Dem Vernehmen nach hat für 50 Prozent der Österreicher heute der Weltuntergang stattgefunden. Und für die anderen 50 Prozent wurde er abgesagt. Ein Plädoyer, die Kirche im Dorf zu lassen. #alarmismusoff
Das ist eine Schicksalswahl für ganz Europa.
Jein. Natürlich wäre es ein starkes Signal gewesen, hätte Österreich ein rechtspopulistisches Staatsoberhaupt bekommen. Aber mindestens genauso stark ist das Signal, dass Österreich als wohl erstes Land weltweit einen Kandidaten aus dem grünen Lager in einer Volkswahl zum Präsidenten gemacht hat. (In Lettland gibt es seit dem vergangenen Jahr einen grünen Präsidenten, der vom Parlament gewählt wurde).
Gleichzeitig war die Bedeutung, die dieser Wahl sowohl innerhalb des Landes als auch international beigemessen wurde, maßlos überhöht. Der Bundespräsident ist ein Symbol – aber realpolitisch ist seine Bedeutung gering. Die im Wahlkampf ständig geäußerten Forderungen nach Reformen, Veränderungen oder Richtungswechseln müssten eigentlich in Richtung neuer Regierung gehen. Stattdessen wurden in die jeweiligen Bundespräsidentschaftskandidaten Erwartungen gesetzt, die diese – allein schon aufgrund der verfassungsrechtlichen Ausstattung des Amtes – niemals erfüllen werden können.
Österreich ist jetzt ein gespaltenes Land.
Jein. Auf den ersten Blick sieht es danach aus. Der Westen wählt Van der Bellen, der Osten (mit Ausnahme Wiens) Hofer. Die Städte wählen Van der Bellen, das Land Hofer. Die Frauen wählen Van der Bellen, die Männer Hofer. Die formal Höhergebildeten wählen Van der Bellen, die formal weniger Gebildeten Hofer. Die Beamten und Angestellten wählen Van der Bellen, die Arbeiter Hofer. Es gibt also gleich mehrere Bruchlinien. Diese sind jedoch nicht neu. Sie sind nur durch die besondere Konstellation der beiden Stichwahlkandidaten (linke und rechte Opposition) stärker hervorgetreten und durch einen vor allem auf den Social-Media-Plattformen sehr emotional geführten Wahlkampf überbetont worden. Wenn sich ein Grüner und ein Blauer matchen polarisiert das natürlich mehr, als wenn sich ein Schwarzer und ein Roter – die der Mitte näher sind – gegenüber stehen.
Wir haben einen gewaltigen Rechtsruck erlebt.
Jein. Die Mehrheit bei bundesweiten Wahlen in Österreich war seit einigen Jahrzehnten mit wenigen Ausnahmen (z.B. Wahl Heinz Fischers) immer rechts der Mitte verortet. Die bürgerlich-konservativ-nationale “Reichshälfte” war trotz der Dominanz der SPÖ immer die zahlenmäßig größere. Die Mehrheitsverhältnisse zwischen links und rechts sind bei dieser Bundespräsidentschaftswahl daher in etwa gleich geblieben – ja sie haben sich sogar leicht Richtung links gedreht. Linksruck ist das trotzdem keiner. Die Mehrheitsverhältnisse sind lediglich auf beiden Seiten – zumindest in der Stichwahl mangels Alternativen – weiter an den Rand gerückt. Hofer ist rechter als die ÖVP bzw. Khol, Van der Bellen linker als die SPÖ bzw. Hundstorfer. Die Schnittmenge zwischen Khol und Hundstorfer ist demnach größer als zwischen Hofer und Van der Bellen. Ein Großteil der Wählerschaft hat deshalb einfach weiter über seinen Schatten springen müssen als bisher. Und so haben viele – obwohl sie noch nie in ihrem Leben FPÖ gewählt haben – Hofer gewählt, um “den Linken” zu verhindern (31 Prozent der Hofer-Wähler gaben dies als Motiv an). Gleichzeitig haben viele, die mit den Grünen nichts am Hut haben, Van der Bellen gewählt, um Hofer zu verhindern (laut Exit Polls 49 Prozent der Wählerschaft Van der Bellens).
Zwar sind vor allem die 35 Prozent, die Hofer im ersten Wahlgang gewählt haben, beachtlich, jedoch in einem europäischen Kontext betrachtet nicht absonderlich (Stichwort Ungarn, Polen, Frankreich …). Und obwohl sich im Wahlkampf mit Ausnahme des bedeutungslosen Teams Stronach die Eliten aller – auch konservativen – Parteien auf Seiten Van der Bellens schlugen, sind ihnen die Wähler offenbar nicht gänzlich gefolgt, denn sonst hätte der Sieg Van der Bellens deutlicher ausfallen müssen. Davon jetzt aber abzuleiten, dass die FPÖ derzeit grundsätzlich als Partei ein Wählerpotential von 50 Prozent habe, ist wohl ein Fehlschluss.
Österreich ist knapp davorgestanden, ein autoritärer Staat zu werden.
Definitv nein. Die FPÖ ist eine rechtspopulistische bis rechtsradikale Partei. Sie ist aber nicht rechtsextrem. Hofer ist “stramm rechts” aber auf jeden Fall kein Nazi (Politikwissenschafter und Rechtsextremismusexperte Reinhold Gärtner). Ihn als solchen zu bezeichnen, wäre eine Verharmlosung des Nationalsozialismus und überdies kontraproduktiv.
Vor allem die Wahlkampfankündigung des freiheitlichen Präsidentschaftskandidaten, ein neues Amtsverständnis pflegen zu wollen, sorgte für Furore. Das Ansinnen Hofers wäre jedoch verfassungsrechtlich gedeckt, denn der Bundespräsident pflegte bislang in der Verfassungswirklichkeit einen weitgehenden freiwilligen Machtverzicht. Dennoch ist die Macht des UHBP, auch wenn sie voll ausgeschöpft wird, begrenzt. Durch eine etwaige Entlassung der Regierung beispielsweise ändern sich ja die Mehrheitsverhältnisse im Parlament nicht. Ohne diese Parlamentsmehrheit, auf die der Bundespräsident keinen Einfluss hat, ist ein struktureller Umbau des Staates nicht möglich.
Auch die Angst, Österreich könnte dem polnischen oder ungarischen Weg folgen, scheint unbegründet. Polen und Ungarn sind junge, noch fragile Demokratien, während Österreich mittlerweile zu den stabilsten Ländern der Welt zählt. In sämtlichen, für das Funktionieren einer Demokratie maßgeblichen Rankings (Pressefreiheit, Rule of Law, Democracy-Index usw.), liegt das Land unter den besten 15 der Welt. Die Gewaltenteilung und Kontrollmechanismen zu übergehen bedürfte daher schon eines riesigen Maßes an Anstrengung, die im Moment wohl keine politische Kraft im Lande aufzubringen im Stande respektive gewillt ist.
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