In der Neuen Südtiroler Tageszeitung sind unlängst ein Leitartikel von Arnold Tribus und ein Kommentar von Georg Lezuo erschienen — zu unterschiedlichen Themen zwar, aber dennoch mit einer frappierenden Gemeinsamkeit: zelebrierte Widersprüchlichkeit.
Tribus schreibt als Reaktion auf eine Pressemitteilung der STF, in der Carolina Kostner scharf kritisiert wird, weil sie anlässlich des italienischen Staatsfeiertages am 2. Juni auf Facebook “Un selfie in onore della Repubblica Italiana: il mio paese!!! Honoured to be Italian!” gepostet hatte:
Ich finde es hingegen ein starkes Stück, wenn eine Partei einer Südtirolerin, einer Ladinerin zudem, vorschreiben will, als was sie sich zu empfinden hat. Das ist die übliche Frage, die auch italienische Nationalisten und dumme Journalisten unseren [sic!] Sportlern stellen: Ma lei si sente italiano o tedesco. [sic!]
Tribus hat völlig recht. In einem freien Land kann jeder und jede sich fühlen als das, was er oder sie möchte und dies auch öffentlich kundtun. Jemandem eine Identität vorschreiben zu wollen, ist genau das Denkmuster, das zu den nationalistischen Katastrophen — unter denen Südtirol leidet — geführt hat.
Erstaunlicherweise verfällt auch Tribus in der Folge jenem Denkmuster, das er eben noch zurecht kritisiert hat und rechtfertigt dies mit dem stichhaltigsten aller Argumente: “Ja, weil es halt so ist.”
Es ist nun einmal so, dass der große Sport an Nationen gekoppelt ist. Die Olympiade [sic!] ist ein Wettstreit der Nationen, unsere Sportler müssen mit dem italienischen Team starten, ob es ihnen passt oder nicht […]. Freilich, in Südtirol wird ja regelmäßig von einer eigenen Sportnation Südtirol geträumt. Immer dann wenn unsere [sic!] Sportler die Nationalhymne singen oder summen müssen, kommt die Forderung, man möge doch endlich Schluss machen mit dem Zirkus, die Selbstbestimmung ausrufen und den Sportlern diese Schande ersparen, für ein fremdes Land in fremden Farben kämpfen zu müssen. Der große Armin Zöggeler, durch und durch ein Südtiroler, der so oft die Ehre Italiens gerettet hat, wusste sich zu bewegen, er wusste, für wen er an den Start geht, schämte sich nicht, als Azzurro die Tricolore überzuziehen […]. So ist der Sport. Warum sollte sich ein Sportler schämen, für das Land einzustehen, das ihm die Erfolge ermöglicht?
Vorbei ist es also mit der Wahlfreiheit. Wenn es um den Status Quo, um die bestehenden Nationalstaaten geht, hat man sich zu fügen, anzupassen und die eigene Überzeugung oder Identität mitunter hintanzustellen. Tribus docet.
Beinahe noch widersprüchlicher ist Georg Lezuos Beitrag über vandalisierte Wander-Wegweiser. Lezuo bringt es zuwege, Antifaschismus mit der zwingenden Duldung faschistisch belasteter Exonyme in Verbindung zu bringen und verwechselt konsequent Zweisprachigkeit mit Zweinamigkeit.
Lange schien es so, als wären Epochen wie Nationalsozialismus und Faschismus überwunden, als hätten Ideologien der Menschenfeindlichkeit in unserer demokratischen Gesellschaft keine Chance mehr. Antifaschistisch zu sein galt [sic!] bis in die 1990er Jahre hinein zum guten Ton, bis der Wind Richtung änderte und Toleranz als Gutmenschentum angeprangert und eine weitherzige Identität als Multi-Kulti restlos verspottet und schlecht gemacht wurde.
Wenngleich ich mir nicht sicher bin, ob Lezuos Befund stimmt, so wäre die Aussicht auf eine entnazifizierte und entfaschistisierte Gesellschaft sowie auf Toleranz und weitherzige Identitäten eine sehr schöne.
Warum sich diese (antifaschistische) Toleranz und Weitherzigkeit aber ausgerechnet auf die Manifestation faschistischer Intoleranz und Allmacht erstrecken muss, weiß wohl nur Lezuo selbst.
Der gelernte Tiroler weiß auch ohne Lezuos Aufklärung über Andreas Hofers Italienischkenntnisse, dass das historische Tirol ein mehrsprachiges Land war und nach wie vor ist. Er weiß aber auch, dass es in der “Causa AVS-Schilder” nicht um die italienische Sprache an sich oder gar die Eliminierung derselben, sondern ausschließlich um faschistisch belastete, aufoktroyierte, erfundene Exonyme geht. Vielerorts (Katalonien, Aosta usw.) wurden diese im Zeichen des Antifaschismus (!) eliminiert. Für Lezuo hingegen ist der Einsatz für den — auch von der UNO international geförderten — Gebrauch von endonymen Ortsbezeichnungen mit Engstirnigkeit und Kleinkariertheit gleichzusetzen. (Wobei ich das Besudeln von Wegweisern in dieser Hinsicht als kontraproduktiv und nicht zielführend erachte).
Was unsere engen Grenzen betrifft, so kann man, beispielsweise auf Wanderwegen, nicht allzu selten bemerken, dass es, um Intoleranz zu praktizieren, keiner Migranten oder Flüchtlinge bedarf, es genügen bereits einheimische Sprachgruppen, denen kleinkarierte Geister am liebsten den Kragen umdrehen würden, wenn sie nur dürften. […] Auf zweisprachig [sic!] gehaltenen Hinweisschildern wurden auf Italienisch wiedergegebene Toponyme durchgestrichen, was wohl heißen sollte: Man will dem Italienischen seine Daseinsberechtigung absprechen. […] Arme Menschen kann man jene nennen, die selbst keine Identität haben, schlussendlich ist es nicht Patriotismus, wenn man mit etwas, was der eigenen Engstirnigkeit nicht entspricht, nicht leben kann, sondern nichts weiter aus [sic!] pure Angst und Verunsicherung.
Bezüglich der groben Unterstellung, die Schildbeschmierer würden den italienischsprachigen Mitbürger gegenüber am liebsten Gewalt anwenden, erspare ich mir einen Kommentar.
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