Als wir an diesem Wochenende von Norden kommend über den Brenner gefahren sind, haben meine Freunde und ich beschlossen, uns das Plessi-Museum anzusehen. Bekanntlich hat die Brennerautobahn AG (A22) direkt am Pass eine (hässliche) Raststätte errichtet, die dem Kunstwerk, mit dem sich die Euregio bei der Expo 2000 in Hannover präsentiert hatte, ein (un)würdiger Rahmen sein soll.
Der von Norden kommende Besucher hat die Möglichkeit, durch eine stark nach Urin stinkende, vermüllte Fußgängerunterführung, deren Putz bereits massiv abblättert, auf die andere Seite der Autobahn zu gelangen — wo er sich dann auf der Westseite des Museums wiederfindet. Kein Schild weist den Weg zum Eingang, stattdessen empfangen die vom Uringestank nicht Abgeschreckten bereits Baumängel am erst kürzlich fertiggestellten Bau, so etwa zu kurz geratene Türen, deren Lücken provisorisch (?) mit losen Ziegeln geschlossen wurden, damit keine kalte Luft eindringt; oder einzelne Steine, die sich bereits von der Fassade gelöst haben.
Zertrümmerter Bildschirm
Der Standort für die Euregio-Skulptur des italienischen Künstlers Fabrizio Plessi wurde nicht zufällig gewählt. Die »ehemalige Grenze zwischen romanischer und germanischer Welt« (schwachsinniger O-Ton der Brennerautobahn) stellt in den Augen der Verantwortlichen eine geeignete Location für das übrigens beeindruckende Kunstwerk — das einzig Schöne am Museum — dar. Schade nur, dass einige der Bildschirme, aus denen es besteht, bereits zerstört sind.
Am südlichen Haupteingang zum Museum beweihräuchert sich die Autobahngesellschaft (auf einer dreisprachigen Tafel in Italienisch, Deutsch und Englisch — Ladinisch sucht man hier vergeblich, als gehöre es nicht zur Euregio) zunächst selbst. Ein langatmiger, in sperrigem Deutsch verfasster Text beschreibt, dass es sich hier um das erste entlang einer Autobahn errichtete Museumsgelände in Italien [!] handle, um ein »formales und funktionales Experiment, welches in der Lage ist, die traditionelle [sic] Raststation in einen der Kultur geweihten Ort zu verwandeln. An anderer Stelle heißt es in holpriger Überheblichkeit:
Die Brenner-Autobahngesellschaft hat die Errichtung eines großen architektonischen Bauwerks gefördert, das als Museumsraum genutzt wird und ein Unikum innerhalb des Panoramas der zur Verfügung stehenden Autobahninfrastrukturen in Europa und wahrscheinlich in der ganzen Welt darstellt.
Bis man irgendwo erfährt, dass das ausgestellte Kunstwerk die Europaregion repräsentiert, muss man sehr lange suchen. Die meisten Besucher werden das wohl nicht erfahren.
Treppe mit abgebrochenem LED-Streifen
Auf einer weiteren Erklärungstafel wird behauptet:
Am 1. Januar 1995 fiel infolge des Inkrafttretens des Schengener Abkommens die seit dem Ende des Ersten Weltkriegs bestehende Brennergrenze zwischen Italien und Österreich weg und der Brennerpass, der aus politischer Sicht das Trenngebiet [sic] zwischen der mediterranen Welt und Mitteleuropa verkörperte, übernahm nach und nach eine neue Rolle als Verbindungsstelle [sic] und Treffpunkt für die Gemeinschaften des neuen Europas.
- Das Schengener Abkommen trat — laut Wikipedia — nicht am 1. Januar (in Tirol sagt man Jänner), sondern erst am 26. März 1995 in Kraft, Italien hob die Grenzkontrollen jedoch am 26. Oktober 1997, Österreich gar erst am 1. Dezember 1997 auf. Direkt am Brenner, in einem dem Zusammenwachsen der Grenzregionen geweihten Museum, sollte man eigentlich erwarten dürfen, korrekte Informationen zu finden. Offenbar zuviel verlangt.
- Dass die Brennergrenze weggefallen sei, ist ohnehin falsch, man schaue einfach auf banale Dinge wie den Benzinpreis oder die unterschiedliche Straßenverkehrsordnung dies- und jenseits.
- Für Mitteleuropa gibt es keine objektive und allgemein anerkannte Eingrenzung, doch Südtirol, ja auch noch das Trentino und Friaul werden meistens noch dazugezählt (so zum Beispiel im Definitionsvorschlag des Ständigen Ausschusses für geografische Namen).
- Dass der Brenner ein Verbindungsort und Treffpunkt der »Gemeinschaften im neuen Europa« sei, darf man schließlich wohl als Nabelschau bezeichnen.
Doch wie weit dies von der Realität entfernt ist, erfährt man praktischerweise gleich in der mit dem Museum verbundenen Autobahnraststätte. Sämtliche Aushänge, einschließlich der aufliegenden Speisekarte, sind im dreisprachigen Südtirol und in der dreisprachigen Europaregion nur in italienischer Sprache verfügbar. Der Versuch, einen koffeinfreien Macchiato in deutscher Sprache zu bestellen, scheiterte. Auch der extra herbeigerufene Kollege (Giuseppe) war leider nicht imstande, diesen komplexen Kundenwunsch zu verstehen. Without caffeine — ja, auf Englisch ging es dann. Die nicht existierende Grenze, der »Treffpunkt für die Gemeinschaften des neuen Europas«, mal wieder nichts als leere Rhetorik. Das ist der enttäuschende Geschmack eines äußerst laienhaft umgesetzten, teuren Projektes. Mal wieder.
Hinweis: Das mit der Kaffeebestellung war ein Experiment. In einer normalen Situation hätte ich natürlich auf Italienisch umgestellt — die lingua franca nazionale des grenzenlosen Europa (vgl. 01
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