicht beraubt fühle, wenn la val offiziell nur la val und nicht auch noch la valle und wengen heißt. im gegenteil. ich möchte nicht, dass dieser ort offiziell wengen heißt, weil ihn seine bewohner großmehrheitlich nicht so nennen. was mich aber nicht hindert, wengen dazu zu sagen.
      – ich halte das für eine falsche grundannahme, dass wir von deutschen und italienischen namen sprechen und diesen dann identifikationspotenzial beimessen. ich bin mir bewusst, dass es de facto bei vielen menschen der fall ist. aber ich halte das für ein falsches verständnis von sprache und toponomastik.
      – du hast recht, dass prinzipien, die anderswo auf der welt umgesetzt sind nicht per se auch für südtirol die richtigen sind. gleichzeitig würde es mich einfach irritieren, wenn z.b. die heutigen nachfahren der kolonialherren in namibia auf “deutschen” bezeichnungen für die dortigen örtlichkeiten bestünden (kenne die situation in namibia nicht, muss ich gestehen). ich halte das einfach nicht für zeitgemäß.

      Dieses Weiterdenken kann dann – who knows? – auch zu einer gemeinsam getragenen, sprachgruppenübergreifenden Entscheidung für die Einnamigkeit der einen und die Zwei- oder Dreinamigkeit anderer Ortschaften führen. Oder auch nicht.

      ich hielte es grundsätzlich für keine schlechte idee, wenn demokratisch über diese situationen befunden werden würde. dadurch könnten auch tolomeische erfindungen im nachhinein demokratisch legitimiert werden. damit kann ich schon leben und pflichte dir in dieser hinsicht bei. wobei sich eben – wie schon oben erwähnt – die frage stellt, welche demokratische institution über welche bezeichnung entscheidet.

      1. max avatar
        max

        ich halte das für eine falsche grundannahme, dass wir von deutschen und italienischen namen sprechen und diesen dann identifikationspotenzial beimessen. ich bin mir bewusst, dass es de facto bei vielen menschen der fall ist. aber ich halte das für ein falsches verständnis von sprache und toponomastik.

        Wenn dem Identifikationspotential von Ortsbezeichnungen ein „falsches Verständnis von Sprache und Toponomastik“ zugrunde liegt, was wäre dann das richtige? Und vor allem, wenn für viele Menschen (übrigens aller drei „autochtonen“ Sprachgruppen) in Südtirol die Benennung der Orte in denen sie leben (aus Gründen, die wir kennen), auch etwas mit Identifikation zu tun hat, auf welcher Grundlage kannst du diesen Faktor dann als falsch bezeichnen? Deiner Aussage, dass du für eine demokratische Entscheidung wärst, widersprichst du damit im Grunde ebenfalls. Es ginge deinem Diskurs folgend dann nämlich um die richtige Entscheidung auf Grundlage des richtigen Verständnisses. Also um eine technokratische Entscheidung.

      2. Harald Knoflach avatar
        Harald Knoflach

        auf welcher Grundlage kannst du diesen Faktor dann als falsch bezeichnen?

        falsch, im sinne, dass ich der meinung bin, dass namen nicht notwendigerweise eine sprachliche dimension haben. in der art, dass sie sich nicht wirklich übersetzen lassen bzw. man auch keine synonyme verwenden kann.
        wir behandeln die namen jedoch so, als ob sie deutsch, italienisch oder ladinisch wären und sie sich in die jeweils andere sprache übersetzen ließen.
        beispiel:
        ich kann sagen:
        in dreikirchen bei barbian stehen drei kirchen.
        in dreikirchen bei barbian stehen drei gotteshäuser.
        ich kann nicht sagen:
        in dreigotteshäuser bei barbian stehen drei kirchen.
        aber du hast recht. das identifikationspotenzial ist realität. völlig unabhängig davon, ob die grundannahme richtig oder falsch ist.

        Deiner Aussage, dass du für eine demokratische Entscheidung wärst, widersprichst du damit im Grunde ebenfalls.

        nein. denn bei einem demokratischen entscheid geht es nicht um richtig oder falsch (was in vielen – aber nicht allen – fällen subjektiv ist). es geht ausschließlich um gewollt und nicht gewollt. und wenn etwas demokratisch gewollt ist, dann ist es so. bin ich damit nicht einverstanden, kann ich mich auf demokratischem wege dafür einsetzen, dass etwas anderes zum gewollten wird.

    2. Simon avatar

      Ich bin zwar mit einigem nicht einverstanden, was max schreibt, aber über das Allermeiste ließe sich hervorragend diskutieren.

      An dieser Stelle möchte ich jedoch vor allem unterstreichen, dass mein Beitrag eben eine Antwort auf Teseo La Marcas Barfuss-Artikel ist, und dort steht unter anderem:

      Eine Welt, deren Begriffe und Bezeichnungen fremdartig klingen, ist auch an sich fremd und kann nie zur Heimat werden. Italienische Ortsnamen – ob „historisch gewachsen“ oder nicht – sind daher eine Notwendigkeit, damit sich im Jahr 2020 alle Südtiroler – nicht nur die deutschsprachigen – zuhause fühlen.

      (Hervorhebungen von mir)

      Diese Behauptungen La Marcas sind so grundsätzlich — und auch zeitlich und geografisch uneingeschränkt —, dass der Hinweis auf Erfahrungen in anderen geografischen Regionen oder auf die Situation von Zuwandernden notwendig wurde, um sie zu widerlegen.

      So wie es La Marca formuliert, gilt seine Feststellung absolut: für alle, überall und jederzeit. Deshalb stellt er — anders als max — auch für die Zukunft keine gemeinsame Lösung in Aussicht. Die Abschaffung von Tolomei wäre dem Wortlaut seiner These folgend jederzeit und unter allen Umständen grundsätzlich eine Entziehung des Heimatsrechts. Vor allem das ist es, was man meiner Meinung nach so keinesfalls stehen lassen konnte.

      1. Simon avatar

        Nachtrag: Der Satz

        Italienische Ortsnamen – ob „historisch gewachsen“ oder nicht – sind daher eine Notwendigkeit, damit sich im Jahr 2020 alle Südtiroler – nicht nur die deutschsprachigen – zuhause fühlen.

        impliziert außerdem, dass Tolomeis Werk notwendig war, ja dass wir heute unsere Ortsnamen übersetzen müssten, wenn er es nicht getan hätte — damit sich im Jahr 2020 alle Südtirolerinnen zuhause fühlen können. Die Absurdität dieser Aussage erschließt sich hoffentlich von selbst.

    3. Andrea Catalano avatar
      Andrea Catalano

      Ich muß ehrlich sagen, daß mir die Authentizität gefällt. Obwohl ich italienischer Muttersprache bin, wenn ich hier in Südtirol auf den Berg gehe (..oder eher laufe), dann schätze ich eben die Authentizität der Orte und der Ortsnamen. Tolomeis Ortsnamen sind spürbar fremd und unecht, und grundsätzlich sind sie noch immer ein Zeichen einer gewissen Unehrlichkeit und Arroganz.

  2. Cristian Kollmann avatar
    Cristian Kollmann

    CORNELIANUM

    Der Name Girlan geht auf alpenromanisch *Corneljáno ‘Gebiet des *Cornéljo’ zurück. In klassisch-lateinischer Darstellung gälte der Ansatz *Cornēliānum ← Cornēlius. Allerdings sprachen die Römer zur Zeit der Eroberung des Alpenraums, die spätestens um 15 vor Christus einsetzte, kein klassisches Latein mehr, sondern ein Volkslatein, auch Vulgärlatein genannt, in dem sich bereits die modernen romanischen Sprachen wie das Alpenromanische, aus dem u.a. das Ladinische hervorging, ankündigten.

    Der von Teseo La Marca gemachte Ansatz eines romanischen Corneianum ist nicht ganz korrekt, da die Endung -um bereits im Vulgärlateinischen zu -u > -o wurde, und da das nach Vokal und vor j befindliche l erst im jüngeren Alpenromanischen, wohl um 1250 herum, getilgt wurde: *Corneljano > (um 1250) *Cornejano. Der deutsche Name Girlan wurde jedoch, auch weil er das l bewahrt hat, noch auf der Stufe von *Corneljano entlehnt, auf jeden Fall noch vor 1100, weil er vom germanischen Initialakzent erfasst wurde. Alpenromanisch *Corneljano ergab althochdeutsch *Cürnillan > *Cürnlan > *Cürlan > Gürlan, Letzteres auch noch mittelhochdeutsch und frühneuhochdeutsch, und schließlich neuhochdeutsch durch Entrundung ü > i Girlan und mundartlich Gīrl.

    Am Welschnonsberg gibt es für Girlan zwei Exonyme: Cornaiàn und Ghirla. Cornaiàn ist der erbwörtliche Fortsetzer von alpenromanisch *Corneljano > *Cornejano. Ghirla, das allerdings geläufiger ist und vor Tolomei mitunter auch amtlich belegt ist, stellt einen Import aus deutsch Girlan dar, so wie welschnonsbergisch Tèrla (was vor Tolomei ebenfalls amtlich italienisch belegt ist) aus Terlan (mundartlich Tearl).

    Die Bezeichnung Cornaiano für das Italienische halte ich – wenngleich sie, anders als Ghirla, nie als solche schriftlich belegt ist – aus linguistischer Sicht für akzeptabel, weil sie ihren Rückhalt in der Welschonsberger Mundart findet (so wie z.B. (San Michjél d’)Apian oder Tésem für ebenfalls nie ante Tolomei im Italienischen belegtes Appiano oder Tesimo).

    Zuletzt noch zu den Begrifflichkeiten „Verkehrswert des Namens“ und „historische Fundiertheit des Namens“: Die historische Fundiertheit eines Namens ergibt sich mitunter aus dessen hohem Verkehrswert, jedoch nicht umgekehrt, wie das Teseo La Marca glauben lassen möchte.

    Cristian Kollmann

  3. Andrea Catalano avatar
    Andrea Catalano

    Die Zeit ändert im diesen Sinne gar nichts. Solange ein Ortsname einem Volk aufgedrängt worden ist, dann kann er definitionsgemäß nicht historisch gewachsen sein (und werden).

  4. Thomas Benedikter avatar
    Thomas Benedikter

    Ich werde nicht der Einzige sein, der die Toponomastik-Diskussion für einige Zeit leid ist, obwohl grundsätzlich eine kulturgeschichtlich und völkerrechtlich fundierte Lösung zur Überwindung des Tolomei-Erbes immer noch aussteht. Als halber Girlaner (der Rest “gehört” nach Frangart) stört mich die Übermalungsaktion in Girlan schon. Diese Frage muss im öffentlich-demokratischen Diskurs gelöst werden, nicht durch die Nacht-und-Nebel-Übermalungsaktionen. Constantinis präzise und sachlich klare Argumentation zum Thema und auch speziell zum Fall Girlan ist in diesem Sinn sehr hilfreich. Danke!

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