Egal wie man zu den faschistischen Relikten steht, man muss der Präsidentin der Abgeordnetenkammer Laura Boldrini (SEL – Sinistra Ecologia Libertà) dankbar sein, dass sie eine längst überfällige Diskussion italienweit angestoßen hat. Auf Initiative von Partisanenverbänden hatte Boldrini angeregt, den Schriftzug “MUSSOLINI DUX” vom Obelisken des “Foro Italico” zu entfernen – und einen Shitstorm geerntet. Wenngleich manche der Wortspenden der vergangenen Tage einem die Haare zu Berge stehen lassen und man sich nicht des Eindrucks erwehren kann, dass nicht in jedem Fall Hirnaktivität im Spiel war, als die Äußerungen getätigt wurden, so ist allein die Tatsache, dass über Geschichtsaufarbeitung gesprochen wird, für italienische Verhältnisse ein Schritt nach vorn. Einige Aspekte der nun angetretenen Diskussion möchte ich nicht unkommentiert lassen.
Die interessante Koalition
Matteo Orfini, der Präsident des “linken” Partito Democratico und Koalitionspartner Boldrinis wies die Kammerpräsidentin sogleich in die Schranken: “La scritta Mussolini Dux sull’obelisco del Foro Italico? Io la lascerei lì. […] Credo che la ‘damnatio memoriae’ sia un elemento di debolezza e non di forza da parte di chi la esercita.” Er fügt sich mit seiner Aussage nahtlos in die zahlreichen Proteststimmen aus dem rechten bis rechtsextremen Lager ein. Wohingegen in Südtirol eher konservative bis rechtsgerichtete Kreise Boldrinis Vorstoß begrüßten. Von Verdi Grüne Vërc, dem Südtiroler Partner von SEL, hörte man in dieser Angelegenheit hingegen keinen Ton.
Die unangenehme Geschichte
Francesco Storace (ex-MSI, ex-AN, ex-La Destra, jetzt Forza Italia) griff Boldrini via Twitter an und stellte fest: “Il presidente del Pd [Matteo Orfini] ha dato una lezione alla Boldrini, a cui dà fastidio la storia nazionale”. Es ist also ein Problem, wenn einem die faschistische Diktatur und ihre Verbrechen Bauchweh bereiten? Als aufrechter Italiener muss man wohl uneingeschränkt stolz auf die italienische Geschichte sein? Historische Verantwortung oder das Eingeständnis irgendeiner historischen Schuld passen da nicht dazu. Martina Mussolini (!!!), die sich in Il Giornale D’Italia austoben darf, dazu: “Togliere quella scritta significa togliere l’identità, assolutamente no. E poi non puoi togliere quello che non ti piace e tenere quello che ti piace, troppo comodo. Ho sentito di Comuni che parlano, oggi, nel terzo millennio, di togliere la cittadinanza onoraria a Mussolini.” Was für ein Skandal aber auch. Komisch, dass den Deutschen ihre Vergangenheit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Unbehagen bereitet.
Der Autobahn-Vergleich
Ein klassisches Argument der Rechtsextremen in Deutschland, wenn es um die Aufarbeitung des Nationalsozialismus geht, ist der Autobahn-Vergleich: “Hitler hat ja auch Gutes getan und beispielsweise die Autobahnen gebaut” bzw. “Wenn wir Gebäude entnazifizieren, müssen wir auch die Autobahnen abreißen, denn die wurden auch von Hitler gebaut”. Ähnliche Argumente hört man nun in der Diskussion um die Mussolini-Inschrift zuhauf von allen Seiten. Francesco Storace meint: “La presidente della Camera scoprirà prima o poi l’Istituto della Previdenza Sociale, fondato nel 1933, e proporrà di abolire direttamente le pensioni.” Martina Mussolini fragt sich: “Togliere la scritta dall’obelisco? Allora si tolga tutto, l’Eur, le Città di Fondazione, le leggi.” Simone di Stefano (Casa Pound) schlägt in die gleiche Kerbe: “Si accomodi, però poi lo Stato smetta di usare lo Stadio Olimpico, le piscine coperte, lo stadio dei marmi, il palazzo del CONI e l’università IUSM.” Ja sogar der bekannte Historiker Vittorio Vidotto lässt sich im Corriere della Sera zu folgender Aussage hinreißen: “Cancellare le tracce urbanistiche del fascismo? Non ha alcun senso. Ormai vanno, anzi, conservate e restaurate come elementi importanti della nostra storia.” Kann es tatsächlich sein, dass hier niemand den Unterschied zwischen einem Zweckbau und einem Denkmal bzw. zwischen dem Pensionsgesetz und den Rassengesetzen versteht? Während die Alltagsarchitektur künstlerischer Ausdruck des Selbstverständnisses einer jeden Zeit ist und die faschistische Architektur daher nur das Intimidierende der Diktatur widerspiegelt, so ist die intrinsische und alleinige Bedeutung eines faschistischen Denkmals die Verherrlichung dieser Ideologie. Solche Denkmäler unkommentiert im öffentlichen Raum zu belassen, ist einer Demokratie im 21. Jahrhundert nicht würdig. Ob man sie nun in ein Museum verfrachtet, “entschärft”, “erklärt” oder abreißt, sollte in einer öffentlichen Diskussion eruiert werden. Für den Südtiroler Heimatbund gibt es hingegen nur eine Option: “Denn hier [Anm.: Südtirol] ist man immer mit der Ausrede der ‘Historisierung’ zur Stelle, wenn es um die Entfernung von Symbolen einer menschenverachtenden Diktatur geht.” Ein Urteil über Roberto Fiore (Forza Nuova) und Alessandro Cattaneo (Forza Italia), die Boldrinis Vorschlag mit der Zerstörungswut der IS-Terroristen verglichen, erspare ich mir an dieser Stelle.
Der künstlerische Wert
Der Artikel im Corriere della Sera, der tendenziell gegen den Vorschlag Boldrinis gerichtet ist, betont vor allem den künstlerischen Wert der faschistischen Bauten und die angebliche Tatsache, dass der Rationalismus die meiststudierte Strömung der Welt sei. Abgesehen davon, dass – wie oben erwähnt – nicht zwischen Zweckbau und Denkmal unterschieden wird, läuft auch die restliche Argumentation völlig ins Leere, wie die Aussage des Architekturprofessors Giorgio Muratore belegt: “Sarebbe preoccupante se le scritte fossero ritenute ingombranti. Invece l’ipotesi di toglierle è semplicemente imbarazzante.” Der künstlerische Wert des Obelisken ist nämlich im Zusammenhang mit dem Umgang faschistischer Denkmäler völlig irrelevant. Er entbindet uns nicht von der Verpflichtung zu einem adäquaten Umgang mit diesem Erbe und entscheidet höchstens über Abriss oder Musealisierung. Gleichzeitig ist auch das Ausmaß der Forschung nicht von Bedeutung. Zum einen müssen Qualität und Forschungsinteresse nicht in Zusammenhang stehen. Zum anderen schließen sich Forschungsinteresse und Kontextualisierung historisch belasteter Bauwerke nicht aus. Beispielsweise gilt Albert Speers Werk in Fachkreisen nicht unbedingt als wegweisend, dennoch ist eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit seinen Arbeiten für Forscher überaus interessant und eine Entschärfung bisweilen angebracht.
Die “anderen Probleme”
Natürlich durfte in der Diskussion auch das “Haben wir denn keine anderen Probleme?”-Argument nicht fehlen. Bisweilen gewürzt mit einer gehörigen Portion Rassismus a la Martina Mussolini: “Ora la Presidente della Camera dice che vuole cancellare quella scritta, mi chiedo: ma davvero l’Italia non ha problemi più gravi? La Presidente si preoccupa tanto dei rom e non vede le persone anziane, le famiglie che non arrivano alla fine del mese. E pretende che il nostro sostegno vada a un popolo che non lavora ‘per tradizione’”. Wir dürfen uns also nicht um die Erhaltung von Pompeji kümmern, ein neues Konzerthaus bauen oder eine gefährliche Straßenstelle mit einem “liegenden Polizisten” entschärfen. Denn wir haben ja auch größere Probleme.
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