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Generalangriff auf das Südtiroler Genossenschaftswesen.

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Zwischen Selbsthilfe und Marktlogik, so lautet der Titel eines Buches über die Geschichte des Südtiroler Genossenschaftswesens, herausgegeben vom Raetia-Verlag. Das gut funktionierende und bestens organisierte Genossenschaftswesen ist eine der Säulen der Südtiroler Wirtschaft. Schon ab 1870 entstanden im historischen Tirol die ersten Genossenschaften.  Man orientierte sich während der Boomphase, die bis etwa 1900 anhielt, an den Grundideen von Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Mit dem ersten Weltkrieg begann eine Krise, die in Südtirol mit der vehementen Bekämpfung des Genossenschaftswesens durch das faschistische Regime gipfelte. Die Erholung setzte erst in der Nachkriegszeit ein.

Genossenschaften kombinieren in gewisser Weise die Vorzüge des marktwirtschaftlichen Modells mit den Anforderungen nach sozialem Ausgleich und Umverteilung. Das Konzept der Selbsthilfe ohne Gewinnabsicht in dem Sinne, dass keine Gewinne ausgewiesen werden dürfen, vermeidet einerseits die Auswüchse des globalisierten, neoliberalen Raubkapitalismus und andererseits die totalitäre Versuchung sozialistisch/kommunistischer Ideologien. Ein Modell, das für die alpine Welt, mit seinem alten System der “Allmende”, dem alten germanischen Gemeinbesitz an Grund und Boden, mit einem vorbildhaft funktionierenden Vereinswesen, das beispielsweise in der Lage ist, ein mustergültig organisiertes, freiwilliges Feuerwehrwesen auf die Beine zu stellen oder mit dem alten Prinzip der dörflichen Nachbarschaftshilfe, wo die DorfbewohnerInnen kleiner Tiroler Bergdörfer auch schon mal in kürzester Zeit das abgebrannte Wohnhaus eines Nachbarn wiederaufbauten, geradezu prädestiniert ist.

Dieses Südtiroler Modell der Genossenschaften sieht sich zusehends existentiellen Angriffen aus Rom ausgesetzt. Besonders die Raiffeisenkassen werden derzeit akut in ihrer Unabhängigkeit und wirtschaftlichen Existenz bedroht.

So ist es derzeit mehr als unsicher, ob die 47 Südtiroler Raiffeisenbanken ihre Eigenständigkeit behalten können und im Zuge der italienischen Genossenschaftsbankreform eine eigene Landesgruppe gründen können. Der römische Ministerrat um Ministerpräsident Matteo Renzi hat den Südtirol-Passus bekanntlich aus dem Gesetzesdekret zur Reform der Genossenschaftsbanken gestrichen. Sollte es hier nicht in letzter Sekunde doch noch auf dem Verhandlungswege eine eigenständige Lösung geben, wäre dies für Südtirols Raiffeisenkassen und für die Südtiroler Wirtschaft eine Katastrophe.

Noch zwei weitere Ereignisse sollen hier in Erinnerung gerufen werden: Im Herbst 2015 mussten Südtirols Raiffeisenbanken im Zuge der wirtschaftlichen Schwierigkeiten von Banca Marche, Banca Popolare dell’Etruria, Cassa di Risparmio di Ferrara und Cassa di Risparmio di Chieti 7,5 Millionen Euro zur Sanierung beisteuern. Allein die Raiffeisenkasse Bruneck musste innerhalb weniger Tage eine halbe Million Euro flüssig machen. Letztendlich zahlen Südtirols BankkundInnen die Zeche für römische Raubrittermethoden.

Erst kürzlich hat die italienische Wettbewerbsbehörde das im Jahr 2014 gegen einige Lokalbanken eröffnete Verfahren abgeschlossen. Sie ist dabei laut Südtirol News vom 04.03.2016 zum Schluss gekommen, dass einzelne Raiffeisenkassen zusammen mit dem Raiffeisenverband und der Raiffeisen-Landesbank ein Kartell gebildet und damit gegen die Bestimmungen zum Schutz des Wettbewerbs verstoßen haben.

Die Wettbewerbsbehörde leitete daraufhin gegen die genannten Banken Ermittlungen ein, die Anfang 2015 auf den Raiffeisenverband Südtirol, die Raiffeisen Landesbank und 14 Raiffeisenkassen ausgedehnt wurden. Der Vorwurf der Absprache zur Anwendung eines einheitlichen Mindestzinssatzes zwischen den Lokalbanken konnte nicht bestätigt werden. Dem Raiffeisenverband, der Raiffeisen Landesbank und einigen Raiffeisenkassen wird hingegen ein nicht wettbewerbskonformer Informationsaustausch mit dem Ziel der Koordinierung der Marktpolitik und damit Kartellbildung vorgeworfen, dies insbesondere bei der Bepreisung von Wohnbaudarlehen.

Herbert von Leon, Obmann des Raiffeisenverbandes, dazu: “Die Entscheidung der Wettbewerbsbehörde trifft uns hart und ist nach unserem Verständnis nicht nachvollziehbar. Mit dieser Entscheidung wird das genossenschaftliche Prinzip an sich in Frage und an den Pranger gestellt. Was wir tun, ist nichts anderes als eine genossenschaftliche Zusammenarbeit im Sinne des Subsidiaritätsprinzips, die wir seit über 100 Jahren pflegen und die auch im deutschsprachigen Ausland ähnlich funktioniert”.

Die einzelnen Raiffeisenkassen bieten ihre Bankdienstleistungen der Bevölkerung in ihrem Tätigkeitsgebiet an, eine Zusammenarbeit gibt es bei Diensten, die für einzelne Raiffeisenkassen zu komplex oder kostspielig sind. Die Preise der Bankprodukte werden jedenfalls von den einzelnen Raiffeisenkassen individuell festgelegt, was die unterschiedlichen Zinsstrukturen beweisen. Die verhängten hohen Geldstrafen seien deshalb umso verwunderlicher, weil Raiffeisen mehrfach nachweisen konnte, dass die in Südtirol angewendeten Konditionen italienweit zu den besten zählen

So der Sachverhalt laut Südtirol News vom 04.03.2016.

Der Raiffeisenverband führt unter anderem für Südtirols Raiffeisenbanken das Rechenzentrum. Ein Rechenzentrum, das unter anderem auch den Südtiroler Bedürfnissen nach Mehrsprachigkeit nachkommt. Andere Südtiroler Banken haben diesen Dienst längst nach Norditalien ausgelagert. Jedenfalls ist es ein Widerspruch, dass man einerseits Südtirols Raiffeisenbanken über eine gesamtstaatliche Holding gleichschalten will und andererseits genossenschaftliche Zusammenarbeit auf Landesebene von der Wettbewerbsbehörde drakonisch bestraft wird.

Letztere hat Verwaltungsstrafen um die 26 Millionen Euro verhängt. Sollte es hier beim zuständigen Verwaltungsgericht zu keiner Revision des Urteils kommen, bezahlt wiederum Südtirols Wirtschaft die Zeche.

Alle drei Episoden belegen, dass mit diesem Staat kein Staat zu machen ist und kontinuierlich wertvolle Ressourcen damit vergeudet werden müssen, um die Auswüchse des römischen Zentralismus soweit abzuschwächen, dass er nicht den Kern des Südtiroler Gesellschaftsmodelles zerstört.



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Comentârs

21 responses to “Generalangriff auf das Südtiroler Genossenschaftswesen.”

  1. Tirola Bua avatar
    Tirola Bua

    Gehören nicht die Bänker zu jenen Teilen der Südtiroler Gesellschaft, die gegen die Unabhängigkeit sind?

    1. pérvasion avatar

      Durften die schon abstimmen?

      1. Tirola Bua avatar
        Tirola Bua

        Also kann man erst sagen, ob jemand gegen die Unabhängigkeit ist, nachdem abgestimmt wurde. Deine Logik ist wieder einmal genial.

      2. pérvasion avatar

        Ob jemand dafür oder dagegen ist, kann man sagen, sobald er/sie sich dazu äußert. Ob die Banker oder die Bäuerinnen dafür oder dagegen sind, kann man sagen, wenn sie abgestimmt haben (aber auch nur, wenn sie gesondert abstimmen). Oder sobald eine repräsentative Umfrage vorliegt.

      3. G. P. avatar
        G. P.

        Natürlich wissen wir nicht, wie die “Bänker” abstimmen würden. Fakt ist allerdings, dass allgemein aus der Südtiroler Wirtschaft zwar ab und zu unterschwellig Kritik an den italienischen Auswüchsen geübt wird, aber offen und etwas vehementer für ein “Los von Rom” hat sich noch kein einziger Wirtschaftsvertreter eingesetzt.

      4. Tirola Bua avatar
        Tirola Bua

        Aus persönlichen Gesprächen mit Bänkern habe ich immer Ablehnung der Unabhängigkeit gespürt. Natürlich kann man das nicht auf alle übertragen, aber das Gefühl sagt mir, dass sie eher für Italien stimmen werden.

  2. G. P. avatar
    G. P.

    Ein Trauerspiel sondergleichen …

  3. pérvasion avatar

    Eine Genossenschaftsbank, die dafür bestraft wird, dass sie wie eine Genossenschaftsbank agiert…

  4. hunter avatar
    hunter

    frage: haben die raiffeisenbanken von heute noch sehr viel mit der ursprünglichen genossenschaftsidee zu tun? ist ernst gemeint. ich weiß es nämlich nicht.

    1. Böser Bänker avatar
      Böser Bänker

      Definitiv ja, lies einfach den Artikel “Genossenschaftsbank” in der Wikipedia.

    2. niwo avatar
      niwo

      Einige Aspekte zum Modell der Raiffeisenbanken:
      1) Raiffeisenbanken verpflichten sich keinen Gewinn auszuschütten, ansonsten würden sie den Genossenschaftsstatus verlieren. Dies bedingt, dass der Gewinn zu einem großen Teil als Rücklagen in den Banken verbleibt. Dies ist eine nicht zu unterschätzende Garantie um Blasen im Bankensystem zu verhindern, da dies den Eigenkapitalanteil erhöht.
      2) Je nach Raiffeisenbank wird ein bestimmter Prozenteil des Gewinns in soziale, kulturelle und gesellschaftliche Projekte vor Ort investiert.
      3) Das Bankennetz ist wesentlich kapillarer als bei anderen Banken. So hat z.B. die Gemeinde Villnöß einen Bankschalter im Hauptort St. Peter und sogar in der 600 Einwohner zählenden Fraktion Teis. Dies ist auch ein Stück Nahversorgung, zudem spielen die Raikas eine wichtige Rolle bei der Versorgung kleiner und mittlerer Betriebe mit Krediten oder sonstigen Bankdienstleistungen.
      4) Die Raiffeisenbanken sind in erster Linie Geschäftsbanken. Auswüchse im Investmentbereich kommen bei dieser Art von Banken kaum vor, im Gegensatz zu Großbanken.
      5) Generell soll eine Genossenschaft Vorteile für die Mitglieder generieren. Hier besteht mit Sicherheit ein Unterschied zu Genossenschaften im landwirtschaftlichen Bereich, bei Energiegenossenschaften oder Einkaufsgenossenschaften. Während bei den landwirtschaftlichen Genossenschaften der Vorteil für die Mitglieder in der Vermarktung der Produkte liegt, dürfen die Raiffeisenbanken an die eigenen Mitglieder (nicht zu verwechseln mit den Bankkunden) keine allzugroßen Vorteile monetärer Art generieren, da dies sofort als versteckte Gewinnausschüttung deklariert würde.

  5. @schierhangl avatar
    @schierhangl

    Hier werden Äpfel mit Birnen vermischt:
    Wenn es Unregelmässigkeiten gegeben hat, so ist dies unabhägig davon zu betrachten, ob es sich um eine Genossenschaftsbank handelt oder nicht, Südtiroler Bank oder nicht.

    Und gerade bei nicht gewinnorientierten Banken könnte man sich fragen, warum der Negativzins der EZB nicht weitergegeben wird….

    1. niwo avatar
      niwo

      Und gerade bei nicht gewinnorientierten Banken könnte man sich fragen, warum der Negativzins der EZB nicht weitergegeben wird….

      Ich würde mir in diesem Zusammenhang vielmehr die Frage stellen, ob Draghis wundersame Geldflutungspolitik nicht über kurz oder lang in das Fiasko führt?
      Warum betreibt die EZB eine Negativzinspolitik? Das Ziel der EZB Geldpolitik ist es die Kosten der Euro-Überschuldungskrise durch ein Entwerten des Geldes und der Ersparnisse möglichst still und heimlich zu finanzieren. Bedeutet mit anderen Worten, dass wir bald eine negative Verzinsung für Bankeinlagen haben werden. Die Nominalbeträge von Sicht-, Termin- und Spareinlagen werden wie Neuschnee in der Märzsonne dahinschmelzen. Vereinfacht gesagt ist der Gewinn der Banken die Zinsdifferenz zwischen Aktiv- und Passivzinsen. Wenn die Passivzinsen sehr niedrig sind können die Aktivzinsen nicht mehr sonderlich hoch sein, bzw. konvergieren langfristig gegen Null oder ins Minus. Der Sparer wird schrittweise enteignet. Der Verlust der Sparer ist dann der Gewinn in den Bilanzen der Banken.
      Dieser Mechanismus würde dann von der EZB noch perfektioniert, wenn wir den Mechanismus der Negativzinsen mit der Abschaffung des Bargeldes kombinieren.

  6. pérvasion avatar

    Jedenfalls ist es ein Widerspruch, dass man einerseits Südtirols Raiffeisenbanken über eine gesamtstaatliche Holding gleichschalten will und andererseits genossenschaftliche Zusammenarbeit auf Landesebene von der Wettbewerbsbehörde drakonisch bestraft wird.

    Dieser Widerspruch setzt sich doch auch darin fort, dass die Südtiroler Raikas in eine nationale Holding gezwungen werden sollen, weil sie dann angeblich »sicherer« (besser überlebensfähig) sind… und man ihnen dann mit der anderen Hand eine drakonische Strafe aufbrummt, die sie möglicherweise in ihrer Existenz bedroht? Sollen die Raikas da eventuell mürbe gemacht werden, damit sie die Holding-Lösung quasi »freiwillig« akzeptieren? (Zugegeben: Letzteres ist reine Spekulation.)

    1. Stefan H. avatar
      Stefan H.

      Letzteres ist reine Spekulation

      Aber nicht im Mindesten abwegig.

  7. A ... avatar
    A …

    Das alles verdanken wir Andreaus & Co …den Selbstdarstellern !!!! Danke !

  8. pérvasion avatar

    Laut heutiger TAZ hat die Ratingagentur Moody’s den Ausblick der Raiffeisenkassen und zweier Genossenschaftsbanken in Italien von »stabil« auf »negativ« abgeändert.

    Moody’s kommt zum Schluss, dass sich das Risikoprofil der Banken im Rahmen der Reform ändern könnte. Die drei Banken würden durch eine Angliederung an eine Bankengruppe an ihrer aktuellen Stärke verlieren.

    — Tageszeitung

    Ist es nicht offizielles Anliegen der Reform, die Banken zu stärken?

  9. pérvasion avatar

    Nach enormem Energieaufwand und monatelanger Ungewissheit wurde nun offenbar die Millionenstrafe gegen Raiffeisen annulliert.

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