Ich möchte hier einige Überlegungen zu Vorkommnissen der letzten Tage loswerden, die in direktem oder indirektem Zusammenhang mit der Fußball-Europameisterschaft stehen:
- Der Landtag hat einen Antrag der Süd-Tiroler Freiheit teilweise genehmigt, mit dem sie forderte, die Aufnahme Südtirols in die UEFA und in die FIFA zu beantragen.
- Genehmigt wurde ausschließlich der Teil, mit dem vorgeschlagen wurde, sich bei Gibraltar und Färöer Inseln zu informieren, wie es ihnen gelungen ist, UEFA- und FIFA-Mitglied zu werden. Nicht genehmigt wurde die Forderung, einen Mitgliedsantrag zu stellen. Die Südtiroler Medien waren fast ausnahmslos außerstande, auf diesen Umstand hinzuweisen.
- Die Genehmigung des Antrags wurde unter anderem mit dem Argument ins Lächerliche gezogen, dass Südtirol klein sei, keine Fußballtradition aufweise und bei internationalen Bewerben schlecht abschneiden würde. Wenn dies ein Maßstab wäre, müssten sich unzählige vor allem kleine (aber auch große) Staaten von UEFA und FIFA abmelden. Gerade Island mit rund 300.000 Einwohnerinnen hat bei der laufenden EM aber bewiesen, dass auch kleine Staaten mit der nötigen Vorbereitung einen Achtungserfolg erzielen und sich im Übrigen auch dann freuen können, wenn sie die Meisterschaft nicht gewinnen.
- Hans Heiss (Grüne) stimmte dem ersten Teil des Antrags zwar ebenfalls zu, gab jedoch zu bedenken, dass es sich bei UEFA und FIFA um »mafiöse« Verbände handle. Wenn man so argumentiere, antwortete ihm Sven Knoll (STF) gar nicht ungeschickt, müsse man wohl auch für die Loslösung von Italien sein. In jedem Fall aber kann es nicht sein, dass Südtirol wieder einmal päpstlicher als der Papst sein und Verbände boykottieren soll, denen die ganze Welt angehört. Außerdem ist die Alternative ja nicht, aus UEFA und FIFA auszuscheiden, sondern die, weiterhin über Italien daran beteiligt zu sein.
- Kaum thematisiert wurde indes, dass eigene Südtiroler Sportmannschaften, die auf internationaler Ebene antreten, einen wenigstens teilweisen Ausstieg aus dem Nationalismus gestatten würden, der sich bei Fußballwelt- und -europameisterschaften regelmäßig zeigt. Eigene Teams, die sich nicht nach »nationalen« Kriterien, sondern territorial-inklusiv zusammensetzen, wären ein Schritt in die richtige Richtung, die trennenden Nationalismen zu überwinden.
- Hätte man einseitig nicht die Aufnahme in die UEFA und die FIFA, sondern in einen Wintersportverband gefordert, hätte es mit großer Wahrscheinlichkeit geheißen, Südtirol solle sich doch auch in Sportarten, in denen es traditionell nicht gut abschneidet, von Italien trennen (eben zum Beispiel im Fußball).
- Dass Färöer Inseln und Grönland von Dänemark einen quasi staatlichen Status zuerkannt bekommen haben und auch eigenständig an internationalen Bewerben teilnehmen können, während dies hierzulande quasi als Sakrileg dargestellt wird, zeigt, wie weit entfernt wir von echter Toleranz und Respekt für unsere vielfältige Andersartigkeit noch sind.
- Ähnlich gelagert ist der Fall von Landesrat Philipp Achammer, der es gewagt hat, auf Facebook ein Foto zu posten, auf dem er (gemeinsam mit seiner Freundin) am Abend des Spiels Italien gegen Deutschland das Trikot der deutschen Nationalmannschaft trägt.
- Natürlich müssen Politikerinnen selbst wissen, ob es sinnvoll ist, sich im Fan-Outfit zu zeigen. Andererseits sind es gerade auch die Südtiroler Medien, die im Vorfeld von (und während) internationalen Fußballbewerben nachfragen, zu welcher Mannschaft die Politikerinnen halten — und es ist bekannt, dass die meisten entweder zu Italien oder zu Deutschland halten. Auch hier könnte (siehe oben) ein Südtiroler Team für etwas Entspannung sorgen.
- Der daraufhin entstandene Shitstorm macht allerdings fassungslos, da er aufzeigt, wie wenig Toleranz es hierzulande für das Fanverhalten der anderen gibt.
- Ins Auge sticht dabei, dass auch deutschsprachige Südtirolerinnen dem Landesrat den völlig dummen Vorwurf machen, »italienisches Geld« zu nehmen, und dann zu einer »fremden« Mannschaft zu halten.
- So überflüssig es eigentich sein sollte, das zu sagen: Das Geld, das Herr Achammer bekommt, ist nicht »italienisch«, sondern kommt von allen Südtiroler Steuerzahlerinnen und ist nicht an eine Nationalität gebunden. Der Landesrat könnte sich auch gar nicht aussuchen, Geld von anderen (z.B. Deutschland) zu nehmen. Vergleiche auch hier.
- Mit der Entgegennahme eines Gehalts geht auch selbstverständlich keinerlei direkte oder indirekte Verpflichtung einher, einer bestimmten Mannschaft die Daumen zu drücken oder sich anderweitig als »Italiener« zu fühlen, solange wir in einem freien Rechtsstaat und in einer Demokratie leben.
- Wenn wir diese — mit Verlaub — bescheuerte »Logik« weiterdenken, sind wir nicht weit davon entfernt, dass wir nur noch Italienisch (und nicht mehr eine »fremde« Sprache) sprechen sollten.
- Allerdings machen die Reaktionen auf Achammers Foto auch deutlich, welch unsägliche Zusammenhänge und Loyalitäten gegenüber dem Nationalstaat in den Augen vieler Mitbürgerinnen allein durch die Tatsache entstehen, dass Südtirol offiziell zu Italien gehört, wenn auch als teilweise autonomes Land. Das ist eine wirkungsmächtige Kraft, für die der Nationalstaat gar nicht aktiv etwas tun muss — hier spielt die Zeit ganz eindeutig für ihn und seine (gewollte oder ungewollte) assimilatorische Wirkung.
- Mehrfach war zu hören und zu lesen, dass der Landesrat — wennschon — zu Österreich halten müsste und nicht zu Deutschland. Mal davon abgesehen, dass er halten darf, zu welcher Mannschaft er möchte, gerne auch zu Wales oder Belgien, ist den meisten nicht klar, dass das Gegenstück zum Daumendrücken für Italien aus nationalistischer Sicht das Daumendrücken für Deutschland ist. Denn im nationalen Sinne sind die deutschsprachigen Südtirolerinnen nicht Österreicherinnen, sondern Deutsche. (Nicht alle, die in Südtirol zu Deutschland oder Italien halten, tun dies aber aus einem »nationalistischen« Grund.)
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