Anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU im Dezember 2012 in Oslo, bediente sich Martin Schulz, einer der drei Vertreter der EU, die den Preis stellvertretend in Empfang nahmen, einer vielsagenden Metapher.
Die Zeit schilderte in ihrer Ausgabe vom 13.12.2012 im Artikel Im Schatten der Väter, dass sich Josè Manuel Barroso, Herman van Rompuy und Martin Schulz sehr wohl bewusst waren, dass der Preis nicht ihnen galt, sondern einem Werk, das andere vor ihnen erschaffen haben.
Und Martin Schulz, der einmal Buchhändler war, bevor er Präsident des Europäischen Parlaments wurde, fühlte sich in Oslo an die Buddenbrooks erinnert. […] Thomas Manns großer Roman handelt vom Verfall einer Familie.
“Auf die Gründergeneration, erläuterte Schulz, folge die der Verwalter und schließlich jene, die alles verspiele. Meine Generation hat den Preis nicht verdient, sagte Schulz. Ich möchte nicht zu denen gehören, die das Erbe verspielen.”
Wir möchten uns hier nicht der Krise der EU widmen, sondern die von Schulz bediente Metapher auf die schwere Krise der Südtirol-Autonomie anwenden. Wobei die Krise des Euro, die institutionelle Krise der EU und das Gespenst des nationalstaatlichen Egoismus, das durch Europa schleicht, durchaus mit dem neuen römischen Zentralismus zu tun haben. Neben sich wandelnden externen Faktoren, die den Rahmen der Südtirol-Autonomie bilden, gibt es einen schwerwiegenden Paradigmenwechsel im “internen” Verständnis zur Südtirol-Autonomie, also der Art und Weise, wie die SVP Autonomiepolitik betreibt.
Die Väter der Autonomie, allen voran Silvius Magnago und Alfons Benedikter, der mit juristischer Akribie die römischen Bürokraten regelmäßig zur Verzweiflung brachte, haben mit dem zweiten Autonomiestatut die Basis des heutigen Südtirol geschaffen. Die heutige Generation würde das damals Erreichte wohl als “unrealistisches Ziel” bezeichnen.
Die darauffolgende Generation, angeführt von Alt-LH Durnwalder verstand es, die Früchte der Autonomie zu ernten und Südtirol auch wirtschaftlichen Wohlstand zu bringen. Unter dem SVP Parteiobmann Siegfried Brugger gab es Mitte der 90er Jahre gar eine bestimmte autonomistische Aufbruchstimmung. Der Begriff “dynamische Autonomie” war keine leere Worthülse, sondern es gelang tatsächlich neue Zuständigkeiten, wenn auch vielfach lediglich auf dem Delegierungswege, an Land zu holen.
2013 wurde eine neue Polit-Generation gewählt. Eine Generation, der es noch nicht gelungen ist aufzuzeigen, wohin man Südtirol entwickeln will. Durch das schon unter dem Alt-LH eingefädelte Bündnis mit dem PD hat man erstmals in der Geschichte der Autonomie das Schicksal direkt an eine gesamtstaatliche Partei gekoppelt. Wie sieht die vorläufige Bilanz aus:
Wirtschaftlich verbucht man es schon als Erfolg, dass Südtirol um 200 Millionen weniger belastet wird, als andere Regionen. Wie man zu dieser Zahl kommt, wird weder von der Politik offengelegt, noch von der Presse hinterfragt. Ohne jegliche Gegenleistung werden in Rom bis zu 3 Milliarden verschenkt. Die Politik und Presse verkaufen auch dies als Erfolg. Besonders eklatant, mit dem Finanzabkommen hat Südtirol einer bisher nie gekannten Verknüpfung der Zukunft mit dem Schicksal der italienischen Staatsfinanzen zugestimmt. Dass sich dadurch Südtirols Situation volkswirtschaftlich (Proportionaler Anteil am Zuwachs der Staatsschulden + Belastungen durch das Finanzabkommen + Nettoüberschuss, den Südtirol mittlerweile an Rom abführt) jährlich um bis zu 3 Milliarden verschlechtert, wird nicht thematisiert.
Selbst SVP-Größen geben hinter vorgehaltenener Hand zu verstehen, dass der derzeitige Kuschelkurs gegenüber Rom nichts bringt. Momentan gelingt es noch mit Ach und Krach, aufgrund der fragilen Mehrheitsverhältnisse der Regierung in Rom, einen Dammbruch zu verhindern. Dies ist natürlich keine Geschäftsgrundlage für den Ausbau der Autonomie. Sollten die Mehrheitsverhältnisse in absehbarer Zukunft für die römische Regierung klarer sein, wird es nach Monti und Letta, laut Aussagen eines hohen SVP-Exponenten, zu noch massiveren Angriffen auf unsere Autonomie kommen. Der Zentralstaat hat sehr wohl beobachtet, dass dies in Südtirol kaum politischen Gegenwind auslöst.
Sind dies gar schon fortgeschrittene Anzeichen, dass die Kräfte zur Dauerverteidigung und Rechtfertigung der kulturellen, sprachlichen und historischen Andersartigkeit gegenüber dem Nationalstaat, ohne die es keine Autonomie geben würde, langsam nachlassen? Die dritte SVP-Autonomiegeneration, die selbst zusehends viele Nuancen nationalstaatlicher Logik nicht mehr erkennt, dagegen nichts unternimmt oder sich darin gar wiederfindet, lässt nicht erkennen, dass man noch über ausreichend Potential verfügt, um aus der Abwärtsspirale auszubrechen. Ist die dritte Generation dabei alles zu verspielen?
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