Es ist gut möglich, dass gerade die komplexeste Aufgabe vollendet hat, die je von Menschenhand angegangen wurde: eine Übersicht über Parteigründungen, -auflösungen, -umbenennungen, -übertritte und -bündnisse der italienischen Rechten Südtirols anhand von 17 der wichtigsten Bozner Exponenten dieser Spezies der vergangenen 30 Jahre. (Für eine optimale Darstellung wird der Ankauf eines 72-Zoll-Bildschirms empfohlen).
Der Swingerclub der italienischen Rechten Südtirols
Trotz aller Bemühungen und wochenlanger Recherchen sind sämtliche Angaben ohne Gewähr und ohne Anspruch auf Vollständigkeit. In der Grafik haben wir uns für eine Auflistung nach Jahren entschieden, was sich im Nachhinein als unzureichend – oder zumindest als potenzielle Unschärfe – herausstellte, da einige ihre Parteizugehörigkeit im Monatsrhythmus wechselten. Rekordhalterinnen dabei sind Fratelli-d’Italia-Enfant-Terrible Maria Teresa Tomada (Ex-AN, Ex-PdL, Ex-Lega, Ex-PdL) und Liberal PDs Vorzeigelinke Elena Artioli (Ex-SVP, Ex-Lega, Ex-Team Autonomie), die es zuwege brachten, innerhalb nicht einmal zwei Jahren drei Parteiwechsel zu vollziehen. Die schöne Helena war 2013 für die Lega im Landtag. Für die Wahlen im selben Jahr gründete sie das Team Autonomie und zog als dessen Listenführerin neuerlich in den Landtag ein. Mitte 2014 wurde sie trotz gehörigen Widerstands Koordinatorin des so genannten Liberal PD – des liberalen Flügels der Demokratischen Partei. Tomada trat 2009 von AN zum PdL über, wechselte 2010 anlässlich der Gemeindewahlen zur Lega, wurde über deren Liste in den Bozner Gemeinderat gewählt und trat acht Monate später wieder dem PdL bei. Absolute Weltklasseleistung.
Zusammen mit Alessandro Urzì hält Tomada auch den Rekord für Parteiwechsel insgesamt – nämlich vier. Diesen Erfolg konnte Artioli ihrer Erzfeindin freilich nicht gönnen. Mit der Gründung der Bürgerliste “Bürgermeisterin Artioli Sindaca” (in der Grafik noch nicht berücksichtigt) Anfang 2016 hat sie mittlerweile zu Urzì und Tomada aufgeschlossen. Unangefochtene Ignoranten des Wählerwillens und Geringschätzer demokratischer Entscheidungsprozesse sind hingegen Unitalia-Mastermind Donato Seppi und Prügelknabe Giorgio Holzmann. Beide kandidierten dreimal für ein Amt im Bozner Gemeinderat, das sie niemals anzunehmen gedachten. Berlusconi-Versteherin Michaela Biancofiore hätte wohl mit Seppi und Holzmann gleichgezogen, wäre sie durch eine ungünstige Listenkonstellation 2010 nicht zum Verbleib im Gemeinderat “gezwungen” worden. Dafür schaffte sie es in fünf Jahren Amtszeit gerade einmal zu zwei Sitzungen zu erscheinen – bei 50 bis 60 Gemeinderatssitzungen pro Jahr. Zum Wohle der Bürger.
Insgesamt verteilten sich die Polit-Komiker in den vergangenen drei Jahrzehnten auf 14 Rechtsparteien – Casa Pound nicht mitgerechnet. Auch nicht mitgerechnet sind die zahlreichen Fraktionsabspaltungen innerhalb dieser Parteien. So gab es im Landtag ab 2011 gleichzeitig die Fraktionen “Popolo della Libertà” und “Il Popolo della Libertà – Berlusconi per l’Alto Adige”. Das Highlight im Bozner Gemeinderat war 2009 die Gründung der Fraktion “Forza Italia verso il PdL” (kein Scherz!) als Gegenbewegung zum neu gegründeten “Popolo della Libertà”. Und 2010 flogen zwischen Holzmann und Filippo Forest im Vorfeld des Wahlgangs sogar die Fäuste, obwohl sie der gleichen wahlwerbenden Liste angehörten. Die Folge waren wiederum zwei Fraktionen ein und derselben Partei im Bozner Gemeinderat: “PdL Popolo della Libertà” und “PdL Berlusconi presidente”.
Ein eigenes Kapitel ist die Auswahl der Bürgermeisterkandidaten. Ziel ist es immer, einen einzigen Mitte-rechtsradikalen Kandidaten aufzustellen. Denn nur so besteht eine reelle Chance, den linken Gegenkandidaten zu besiegen. Da fallen dann im Wahlkampf schon mal solch nahezu lyrische Schenkelklopfer wie: “Siamo uniti nonostante gli attacchi dall’esterno e dall’interno”. Bezeichnend bei der Kandidatensuche ist dabei stets, dass es völlig wurscht ist, ob der potenzielle Bürgermeister auch nur den geringsten Bezug zu Südtirol hat – geschweige denn Deutsch spricht. Und so schwebte sogar schon einmal der Name des Römers Franco Frattini im Raum. Rom weiß nach Ansicht der rechten Recken ohnehin am Besten, was gut für Südtirol und gut für Bozen ist. Die Tatsache, dass es aber erst einer aus den rechten Reihen geschafft hat, ins Amt zu kommen (in diesem aber nur einen Monat zu bleiben vermochte), scheint kein ausreichender Grund für einen Strategiewechsel zu sein (siehe Kasten “Das Uniti- und Alleanza-Chaos 2016”). Siehe auch hier, hier, hier und hier.
Es gibt im Endeffekt nur zwei plausible Gründe für das Chaos und die dauernden Wechsel. Und beide sind nicht sehr schmeichelhaft: Entweder das sind alles heillose Egomanen, denen Ideologie und Prinzipien ferner sind als einem islamistischen Selbstmordattentäter seine 72 Jungfrauen im Paradies oder diese Möchtegern-Politiker sind absolut konsensunfähig. Wenn sie bereits mit Menschen vermeintlich gleicher Einstellung nicht zusammenfinden können, wie um alles in der Welt maßen sie sich dann an, ein Gemeinwesen für eine heterogene Gesellschaft wie der unsrigen zu organisieren, das die verschiedenen Bedürfnisse und Befindlichkeiten berücksichtigt.
Das Motto der Brüder und Schwestern scheint jedenfalls in Anlehnung an die Swingerszene bzw. an die Musketiere “Einer für Einen und Jeder mit Jedem gegen Jeden” zu sein. Wie Bürger nach wie vor ernsthaft sich mit dem Gedanken spielen können, auch nur einer dieser Witzfiguren ihre Stimme zu geben, bleibt wohl das größte Rätsel in der an großen Rätseln nicht armen Welt der Bozner Mitte-rechtsradikalen.
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