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Eine demokratische Entscheidung wie jede andere.
Pro und Contra zum Thema Selbstbestimmung

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Die jüngste Ausgabe der Tiroler Schützenzeitung widmete dem Thema Selbstbestimmung ein Pro und Contra.

In der Einleitung heißt es dazu:

Europa ist im Umbruch. Immer mehr Regionen wollen sich von ihrem derzeitigen Staat loslösen. Unterstützt werden die Separatisten von Parteien unterschiedlicher Couleur. Auffallend ist aber, dass z.B. die Katalanen, die Basken und die Schotten vor allem von Parteien, die dem linken politischen Spektrum zuzuordnen sind, ihre volle Unterstützung erhalten. Auch in Süd-Tirol gibt es unzählige Rufe nach Unabhängigkeit. Hierzulande gehen derzeit die Visionen der politischen Verantwortungsträger aber über einen Autonomiekonvent nicht hinaus.

Die Gegenargumente zur “Selbstbestimmung für Südtirol” lieferte der grüne Landtagsabgeordnete Hans Heiss. Den Pro-Teil, der hier vollinhaltlich widergegeben wird, durfte ich beisteuern.

Als Befürworter demokratischer Selbstbestimmung hat man es in Südtirol nicht leicht, da der Diskurs von Unschärfe, Nationalismus und Widersprüchlichkeit geprägt ist. So setzen viele Kritiker Selbstbestimmung einfach mit staatlicher Unabhängigkeit gleich. Dabei ist ersteres ein Prozess und letzteres nur ein mögliches Ergebnis dieses Prozesses. Die SVP wiederum führt zwar das Selbstbestimmungsrecht in ihrem Grundsatzprogramm, hat es aber dennoch schon einmal geschafft, sich im Landtag ausdrücklich gegen das in den UN-Menschenrechtspakten verankerte Prinzip auszusprechen. Die Heimatbewussten mit rechter Schlagseite fordern hingegen vehement die Unabhängigkeit, berufen sich dabei aber fast ausschließlich auf das Völkerrecht, das auf der irrwitzigen nationalistischen Idee des 19. Jahrhunderts beruht. Sie verkennen offenbar, dass es gerade der Nationalismus war, der Europa im Allgemeinen und Südtirol im Speziellen im letzten Jahrhundert so unendlich großes Leid beschert hat. Als Reaktion darauf bringen indes selbsternannte Weltoffene (zumal die Südtiroler Grünen) das Kunststück zuwege, konservativ und umgekehrt nationalistisch zu argumentieren. Dabei lehnen sie das ihrer Ideologie eigentlich immanente Selbstbestimmungsprinzip wohl nur deshalb ab, weil das Thema von der “falschen Seite” besetzt ist, während Grüne weltweit in Sachen demokratischer Selbstbestimmung Vorreiter sind – von Neuseeland über Katalonien bis Schottland. Befreit man die Selbstbestimmung von ihrem anachronistischen Völkerrechtsbezug sowie der Südtiroler Anomalie, bleibt ein progressives, von ethnischer Logik losgelöstes, basisdemokratisches Recht, das man selbstbestimmten Individuen in einer Demokratie unmöglich verwehren kann. Der institutionelle Rahmen, den sich die Bevölkerung eines Gebietes gibt, ist eine demokratische Entscheidung wie jede andere.

Hans Heiss gibt in seinen Ausführungen zu, dass ihm das Prinzip der Selbstbestimmung grundsätzlich sympathisch sei. Warum er es für Südtirol dennoch nicht als erstrebenswerte Option erachte, liege weder an der italienischen Verfassung, die die Einheit des Staates vorschreibt, noch an der Angst vor einem möglichen Einmarsch des italienischen Heeres. Auch eine eventuelle Isolation durch die EU oder eine Irritation Österreichs schrecken Heiss nicht. Seine Ablehnung nähre sich vielmehr daraus, dass es in Südtirol innerhalb keiner Sprachgruppe eine Mehrheit für den Prozess der Selbstbestimmung gäbe und somit eine Spaltung der Gesellschaft drohe.

Dazu ein paar Gedanken meinerseits:

  1. Soweit mir bekannt ist, gibt es keine gesicherten Daten über eine nach Sprachgruppen aufgeschlüsselte Zustimmungsquote zu einem etwaigen Selbstbestimmungsprozess – sprich einer Volksabstimmung über den institutionellen Rahmen Südtirols. Dass es sich bei den Selbstbestimmungsbefürwortern in allen Sprachgruppen um eine Minderheit handle, ist also lediglich Heiss’ Vermutung. Von Apollis durchgeführte Umfragen zum Thema “Loslösung von Italien” legen sogar eher einen gegenteiligen Schluss nahe.
  2. Selbst wenn die Selbstbestimmungsbefürworter in der Minderheit wären, so ist mir schleierhaft, warum man sich nicht dennoch dafür einsetzen kann, wenn man sie prinzipiell für eine gute Sache hält. Auf dass die Minderheit irgendwann zur Mehrheit wird. Der von Heiss vertretenen Logik zufolge dürften sich er und die Grünen ja auch nicht für Ideen wie das bedingungslose Grundeinkommen einsetzen, da dieses im Moment (!) – so nehme ich zumindest an – auch nicht von einer Mehrheit der Bevölkerung befürwortet wird.
  3. Sollte es in der Bevölkerung Vorbehalte gegenüber einem an sich verfolgenswerten Prozess geben, so wäre es doch Aufgabe der Politik aufzuklären, Vorurteile zu zerstreuen und mögliche negative Effekte abzufedern, anstatt sich grundsätzlich einer Idee, für die man offenbar Sympathie hegt, zu verweigern.

Cëla enghe: 01



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Comentârs

14 responses to “Eine demokratische Entscheidung wie jede andere.
Pro und Contra zum Thema Selbstbestimmung

  1. TirolaBua avatar
    TirolaBua

    Sehr guter Beitrag.

  2. pérvasion avatar

    Mein Eindruck ist, dass die Südtiroler Grünen immer wieder neue, sich teils widersprechende Gründe suchen, warum sie (eigentlich eh schon dogmatisch) gegen die Selbstbestimmung sind. Mal ist es die Verfassung und die Gefahr, dass Italien Panzer nach Südtirol schickt, mal die Tatsache, dass wir nicht unterdrückt werden — und nun eben, dass es anscheinend keine Mehrheit gibt.

    Und warum waren unsere Grünen eigentlich gegen die schottische Unabhängigkeit? Um Sprachgruppen kann es damals kaum gegangen sein.

    1. gorgias avatar
      gorgias

      Die Grünen haben einfach den Anschluss am Diskurs verloren. Sie hatten sich in den 80zigern eine Position zurechtgelegt, die eine Antitese zur damals sprachnationalistischen Position der Trennung von Italien war zu Gunsten eines besseren Zusammenlebens der Sprachgruppen. Diese Dichotomie zwischen Selbstbestimmung und interethnisches Zusammenleben sind sie leider nicht fähig auszulösen. Auch nicht nach über ein Jahrzehnt Diskursentwicklung durch den bbd, als auch mit der Realität von linken Unabhängigkeitsbewegungen in Europa konfrontiert zu werden. Dabei könnten sie sich ja an der Diskussion beteiligen und anmahnen welche Schritte nötig sind bei einer eventuellen Trennung, dass das Zusammenleben der Sprachgruppen dann auch funktioniert. Denn nur die Lösung von Italien kann zwar einige Konfliktlinien auflösen, aber nicht alle, und eventuell wird es auch neue schaffen, außer das Ziel ist die Übervorteilung der Italiener in einer neuen Situation.
      Aber diese Rolle werden die Grünen nicht einnehmen, weil sie zu verknöchert sind und lieber in ihrer Position eingraben und weiter stagnieren.

    2. TirolaBua avatar
      TirolaBua

      Weil sie so eben ihre ganzen Gründe selbst zerstört hätten.

  3. Egon Pramstrahler avatar
    Egon Pramstrahler

    Ein Sprichwort besagt:

    Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

    Dem könnte man hinzufügen:
    Wo kein Wille ist, gibt es viele Gründe (Ausreden).

    1. gorgias avatar
      gorgias

      Dann hat Andreas Hofer nur nicht genug “gewollt”?

      1. Egon Pramstrahler avatar
        Egon Pramstrahler

        Kann es sein, dass du nicht verstanden hast um was es hier geht?
        Oder glaubst du etwa der Andreas Hofer hätte die Selbstbestimmung gewollt? :D

      2. gorgias avatar
        gorgias

        @Egon Pramstrahler
        Ich weiss nicht ob Sie verstanden haben, was ich damit sagen wollte.
        Das Ziel mag vielleicht ein anderes gewesen sein, aber wenn es die Verhältnisse nicht hergeben wird man mit Wollen nicht weit kommen und am Ende die Situation noch verschlechtern. So ist es uns mit Andreas Hofer ergangen und so ist es uns in der Nachkriegszeit ergangen, als man die günstige Situation verpasst hatte den Rahmen für unsere Autonomie festlegen und uns am Ende mit dem Fetzen vom Gruber-DeGasperi-Abkommen begnügen mussten bis wir endlich 1972 eine halbwegs ordentliche Autonomie erkämpft haben.
        Jetzt haben wir die Möglichkeit die Autonomie auszubauen und wenn man mit politisch nicht durchsetzbaren Forderungen, wie ein Sezessionsreferdum daherkommt wird man diese Gelegenheit wiederum verspielen.
        Und der Spruch: “Wo ist ein Wille, ist auch ein Weg”, steht im luftleeren Raum und hat keinen Bezug zu den realen Möglichkeiten.

  4. ProEuregio avatar
    ProEuregio

    … das Eine sind die Grünen, und die Sog.VP …? – Autonomie ohne Ende, – in allen Varianten, – von Gnaden von Rom natürlich (lei net roglen)!
    – Warum: – um in Italien weiterhin und ewig (?) die Besten zu sein? – um ein paar Abgeordnete dafür zu “halten” (natürlich immer SVP-Soldaten/Innen) diese wie-auch-immer-Autonomie zu “verteidigen” …?!
    Eine Abstimmung zur Selbstbestimmung in Südtirol? – Wenn da nur nicht die Blamage des Jahrhunderts daraus entstünde …?

  5. pérvasion avatar

    Harald, verstehst du eigentlich, was die Mehrheitsverhältnisse mit der Spaltung der Gesellschaft zu tun haben sollen? Ich nicht. Wäre denn die Gefahr einer Spaltung kleiner, wenn es eine Mehrheit für die Selbstbestimmung bzw. für die Unabhängigkeit gäbe?

    1. hunter avatar
      hunter

      @pervasion
      logische erklärung gibt es keine.
      es ist einfach nur die macht des status quo (ein sehr starker konservatismus sozusagen), der der der beibehaltung eines zustandes unabhängig vom demokratischen willen ein höheres gewicht beimisst als der veränderung.
      ähnlich der “ewigkeitsklausel” im vertrag zwischen schottland und england oder dem “una e indivisibile”

  6. rüegg avatar
    rüegg

    Ein weiterer Grund warum eine Mehrheit für das Selbstbestimmungsrecht sein können ist auch die NATO-Mitgliedschaft Italiens. Selbständig (oder auch als Teil Österreichs) sind wir auch da heraus.
    Ich möchte nur an die NATO Geheimarmee Gladio erinnern, an Bologna mit 85 Toten u. 250 Verletzten. Und an unseren Staat/Rom der die eigenen Bürger hat umbringen lassen.
    Wenn das nicht schon genug Gründe sind das Weite zu suchen?!

    1. TirolaBua avatar
      TirolaBua

      Und dann versucht man es auch noch den Südtirolern in die Schuhe zu schieben (z.B. Porzescharte, Steinalm, Gsies, Mühlwald)

  7. Harald Knoflach avatar

    Noch ein Aspekt, der zeigt, wie mächtig der Status Quo ist:

    Heiss meint, dass im Falle eines uneinheitlichen Votums der Sprachgruppen eine Spaltung des Landes drohe.
    Doch funktioniert dieses Argument nicht auch umgekehrt?
    Droht keine Spaltung, wenn dem Wunsch eines großen Teiles der Bevölkerung nach einer Abstimmung nicht stattgegeben wird?

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