Sie haben im Moment wieder Hochkonjunktur. Die Totschlagargumente. Egal ob es um das Benko-Kaufhaus in Bozen oder die Selbstbestimmungsdiskussion geht. Meine zwei liebsten Vorschlaghämmer möchte ich an dieser Stelle etwas näher beleuchten, um die grenzenlose Dummheit dieser »Argumente« zu belegen: »Haben wir denn keine größeren Probleme?« und »Das kann man doch nicht vergleichen!«
Letzteres ist besonders interessant, da es ungemein flexibel eingesetzt werden kann. Wenn beispielsweise Selbstbestimmungsbefürworter in Südtirol auf die dynamischen Bürgerbewegungen und die daraus resultierenden Abstimmungen bzw. Wahlen in Schottland und Katalonien verweisen (diese jedoch nicht 1:1 gleichsetzen, wohlgemerkt), ist der Totschläger »Südtirol kann man mit diesen Regionen überhaupt nicht vergleichen!« zur Stelle. Wenn sich allerdings die Schotten mehrheitlich gegen eine Abspaltung vom Vereinigten Königreich entscheiden, ist dies plötzlich ein Dämpfer für die Selbstbestimmungsbewegung in Südtirol, vernommen aus jenen Mündern, die zuvor eine Vergleichbarkeit Südtirols mit Schottland und Katalonien strikt abgelehnt hatten. Stimmt man dann auf der Krim mittels eines demokratisch zwielichtigen Prozesses für den Anschluss an Russland, dann kann man Südtirol auf einmal sogar auch mit einer Region vergleichen, in der bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Und auch wenn es um unser Autonomiemodell geht, ist man um keinen Vergleich verlegen. Oder wie oft hat es schon geheißen, dass die Südtirolautonomie ein Vorbild für Tibet sein könnte? Die Situation hier wie dort ist bekanntermaßen ja nahezu ident.
Versteht mich bitte nicht falsch. Ich bin sehr wohl der Meinung, dass sich Dinge vergleichen lassen. Was nicht heißt, dass die Ausgangssituationen identisch sind bzw. sein müssen. Das sind sie nämlich nie — außer es herrschen laborähnliche Zustände. Nur brauch ich dann keinen Vergleich mehr, da ich das Ergebnis berechnen kann. Bei einem echten Vergleich gibt es immer unterschiedliche und meist unberechenbare Parameter — die einmal ähnlicher und einmal verschiedener sind. Also ist jeder Vergleich nur eine Annäherung an den realen Ausgang eines Ereignisses. Dessen muss ich mir bewusst sein. Mit diesem Bewusstsein kann ich dann sehr wohl Vergleiche anstellen.
Im Zusammenhang mit dem Kaufhausprojekt in Bozen wurden (naheliegenderweise) Vergleiche mit dem Kaufhaus Tyrol in Innsbruck (ebenfalls Tirol, Alpenstadt, ca. 100.000 Einwohner, der gleiche Investor, ähnliche Kaufhausgröße) angestrengt. Vor allem die Kaufhausgegner »argumentierten« sogleich damit, dass man Bozen und Innsbruck nicht vergleichen könne. Natürlich sind die Voraussetzungen in Bozen und Innsbruck unterschiedlich. Das sind sie immer (siehe oben). Der Vergleich ist dennoch legitim, wenn man — mit obigen Prämissen im Kopf — die richtigen Schlussfolgerungen zieht. Interessant wird es, wenn man fragt, womit das Bozner Kaufhausprojekt — wenn nicht mit Innbruck — dann verglichen werden könnte; oder womit man die Selbstbestimmungsdiskussion in Südtirol – wenn nicht mit Katalonien — sonst vergleichen sollte. Es müsste dann nämlich eine Antwort kommen, wenn das Gegenüber nicht eingestehen will, dass Bozen, Südtirol (und alles andere auch) absolut unvergleichlich sind. Ein Umstand, den ich dann genüsslich auskosten werde, wenn Südtirol das nächste Mal in irgendeinem Ranking vorne oder hinten liegt. »Das kann man doch nicht vergleichen«, wird meine Antwort sein.
Womit wir bei »Haben wir denn keine größeren/wichtigeren Probleme?« wären. Diesbezüglich hat mir Sibylle Hamann mit einem Artikel in der Presse schon fast die ganze Arbeit abgenommen. Zusammenfassend lässt sich sagen:
- Wenn ein Problem vermeintlich klein ist, warum lohnt es sich dann, sich darüber aufzuregen bzw. gegen dieses Miniproblem anzukämpfen? Durch meine Kritik bzw. Opposition zeige ich doch, dass mir das Problem sehr wohl wichtig ist.
- Was ein großes und ein kleines Problem ist, ist subjektiv. Vielen Leuten sind Dinge wichtig, die anderen völlig unbedeutend vorkommen. Wer hat die Deutungshoheit über Wichtigkeit?
- »Kleine Probleme« sind oft auch Symptome großer, struktureller Fehlentwicklungen und daher im Kontext gesehen gar nicht mal so klein bzw. hat deren Behebung nicht selten großen Symbolcharakter – die Rückbenennung von Ayers Rock nach Uluru zum Beispiel.
- »Größere Probleme« wird es immer geben. Wieso sollte deshalb das Engagement, ein vermeintlich kleines Problem zu lösen, nicht doch legitim sein? Warum sollte ich, solange noch ein einziges Kind auf dieser Welt an Hunger stirbt, meine kaputte Glühbirne wechseln? Ist das Wechseln der Glühbirne (kleines Problem) tatsächlich eine Missachtung oder Geringschätzung des Hungertodes (großes Problem)?
- Wir sind grundsätzlich fähig, mehrere Problemfelder auf einmal anzugehen. Problemlösung ist selten eine Entweder-oder- sondern meist eine Sowohl-als-auch-Frage.
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