Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers veröffentliche ich hier den Leitartikel der aktuellen ff — dessen Inhalt ich teile, auch wenn ich mich nicht mit allen Abstimmungsabsichten von Herrn Zimmermann identifizieren kann [vergleiche].
Die SVP hat von den Taliban gelernt: Die direkte Demokratie muss boykottiert werden. Die Kurzsichtigkeit der SVP ist imponierend.
von Kurt W. Zimmermann
Am übernächsten Sonntag gehe ich ins Stimmlokal. Ich gehe ins Stimmlokal in Kiens, der Gemeinde, wo ich stimmberechtigt bin. Ich gehe hin mit Elan. Ich schätze es, dass ich am übernächsten Sonntag erstmals in Südtirol die direkte Demokratie direkt erleben kann. Damit Sie mich politisch etwas einschätzen können, sage ich Ihnen auch gleich, wie ich abstimmen werde. Ich werde Nein sagen zu jener stupiden Idee, den Flughafen Bozen zu töten. Südtirol ist eine der chancenreichsten Regionen in Europa. Es wäre töricht, dieses Wachstumspotenzial leichtfertig zu gefährden. Ein ausgebauter Flughafen Bozen ist eine riesige Chance für das Land. Ich werde Ja sagen zu den zwei Vorlagen, welche die direkte Demokratie einführen wollen. Zugegeben, die zwei Gesetzesentwürfe sind reichlich schludrig formuliert. Aber ich stimme dennoch zu. Sie sind ein erster Schritt. Im nächsten Schritt kann auf dieser Basis ein gut formuliertes Abstimmungsreglement entstehen. Ich werde Nein sagen zum Vorschlag, der “Stopp dem Ausverkauf der Heimat” heißt. Heimatschutz ist antiquiert. Ich finde, jeder soll eine Ferienwohnung in Südtirol erwerben können, wenn er denn will. Oder wurde umgekehrt schon mal einem Südtiroler verboten, ein Appartement in St. Moritz oder St. Tropez zu kaufen? Ich werde dann Ja sagen zum Vorschlag, wonach Empfänger einer Wohnförderung fünf oder gar zehn Jahre in Südtirol gewohnt haben müssen. Es ist richtig, dass Steuergelder nur an jene fließen, die zuvor selber auch Steuern bezahlt haben. Ich gehe also mit Elan ins Stimmlokal. Nun ist mein Elan aber vermutlich vergebens. Damit meine Meinung von Flughafen bis Wohnförderung überhaupt einen Effekt hat, braucht es eine Stimmbeteiligung von 40 Prozent. Quorum nennt man diese Hürde. Dazu ist zweierlei anzumerken. Zuerst einmal ist jedes Quorum antidemokratisch. Die Ausübung der Demokratie ist in einer freien Gesellschaft eine freiwillige Sache. Nur in Kuba und Nordkorea gibt es einen Politikzwang. Bei Wahlen ist dieses Prinzip der Freiwilligkeit selbstverständlich. Es wurde noch nie die Wahl eines Parlaments annulliert, weil nur 39 Prozent der Wähler an die Urne gingen. Bei Abstimmungen ist ebenso zu verfahren. Das richtige Quorum liegt bei 0,000001 Prozent, also einer Stimme. Dass das Quorum von 40 Prozent kaum erreicht wird, hat einen zweiten und wichtigeren Grund. Die SVP-Granden von Luis Durnwalder bis Richard Theiner haben zu einem Abstimmungsboykott aufgerufen. Der Boykott der Demokratie hat eine lange Tradition. Zuletzt haben die Taliban in Afghanistan zu einem Wahlboykott aufgerufen. Wer trotzdem zur Urne ging, dem wurden Nase und Ohren abgeschnitten. Auch die baskische Terror- organisation Eta rief zu einem Wahlboykott auf. Dasselbe tat das feudalistische Königshaus Nepal. Da hat sich die Südtiroler Volkspartei aber in eine nette Gesellschaft begeben, selbst wenn bei uns Nasen und Ohren wohl dranbleiben. Die aktuelle Verweigerung gegenüber der Direktdemokratie gehört zu den größeren politischen Dummheiten in der an Dummheiten reichen SVP-Geschichte. Die direkte Demokratie wird sich allmählich auch in Südtirol etablieren, nicht heute, vielleicht auch nicht morgen, aber sicher übermorgen. Das ist der Trend, den die Volkspartei langfristig nicht aufhalten wird. Die SVP wird darum in Zukunft für immer mit dem Makel leben müssen, dass sie die direkte Demokratie verhindern wollte. Sie tat es aus kurzfristigen Überlegungen. Sie wollte mehr Volksmacht verhindern, weil sie einen eigenen Machtverlust befürchtete. Schon bei den nächsten Wahlen in vier Jahren werden die Freiheitlichen und die Grünen dieses Lied sehr laut und sehr erfolgreich singen. Die SVP hat eine große Chance verpasst. Hätte sie sich hinter die Volksabstimmung gestellt, dann hätte die Volkspartei gesagt: Wir sind das Volk. Stattdessen sagt die Volkspartei: Wir sind gegen das Volk.
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