Angesichts der jüngsten ETA-Attentate in Spanien und auf den Balearen möchte ich hier einige Hintergrundinformationen bereitstellen, die vielleicht zu einem besseren Verständnis der aktuellen Lage in Euskadi beitragen können. Ich will jedoch ausdrücklich unterstreichen, dass ich (a) keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, weil ich die Sachlage nicht bis ins kleinste Detail kenne und vor allem (b), dass ich jede Form von Gewalt zur Lösung politischer Konflikte aufs Entschiedenste und Schärfste verurteile. Alles, was die Strategie der ETA auf irgendeine Weise »erklären« kann, soll und darf nicht als Rechtfertigung verstanden werden.
Juan José Ibarretxe (lies: Ibarretsche), der ehemalige Lehendakari (Regierungschef des Baskenlandes) hatte vor einigen Monaten einen ehrgeizigen, aber strikt demokratischen Zeitplan für ein Unabhängigkeits-Referendum vorgelegt. Er gehört der christdemokratischen baskischen EAJ/PNV an, der übrigens kein Nahverhältnis zur ETA vorgeworfen werden kann. Die Aushandlung eines endgültigen Waffenstillstands der ETA war unverzichtbarer Teil des Plans.
Kurz vor den Wahlen zum baskischen Parlament, die am 1. März laufenden Jahres stattgefunden haben, verbot das spanische Verfassungsgericht zwei Parteien, die bereits die nötigen Unterschriften gesammelt hatten und von den zuständigen Wahlgremien zugelassen worden waren. Dabei handelt es sich um Askartasuna sowie um D3M (»Demokratie 3 Millionen«), welche beide der sogenannten ezkerra abertzale, der revolutionären, unabhängigkeitswilligen Linken zuzurechnen sind. Einer breiten Schicht der baskischen Bevölkerung kam so von einem Tag auf den nächsten ihr politischer Bezugspunkt abhanden – und zum ersten Mal seit Francisco Franco stand damit keine abertzale Partei zur Wahl.
Ideologisch und politisch ist die ezkerra abertzale der ETA sehr nahe. Auf das Verbot hin rief D3M ihre Sympathisanten zur ungültigen Wahl auf, indem sie die Partei einfach trotzdem wählen sollten — was aufgrund des spanischen Wahlsystems möglich ist. Bei den Parlamentswahlen gab es dann rund 100.000 ungültige Wahlzettel. Zum Vergleich: Bei vorhergehenden Wahlen waren es noch 4.000 gewesen. Dies lässt auf 6 oder 7 Sitze für D3M (von 75 im basikschen Parlament) schließen. Dabei ist jedoch noch nicht berücksichtigt, dass Wählerstromanalysen zufolge nicht wenige Abertzales für Ibarretxes EAJ/PNV gestimmt haben oder zu Hause geblieben sind.
Obwohl EAJ/PNV mit 38,5% der Wählerstimmen die größte Fraktion im baskischen Parlament stellt, wurde sie von allen Koalitionsverhandlungen von vornherein ausgeklammert. Das Spiel machten die rechtskonservative Volkspartei (Partido Popular) und Zapateros PSE-PSOE (Partido Socialista de Euskadi) unter sich aus. Mit Duldung der Konservativen stellt der PSE mit Patxi López nun zum ersten Mal den Lehendakari — und eine Minderheitsregierung. Die spanientreuen Parteien haben also dafür gesorgt, dass EAJ/PNV zum ersten Mal seit der spanischen Demokratisierung aus der baskischen Regierung ausgeschlossen wurde, was freilich ohne das Verbot der ezkerra abertzale nicht gelungen wäre.
Die ersten hundert Tage der aus dem Abkommen von Konservativen und Sozialisten hervorgegangenen Regierung waren vor allem von Symbolik geprägt. So hängt jetzt zum ersten Mal eine spanische Flagge am Regierungssitz des Lehendakari. Sogar die Landkarte Euskadis im landeseigenen Fernsehen ETB musste dran glauben: Sie wurde auf die Grenzen der offiziellen Region Baskenland zurechtgestutzt — ohne Nafarroa und ohne den französischen Teil des Baskenlandes*.
Die jüngsten Entwicklungen in Spanien und dem Baskenland sind also auch in diesem Lichte zu betrachten. Wäre all dies geschehen, wenn sich der Zentralstaat und die ihm treuen Parteien nicht vor der Meinung der baskischen Bevölkerung gefürchtet hätten? Und — falls dies der Grund für diese »Verschwörung« war: Hat man dann nicht mit allen Mitteln dafür gesorgt, dass dem (mutmaßlichen) Willen der Bevölkerung nicht entsprochen wird, ja, dass er nicht einmal demokratisch ausgedrückt werden kann?
*) Zum Vergleich: Das katalanische Fernsehen berücksichtigt bei Einblendungen das gesamte »katalanische« Gebiet, einschließlich València, den Balearen, Nordkatalonien (Frankreich) und L’Alguer/Alghero (Sardinien).
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