Die offizielle Empfehlung der SVP vom 7. November 2016 für ein JA zur Verfassungsreform der Regierung Renzi kam nicht überraschend und markiert eher Kontinuität als einen Wendepunkt: Die Kontinuität einer staatstragenden Partei.
Im Jahr 2006 hat die SVP zusammen mit dem PD die Verfassungsreform von Berlusconi und Bossi abgelehnt, die wegen ihrer Tendenz zum Präsidialsystem bedenklich war. Bezüglich der Rechte und Finanzen der Regionen hätte sie eine Klärung gebracht, Südtirol und dem Trentino ein echtes Vetorecht bei Statutsänderungen verschafft. Die jetzige Reform zentralisiert die Macht in einer Kammer und bei der Regierung, das ebenfalls von der SVP mitgetragene Italicum die Macht in einer Partei und bei ihrem jeweiligen Chef, während die autonomen Regionen aufs Einvernehmen mit der Regierung in der Anpassung ihrer Statuten an die neue Verfassung hoffen dürfen. Vielleicht wird Südtirol den Bestand auch halten können, der rechtliche und politische Gesamtkontext für den Ausbau der Autonomie verschlechtert sich eindeutig.
Dabei sind die Südtiroler heute auf einen solchen Ausbau, nicht auf bloßen status quo eingestimmt. Das Statut ist längst überholungsbedürftig, die SVP hat klare Vorstellungen zur Vollautonomie vorgelegt (vgl. VGE Nr.32/2013 von Zeller und Berger), der Autonomiekonvent kann sich kaum in kleinen Justierungen erschöpfen. Wo finden sich aber z.B. die 33 Reformvorschläge, die Luis Durnwalder dem Konvent der 33 auf den Weg gegeben hat? Der in allen Sprachgruppen verbreitete Wunsch nach einer vollständigeren Autonomie findet in der neuen Verfassung keine Entsprechung: Es gibt keine Klausel, die es den autonomen Regionen erlaubt, ihre Rechte wesentlich zu erweitern. Im Gegenteil: Die Schutzklausel ist auch eine Autonomie-Beschränkungsklausel.
Dabei hätte es durchaus Alternativen gegeben. Solche, die schon im Parlament von Oppositionsvertretern vorgelegt, aber von der Mehrheit abgelehnt worden sind. Oder das Beharren auf einem echten Vetorecht, wie schon in der Verfassungsreform von 2005 enthalten. Die Autonomiegruppe hätte eine explizite Ausnahme vom Suprematieprinzip im Art. 117 erwirken können. Die Trentiner und Südtiroler Vertreter hätten als Gegenleistung für ihre Zustimmung all das an Zuständigkeiten verlangen können, was sie erst im Jänner 2016 mit Verfassungsgesetzentwurf Nr.2220 getan haben. Mit anderen Worten: Die Zustimmung zu dieser Reform ist nicht von einem klaren Recht auf Erweiterung der Autonomie abhängig gemacht worden.
So scheint die SVP alles aufs Bündnis mit dem PD und Renzi zu setzen. Kurzfristig wird sich der PD mit Zugeständnissen gegenüber dem loyalen Südtiroler Partner auch erkenntlich zeigen. Doch Politiker kommen und gehen, Verfassungen überdauern sie meist. Einem klaren politischen Projekt für mehr Autonomie entspricht dieses JA der SVP zur Renzi-Verfassung sicher nicht. Dass eine Partei, die seit jeher für Autonomie steht, dem Rückbau des Regionalstaats Italien zustimmt, ohne klare Perspektive, die eigene Autonomie ausbauen zu können, ist vielleicht staatstragend und machterhaltend, aber nicht gerade weitblickend. Hier spielt sich das altbekannte Spiel des “do ut des” ab: Die SVP unterstützt in Rom eine PD-geführte Koalition und erhält einige Zugeständnisse, vor allem in Form von Durchführungsbestimmungen und halbwegs sicheren Finanzabkommen; dafür sitzt der PD in Bozen in der Koalition und erhält seine “poltrone” auf verschiedenen Ebenen.
Es scheint legitim, die Frage aufzuwerfen, ob diese Strategie für Südtirol im Sinne der Weiterentwicklung der Autonomie erfolgversprechend ist. Sollten die politischen Vertreter Südtirols nicht den Staat mit einem klaren Projekt des Ausbaus der Südtirol-Autonomie als “regione specialissima” konfrontieren, unabhängig von den zentralistischen Rückschritten der Renzi-Boschi-Reform? Sollte Südtirol die Unterstützung der Regierungsmehrheit nicht von klaren Zusagen bei der Erweiterung der Autonomie abhängen lassen, nicht bloß von unsicheren Schutzklauseln, die keine Garantien für Verbesserungen geben? Kompromisse werden unumgänglich sein, doch wäre es nicht Zeit, überhaupt mal legitime Forderungen als solche auf den Tisch zu legen?
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