Arbeitssicherheit ist ein ernstes und wichtiges Thema. Es ist zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber in dieser Hinsicht klare Regeln und Richtlinien schafft. Jeder Arbeitnehmer sollte zumindest über ein Grundwissen bezüglich Gefahrenerkennung und -vermeidung, Schutzmaßnahmen sowie Verhalten im Notfall verfügen. Soweit die Theorie. In der Praxis sehen die staatlichen Bestimmungen vor, dass alle unselbständig Erwerbstätigen in Italien einen “Grundkurs zur Arbeitssicherheit” belegen müssen. Ich hatte heute das Vergnügen, diesen (vierstündigen) Kurs mitsamt Prüfung über die Plattform Copernicus zu absolvieren und kann getrost behaupten, dass es die mit Abstand sinnentleertesten Stunden meines an sinnentleerten Stunden nicht armen Lebens waren. Es ist sagenhaft, wie man ein derart schwerwiegendes und bisweilen interessantes Thema am Ziel vorbei und somit völlig ad absurdum führen kann. Die zahllosen Rechtschreib- und Grammatikfehler,
Wichtige Artikel der italienischen Verfassung zur Arbeitssicherheit sind:
Art. 32 – Die Republik hütet die Gesundheit als Grundrecht des Einzelnen und als Interesse der Gemeinschaft und Gewährleistet den Bedürftigen kostenlose Behandlung. (Abs.1)
Art. 35 – Die Republik schützt die Arbeit in allen ihren Formen und Arten. Sie sorgt für die beruflich Schulung und Fortbildung der Arbeiter. (Abs. 1-2)
Art. 41 – Die Privatinitiative in der Wirtschaft ist frei. Sie darf sich aber nicht im Gegensatz zum Nutzen der Allgemeinheit betätigen oder in einer Weise, die die Sicherheit, Freiheit und menschliche Würde beeinträchtigt, betätigen. (Abs. 1-2)
das grottenschlechte (oder gar philosophische?) Deutsch,
Gefahren liegen in den Dingen (z.B. Baulichkeiten, Maschinen, Arbeitsstoffe) und sind im Menschen selbst begründet (z.B. Verhalten).
die abgrundtief hässlichen Formulierungen,
Was versteht man unter Risiko?
Definition: Wahrscheinlichkeit der Erreichung der potenziellen Schadensstufe unter gegebenen Einsatz- oder Expositionsbedingungen bei einem bestimmten Faktor oder Wirkstoff oder in deren Kombination.
die absurden Zirkeldefinitionen,
Als Arbeitgeber kann jeder bezeichnet werden, der einen Arbeitnehmer beschäftigt. […] Arbeitnehmer sind Personen, die ihre Arbeit in Abhängigkeit eines Arbeitgebers leisten.
die idiotischen idem-per-idem Tautologien
Schutz: alle erforderlichen Maßnahmen und Vorrichtungen um die Arbeitnehmer vor den Auswirkungen von Risiken zu schützen.
sowie das Layout der Kategorie “Augenkrebs”
tragen zusätzlich dazu bei, dass der “Grundkurs zur Arbeitssicherheit” zur Tour de Force respektive Tour de Farce wird.
Aber auch rein inhaltlich ist die Ausbildung weit jenseits der Grenze des Erträglichen. Denn warum ein Arbeitnehmer wissen muss, dass die Arbeitssicherheit im gesetzesvertretenden Dekret vom 9. April 2008, Nr. 81 geregelt ist und der Arbeitgeber (!) im Falle einer durch den technischen Arbeitsinspektor festgestellten Übertretung binnen 30 Tagen ein Bußgeld entrichten muss (beides wurde ich nämlich in aller Tatsächlichkeit im Test gefragt), erschließt sich mir wohl auch nach 14 Vierteln Lagrein nicht. Wirklich essentielles Wissen zur Arbeitssicherheit (Verhalten, Prozedere usw.) sucht man im Grundkurs vergeblich.
Wen interessiert schon, wie man Erste Hilfe leistet, wie man mit einer Brandschutzdecke ein Feuer löscht oder was man bei Verdacht auf Gasaustritt zu beachten hat. Dafür weiß ich jetzt, dass Arbeitssicherheit in der italienischen Verfassung von 1948 verankert ist und dass “eine Berufskrankheit eine Krankheit [ist], die durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden ist.” (kein Scherz).
Mir scheint, dass sowohl die staatlichen Vorgaben (bei den lächerlichen Definitionen wird immer wieder auf das gesetzesvertretende Dekret im italienischen Original verwiesen) als auch die Südtiroler Umsetzung von einer bizarren Entrücktheit und einem beängstigendem Dilettantismus geprägt sind.
In einer Pressemitteilung verkündete der HGV im Dezember 2013 großspurig:
Ab sofort kann die Grundausbildung zur Arbeitssicherheit für Arbeitnehmer auch online absolviert werden. Nach monatelanger Vorbereitungszeit ist das von der Autonomen Provinz Bozen in Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Wirtschaftsring vorangetriebene Pilotprojekt nun online. Folglich kann die gesetzlich vorgeschriebene Ausbildung der Arbeitnehmer, was die vierstündige Grundausbildung anbelangt, ab sofort bequem vom PC aus absolviert werden (E-Learning).
Was die Verantwortlichen in der “monetalangen Vorbereitungszeit” genau gemacht haben, konnte auch die intensivste -Recherche leider nicht mehr ans Tageslicht befördern. Es wird wohl etwas gewesen sein, was sich nur Claus Peymann und Thomas Bernhard in einer gemeinsam durchzechten Nacht hätten ausdenken können.
Nachtrag:
Ein paar Beispieltestfragen aus dem Abschnitt “Sicherheitsbewusstes Verhalten” möchte ich dem geneigten Leser nicht vorenthalten:
Arbeitserfahrungen führen oft auf die falsche Fährte, weil… (2 richtige Antworten)
- es passiert ja sowieso nichts
- sicherheitsgerechtes Verhalten häufig Mehraufwand erfordert
- ja nur der Arbeitgeber haftbar gemacht werden kann
Man fühlt sich nicht gefährdet, weil… (3 richtige Antworten)
- man die Risiken falsch einschätzt
- die Rettungskräfte bei Bedarf sehr schnell am Unfallort eintreffen
- man die Gefährdung nicht kennt
- man die eigenen Fähigkeiten überschätzt
- man sowieso versichert ist
Wir meinen nichts gegen eine Gefahr tun zu können, weil… (2 richtige Antworten)
- die Zeit drängt
- man denkt, dass dies Aufgabe des Leiters des Arbeitsschutzdienstes ist
- man denkt, dass dies Aufgabe des Arbeitgebers ist
- einem das Wissen und die Ausbildung fehlt, was man dagegen tun kann
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