Wir können uns noch an den Fahrplanwechsel im Dezember 2008 errinnern. Von den eh schon spärlichen sechs EuroCity Verbindungen auf der Brennerbahnlinie wurde ein Zugpaar gestrichen und die anderen Zugpaare teils im Zuglauf empfindlich gekürzt. (Der ehemals recht attraktive EC Michelangelo verkehrt seit Dezember nicht mehr nach Rom sondern nach Rimini, ein weiteres Zugpaar wurde von München – Verona auf München – Bozen reduziert). Besonders schlimm, seit Dezember 2008 verläßt der letzte EC Bozen Richtung München schon um 16.30 Uhr (bis Dez. 2008 18.30 Uhr) und München Richtung Bozen um 15.30 Uhr (bis Dez. 2008, 17.30 Uhr). Trenitalia hat einige Wochen vor Fahrplanwechsel völlig überraschend und gegen jegliche Abmachungen diese Änderungen kommuniziert, eine im internationalen Bahnverkehr recht unübliche Vorgangsweise, werden die Bahntrassen und internationalen Zugverbindungen zwischen den einzelnen Bahngesellschaften ja schon im März vereinbart.
Entsprechend verärgert war man bei den Partnerbahnen ÖBB in Österreich und DB in Deutschland, die die internationalen Züge auf der Brennerbahn zusammen mit Trenitalia führen. Diese beiden Bahngesellschaften, mit der notorischen Unzuverlässigkeit von Trenitalia schon seit längerem nicht mehr einverstanden, haben in Folge ein neues Betriebsmodell geplant. Der internationale Brennerverkehr soll in Zukunft mit einem anderen italienischen Partner, den Ferrovie Nord aus der Lombardei durchgeführt werden. Geplant waren wieder sechs Zugpaare und diese sollten allesamt von München bis Bologna verlängert werden. Dies ist aus Südtiroler Perspektive deshalb interessant, da in Bologna Anschluss an das italienische Hochgeschwindigkeitsnetz besteht.
Die Rechnung wurde ohne Trenitalia gemacht. Für jeden Zug müssen entsprechende Trassen beantragt werden. Plötzlich gab es für die sechs Zugpaartrassen einen Antrag von DB/ÖBB/Ferrovie Nord und wiederum Trenitalia, die sich angesichts des Interesses von potentiellen Konkurrenzbahnen nicht freiwillig zurückziehen wollten. Eine Situation, die es in dieser Art und Weise noch nicht gegeben hatte. Für die Trassenvergabe in Italien ist RFI (Rete Ferroviaria Italiana), der Bahnnetzbetreiber, zuständig, der faktisch von Trenitalia getrennt ist. Die überraschende Entscheidung: Trenitalia bekam die ursprünglichen Trassen und um 5 Minuten verschoben der Verbund DB/ÖBB/Ferrovie Nord, allerdings nicht bis Bologna sondern nur bis Verona. Bizarres Detail am Rande, während DB/ÖBB/Ferrovie Nord nun über eine durchgehende Trasse von München bis Verona verfügen, verfügt Trenitalia nur über die entsprechenden Trassen bis zum Brenner. Der Partner von Trenitalia in Österreich und Deutschland hat nur eine Güterverkehrs-Lizenz.
Laut letztem Stand der Dinge, wobei es immer wieder zu neuen Gerüchten und Überraschungen kommt, wird es ab Dezember 2009 bei den derzeitigen 5 Eurocity Zugpaaren bleiben. Diese werden von München-Verona und umgekehrt fahren und von DB/ÖBB/Ferrovie Nord geführt. Ob Trenitalia eigene Züge nur bis zum Brenner fahren lassen will bleibt deren Geheimnis, ist aber aufgrund Geldmangels unwahrscheinlich.
Ob das von DB/ÖBB/Ferrovie Nord geplante Projekt im Dezember 2009 ohne Schwierigkeiten gestartet werden kann ist ebenfalls nicht sicher. Es gibt verschiedenste Möglichkeiten hier Hürden zu erfinden. Ein Gerücht: Anscheinend hat die für das Projekt geplante Lokomotive für Italien nur eine Zulassung für 120 km/h. Zulassungen werden im Bahnverkehr immer noch von nationalen Behörden erlassen und in Italien kann dies schon mal mehrere Jahre dauern. Sollte die entsprechende Lokomotive keine Zulassung für 160 km/h bekommen, wäre der geplante Fahrplan für die EC Verbindungen nicht machbar.
Sollte das Projekt im Dezember 2009 wie geplant seinen Lauf nehmen, hätten wir zumindest das derzeitige Notprogramm von 5 internationalen Zugpaaren im Tagesverkehr. Ein Jahr später, also im Dez. 2010 soll dann auf 7 Zugpaare aufgestockt werden und diese sollen bis Bologna verlängert werden. Dies wäre dann schon ein Lichtblick, aber immer noch niedrigster Standard. Zum Vergleich: Zwischen der Zentralschweiz nördlich der Alpen und dem Tessin südlich der Alpen verkehren über die Gotthard Bahnlinie täglich 32 Zugpaare. Davon kann Südtirol nur träumen, aber wenn man bestimmte Entwicklungen jahrelang verschläft braucht man sich über die miserablen Resultate nicht wundern.
Fakt ist:
- Trenitalia hat sich im Brennerbahnverkehr als völlig unzuverlässig erwiesen. Schon seit Jahren gibt es Gerüchte, dass sich Trenitalia vom Fernverkehr zurückziehen möchte. Seit es ein neues Projekt gibt, werden aufgrund traditionell guter Kontakte zu Institutionen und RFI, Hürden in den Weg geworfen. In diesem Zusammenhang ist auch das Scheitern der Mischgesellschaft Cisalpino (Schweizer SBB und Trenitalia), die für den internationalen Verkehr zwischen Schweiz und Italien gegründet wurde, symptomatisch. Cisalpino wird im Dezember 2009 aufgelöst. Hauptgrund, die Unzuverlässigkeit des Partners Trenitalia.
Links: [Der Bund] [Pro Bahn] [SBB] - Südtirol hat die Bedeutung des Fernverkehrs auf der Brennerbahnstrecke (München-Innsbruck-Bozen-Verona-Bologna) für die wirtschaftliche, touristische und kulturelle Entwicklung unseres Landes jahrzentelang unterschätzt und verschlafen. Vielen Entscheidungsträgern unseres Landes (Landesregierung, SMG usw.) ist die Bedeutung eines funktionierenden Fernverkehrs auf der Brennerbahnlinie nicht bewusst. Entsprechend geringes Engagement vonseiten Südtirols hat es in diesem Bereich gegeben. Die Brennerbahn könnte unser Tor zur Welt sein – hier werden aber zig Millionen Euro unproduktiv in einen Provinz-Flughafen investiert. Die Entwicklung des Fernverkehrs auf der Brennerbahn hängt derzeit de facto von einzelnen Bahngesellschaften ab, die den Fahrplan ja nicht aufgrund der Bedürfnisse Südtirols erstellen, sondern eigenen Kriterien folgen. Daran ändert auch das DB/ÖBB/Ferrovie Nord Projekt wenig. Trotzdem, gute Kontakte zu diesen Bahngesellschaften könnten einiges verbessern. Derzeit verfügen unsere Entscheidungsträger häufig nicht einmal über diese Kontakte und machen deshalb auch keinen Einfluss Südtirols in der Fahrplangestaltung sichtbar.
- Die Kompetenzfrage. Häufig wird von Südtiroler Kreisen die mangelnde Kompetenz in dieser Materie ins Feld geführt. Dies ist faktisch ein Problem. Es gäbe aber verschiedenste Ansätze dem Problem zu begegnen. Bespiele: Gründung einer eigenen Bahngesellschaft zusammen mit Nordtirol und dem Trentino, die den Fernverkehr zwischen München und Bologna abwickelt. Mit den Milliönchen, die bis heute in den Flughafen geflossen sind, aufgestockt durch einen entsprechenden Beitrag aus Nordtirol und dem Trentino hätte man durchaus etwas bewegen können, aber die Europaregion dient ja in erster Linie Sonntagsreden und als Argument gegen Unabhängigkeitsforderungen in Südtirol. Zukunftsweisende Projekte wurden damit noch keine verwirklicht.Übrigens: man könnte auch mal ganz formell die Zuständigkeit für die Brennerbahnlinie verlangen. Wer nie etwas verlangt bekommt auch nichts. Unter Zuständigkeit ist hier die Betreibung der Bahnstrecke zu verstehen, also der Job den momentan RFI macht. Warum sollte Südtirol dies nicht besser bewältigen? Nicht nur der Fernverkehr, auch der Nahverkehr würde davon profitieren.
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