Die römische Zentralregierung hat wieder einmal ein Landesgesetz — bzw. Teile davon — angefochten. Diesmal handelt es sich um zwei Artikel eines sogenannten Sammelgesetzes (LG 71/2016), die angeblich gegen die »Grundsätze der Rechtsordnung der Republik« verstoßen. Es handelt sich um Vorschriften bezüglich der Hausärzte (Dauer der Vertragsbindung) und der Betriebskontrollen.
Der Corriere berichtet in seiner Südtirolbeilage von letztem Sonntag, dass Karl Zeller (SVP) diese Anfechtung als ein unschönes Signal bezeichnet, da der Staat die Differenzen auf dem Verhandlungsweg hätte ausräumen können, anstatt den konfliktreichen Weg über das Verfassungsgericht zu wählen. Für die Landesregierung handle es sich dabei um eine »kalte Dusche«. Landeshauptmann Arno Kompatscher habe bereits Kontakt zur Zentralregierung aufgenommen, um den Weg vor das Verfassungsgericht zu vermeiden.
Wahrscheinlich läuft es auf einen erneuten Kniefall hinaus. Postfaschist Alessandro Urzì hatte ja schon Ende 2013 einen Vorschlag gemacht, wie man zentralstaatskonform — faktisch — auf die Autonomie verzichten könnte: Ungeachtet der eigenen Zuständigkeiten alle Landesgesetze präventiv mit der Zentralregierung verhandeln.
Hier (ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit) eine kleine Chronologie der Anfechtungen, Konflikte und Angriffe auf die Autonomie:
- Im Februar 2006 erklärt das Verfassungsgericht das gesamte Rauchergesetz des Landes für gegenstandslos. Südtirol sei dafür nicht zuständig.
- Im Februar 2010 hebelt das italienische Verfassungsgericht (mit Urteil Nr. 45) die Zuständigkeit des Landes in der Vergabegesetzgebung aus. Darauf folgen weitere Einschränkungen in den Jahren 2012 (Urteil Nr. 74) und 2013 (Urteil Nr. 187).
- Im Jänner 2011 geht die römische Regierung gegen das Südtiroler Glücksspielgesetz vor, das die Errichtung von Spielstätten in der Nähe von Schulen und anderen sensiblen Einrichtungen untersagt.
- Im Mai 2011 untersagt die Zentralregierung dem Land Südtirol, in der Nähe der faschistischen »Beinhäuser« auf staatlichem Grund erklärende Tafeln anzubringen.
- Entgegen einer Verpflichtung durch den Senat (auf Antrag von Senator Oskar Peterlini) widersetzt sich Minister Elio Vito einer Gleichstellung der deutschen mit der italienischen Sprache bei der Integration von MigrantInnen.
- Im Dezember 2011 ficht die erst kürzlich eingesetzte Regierung von Mario Monti das von SVP, PD und Grünen verabschiedete Zuwanderungsgesetz an.
- Im März 2012 wird von der Zentralregierung das Landesjagdgesetz angefochten.
- Im Mai 2012 teilt die Regierung dem Land Südtirol mit, dass nur sie selbst für Handel und Konkurrenz zuständig sei.
- Im Juni 2012 hebt das Verfassungsgericht einen Passus des Landesraumordnungsgesetzes auf und weist auf den Vorrang der staatlichen Normen hin, obschon Südtirol in diesem Bereich die primäre Zuständigkeit innehat.
- Ebenfalls im Juni 2012 wird die Südtiroler Haushaltsgebarung unter die Kontrolle eines römischen Aufpassers gestellt.
- Im November 2012 schränkt das römische Kassationsgericht die Gleichstellung der deutschen Sprache in Südtirol (als Gerichtssprache) auf Einheimische ein. Italien wird dafür vom EuGH verurteilt.
- Nach Verabschiedung des Ortsnamengesetzes durch den Landtag wird dieses von der Regierung Monti — auf Wunsch von Donato Seppi, Alessandro Urzì und Maurizio Vezzali — vor dem Verfassungsgericht angefochten, obschon es einen breiten sprachgruppenübergreifenden Konsens gibt.
- Im Jänner 2013 ficht die Regierung Monti die Regelung des Freiwilligenjahres des Landes an.
- Im Juni 2013 ficht die Regierung von Enrico Letta (PD) einen wichtigen Passus des Südtiroler Handelsgesetzes an.
- Im Juli 2013 unterstreicht Graziano Delrio, Regionenminister der Regierung Letta, dass die Anfechtung des Ortsnamengesetzes aufreicht bleibt.
- Ebenfalls im Juli 2013 wird klar, dass auch die »autonomiefreundliche« Mittelinksregierung gegen den Willen des Landes an der Schließung der Bezirksgerichte festhält.
- Im September 2013 spricht sich die römische Regierung dagegen aus, den Schutzhüttenbetreibern das Aufhängen der italienischen Flagge freizustellen.
- Im November 2013 entscheidet das Verfassungsgericht, dass nicht das Land Südtirol für die Standortdefinition von neuen Apotheken zuständig sei, sondern der Staat.
- Im Dezember 2013 bestraft die Straßenpolizei in Pordenone einen Südtiroler Frächter, weil der Arbeitsvertrag des Fahrers in deutscher Sprache verfasst war.
- Im Februar 2014 beschließt die Landesregierung, das Stabilitätsgesetz der Regierung Letta anzufechten, weil es autonome Befugnisse missachte.
- Ebenfalls im Februar 2014 spricht sich der designierte Premier Renzi für die zentralstaatliche Suprematie aus.
- Im Mai 2014 greift das Verfassungsgericht erneut in die Südtiroler Raumordnung ein.
- Im August 2014 ficht das Land ein Dekret des Innenministeriums an, mit dem Südtirol zu IMU-Ausgleichszahlungen verpflichtet würde.
- Im November 2014 will die römische Regierung auch Südtirol dazu zwingen, gegen seinen Willen Abfälle aus anderen Regionen zu importieren.
- Im Oktober 2014 verklagt die Spitalsärztegewerkschaft BSK/VSK Italien vor dem Europäischen Gerichtshof, weil sich das Wissenschaftsministerium weigert, Südtiroler ÄrztInnen die österreichische Facharztausbildung anzuerkennen.
- Ebenfalls im Oktober 2014 schließt das Land mit dem Staat einen neuen Finanzpakt, nachdem das alte (Mailänder Abkommen) von Rom systematisch missachtet wurde. Mit dem neuen Abkommen verzichtete das Land auf Finanzmittel in Milliardenhöhe — weil der Staat sie sowieso nie zurückbezahlt hätte, wie es hieß.
- Die Ministerin für Verfassungsreformen, Maria Elena Boschi (PD), hält während des Parteitags in Florenz eine flammende Rede für die Abschaffung der Sonderautonomien.
- Im Dezember 2014 rekurriert die Regierung Renzi gegen das Handelsgesetz des Landes. Schon im September hatte sie die Liberalisierungen von Monti auch für die Sonderautonomien bestätigt.
- Im Jänner 2015 wendet sich das Land ans Verfassungsgericht, weil der Staat in die autonomen Zuständigkeiten bezüglich Gastgewerbe eingreift und auch in Südtirol Hotels in Miteigentum gestattet.
- Im Mai 2015 ordnet die Präfektur an, auch in Südtirol öffentliche Gebäude feierlich zu beflaggen, um an den italienischen Kriegseintritt im Jahre 1915 zu erinnern. Die meisten Gemeinden und das Land widersetzen sich der Anordnung.
- Im Oktober 2015 ficht die Landesregierung zwei Ausschreibungen von Polizeistellen an, weil sich der Staat nicht um die Zweisprachigkeit schert.
- Im November 2015 muss die Landesregierung auf eine Aufweichung der Zweisprachigkeitsbestimmungen für Notare reagieren. Auch eine zentralistische Arbeitsmarktreform gefährdet sowohl autonome Befugnisse, als auch die Zweisprachigkeit.
- Im Februar 2016 bringt die Zentralregierung die neue, vom Landtag genehmigte Buchhaltungs- und Finanzordnung der Gemeinden vors Verfassungsgericht.
- Ebenfalls im Februar 2016 ruft das Land das Verfassungsgericht an, weil die Zollbehörde systematisch Recht bricht, um Proporz und Zweisprachigkeitspflicht zu umgehen.
- Im März 2016 beschließt der Landtag die Anfechtung des staatlichen Stabilitätsgesetzes wegen Eingriffen in autonome Befugnisse des Landes.
- Im Juli 2016 weigert sich die Regierung Renzi, die Zuständigkeit für die Ahndung von Zweisprachigkeitsverstößen ans Land abzugeben.
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