Der Südtiroler Hans Karl Peterlini, Dozent an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, hat einen offenen Brief über die Lage der Kärntner Sloweninnen und ihren Stellenwert in der neuen Landesverfassung initiiert. Wir geben ihn hier (via Salto) im Wortlaut wieder:
Mit Verwunderung und Besorgnis haben wir in der vergangenen Woche die politische Debatte verfolgt, wonach die gemeinsame Nennung der “deutsch- und slowenischsprachigen Landsleute” den Konsens um die neue Landesverfassung für Kärnten/Koroška in Frage stellte. Die Verweigerung einer solchen Wertschätzung, allein durch simple Erwähnung auch der slowenischsprachigen Mitbürgerinnen und Mitbürger als fraglos zu Kärnten gehörend und Kärnten mitgestaltend, stellte einen Rückschritt für das positive Klima dar, das sich mit dem Kompromiss von 2011 zur Ortstafelfrage zwischen den Volksgruppenvertretern und den politischen Entscheidungsträgern in Klagenfurt und Wien entwickelt hat und für das die derzeitige Landesregierung wichtige Akzente gesetzt hat.
Sosehr die nunmehrige Einigung zur Landesverfassung zu begrüßen ist, so sehr bleiben doch Momente des Unbehagens zurück, die auch durch den politischen Kompromiss nicht überspielt werden sollten: Die nunmehrige stärkere Betonung, dass Deutsch nicht nur die Sprache der Gesetzgebung, sondern “die” Landessprache ist und dass die sprachliche und kulturelle Vielfalt der Republik Österreich in Kärnten – quasi als Beigabe – durch die slowenische Sprachgruppe zum Ausdruck kommt, stärkt die getrennte Wahrnehmung zweier Landesrealitäten, wo zuvor durch die gleichberechtigte Nennung der “deutsch- und slowenischsprachigen Landsleute” der Gedanke einer sprachgruppenübergreifenden Gemeinsamkeit zum Ausdruck kam. Dies wäre einer späten Würdigung der Rolle der slowenischen Bevölkerung in der Geschichte Kärntens und Österreichs gleich gekommen, die dieser oft schlecht gedankt wurde (man denke an die ausschlaggebende Befürwortung des Verbleibs bei Österreich bei der Volksabstimmung 1920 durch die slowenische Bevölkerung sodann an den politisch zwar wenig gewürdigten Widerstand gegen das NS-Regime, der im Sinne der Moskauer Deklaration von 1943 aber wesentlich dazu beitrug, dass Österreich von den Alliierten die staatliche Souveränität zugesprochen wurde). Die im Staatsvertrag übernommene Verpflichtung Österreichs gegenüber der slowenischen Sprachgruppe wurde nur sehr mangelhaft umgesetzt, so dass die Assimilationsprozesse fortschritten und fortschreiten. Positive Akzente wie etwa der Umstand, dass auch deutschsprachige Familien ihre Kinder in zweisprachige Schulen einschreiben, verweisen zugleich auf zarte Pflänzchen eines wachsenden Interesses aneinander.
Der von der Regierungskoalition SPÖ-ÖVP-Grüne mitgetragene Entwurf für die neue Landesversammlung war gerade durch die beanstandete und nun getilgte Formulierung von großer symbolischer Bedeutung, weil die slowenische Bevölkerung als gleichberechtigtes politisches Subjekt genannt wurde, aber eben nicht von den deutschsprachigen Mitbürgerinnen und -bürgern abgespalten, sondern ungezwungen und wie selbstverständlich aufgenommen in ein gemeinsames Konzept von ausdrücklich deutsch- und slowenischsprachigen “Landsleuten”. Diese explizite Mitnennung und Sichtbarkeit der slowenischen Sprachgruppe ist nun in der Formulierung “aller Landsleute” vermieden worden.
Die nunmehrigen Änderungen der Landesverfassung mit der Betonung, dass Deutsch die einzige Landessprache ist, laufen auf eine Abstufung zwischen den zwei Sprachgruppen hinaus. Dies macht deutlich, wie weit die Rechte der österreichischen slowenischen Minderheit beispielsweise gegenüber jenen der deutschsprachigen und ehemals österreichischen Minderheit in Südtirol/Italien hinterherhinken, wo die Gleichstellung der Sprachen auch als Gesetzessprache und umso unbestrittener auch als Landessprache verfassungsrechtlich verankert ist. In der neuen Landesverfassung für Kärnten/Koroška war eine gleichberechtigte symbolische Nennung offenbar schon zu viel. Dies ist ein Rückzug von der Beherztheit im ursprünglichen Entwurf für die neue Landesverfassung.
Angesichts der vielfältigen Herausforderungen in migrantisch geprägten Gesellschaften ist die historisch gegebene, sprachliche und kulturelle Pluralität Kärntens für ganz Österreich und darüber hinaus eine Ressource, die nicht durch glättende Formulierung möglichst zum Verschwinden, sondern selbstbewusst sichtbar und damit politisch und gesellschaftlich fruchtbar gemacht werden sollte. Die deutsch- und slowenischsprachige Bevölkerung Kärntens verfügt dank ihrer Geschichte ethnischer Feindseligkeiten, Ab- und Ausgrenzungen, Entrechtungen und Behauptungskämpfen über wertvolle Erprobungen von Konfliktüberwindung und Zusammenleben, die für moderne europäische Migrationsgesellschaften einen Erfahrungsschatz im Umgang mit Ethnizität und Diversität darstellen.
Hans Karl Peterlini, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung (IfEB), Abteilung interkulturelle Bildung
Cristina Beretta, Universität Klagenfurt, Institut für Slawistik
Klaus Schönberger, Universität Klagenfurt, Institut für Kulturanalyse
Bettina Gruber, Universität Klagenfurt, IfEB, Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung
Viktorija Ratkovič, Universität Klagenfurt, IfEB, Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung
Barbara Maier, Universität Klagenfurt, Kulturagenden
Kornelia Tischler, Universität Klagenfurt, IfEB, Abteilung für Schulpädagogik
Peter Gstettner, Universität Klagenfurt, IfEB (i.R.)
Reinhard Kacianka, Institut für Kulturanalyse, internationale Beziehungen
Jasmin Donlic, Universität Klagenfurt, IfEB, Abteilung interkulturelle Bildung
Marion Hamm, Universität Klagenfurt, Institut für Kulturanalyse
Jutta Steininger, Kunsthistorikerin
Karin Schorm, Universität Klagenfurt
Tina Perisutti, Universität Klagenfurt
Vladimir Wakounig, Universität Klagenfurt, IfEB, Abteilung interkulturelle Bildung (i.R.)
Alice Pechriggl, Universität Klagenfurt, Institut für Philosophie
Doris Moser, Universität Klagenfurt, Institut für Germanistik
Liepold Ute, Universität Klagenfurt, Institut für Kulturanalyse, Regisseurin
Bernd Liepold-Mosser, Stadttheater Klagenfurt, Regisseur
Mark Schreiber, Universität Klagenfurt, Institut für Anglistik und Amerikanistik
Thomas Hainscho, Universität Klagenfurt, Institut für Philosophie
Sandra Hölbling-Inzko, Universität Klagenfurt, Institut für Kulturanalyse
Marija Wakounig, Universität Wien, Institut für Osteuropäische Geschichte
Janine Schemmer, Universität Klagenfurt, Institut für Kulturanalyse
Samo Wakounig, Universität Klagenfurt, IfEB, Abteilung Systematische und Historische Pädagogik
Martin Hitz, Universität Klagenfurt, Vizerektor für Personal, Institut für Informatik-Systeme
Terezija Wakounig, Wien/Dunaj-Müllnern/Mlinče
Simone Egger, Universität Klagenfurt, Institut für Kulturanalyse
Irene Cennamo, Universität Klagenfurt, IfEB, Erwachsenen- und Weiterbildung
Ute Holfelder, Universität Klagenfurt, Institut für Kulturanalyse
Georg Gombos, Universität Klagenfurt, IfEB, Interkulturelle Bildung
Zahra Mani, Universität Klagenfurt
Gerhard Katschnig, Universität Klagenfurt
Brigitte Hipfl, Universität Klagenfurt, stellv. Dekanin Fakultät für Kulturwissenschaften
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