Italien nimmt für sich in Anspruch, die europäischen Stabilitätskriterien missachten zu dürfen, weil man sich in einer außerordentlichen Lage allgemeiner Rezession befinde. Dies stimmt allerdings gar nicht, da die meisten anderen EU-Staaten wieder wachsen und auch Italien nach der Neuberechnung seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) mit neuen Regeln zumindest auf dem Papier nicht mehr in Rezession ist.
Dass sich Vizekommissionspräsident Jyrki Katainen erlaubte, bei Minister Padoan um detailliertere Auskünfte zu bitten, quittierte die italienische Regierung ungehalten mit der Veröffentlichung des streng geheimen Briefs. Italien werde in Zukunft auf absolute Transparenz setzen, teilte Premier Matteo Renzi mit — und fügte in populistischer Manier hinzu, man werde auch veröffentlichen, wieviel Geld in den Brüsseler »Palästen« verschwendet werde: »Das wird sehr unterhaltsam.« HC Strache und Marie Le Pen hätten es nicht besser formulieren können. Außerdem betonte Renzi, Italien sei kein Schüler der EU, sondern Gründungsmitglied — als ob Gründungsmitglieder ein Anrecht auf Sonderbehandlung hätten. Auch Deutschland und Frankreich hatten vor etwas mehr als zehn Jahren sogenannte Blaue Briefe aus Brüssel erhalten, doch Italien sieht sich nun ganz offenbar im Stolz verletzt.
Aus Südtiroler Sicht ist interessant, dass Matteo Renzi zu verstehen gab, die politische Entscheidung, was eine »außerordentliche Lage« sei (die unter Umständen zu Ausnahmen von den Stabilitätskriterien berechtigt) könne nicht die EU-Kommission fällen. Da sollte es klingeln: Laut jüngstem Finanzabkommen zwischen Zentral- und Landesregierung ist der Staat unter außerordentlichen Umständen in Hinblick auf die Erfüllung der EU-Kriterien befugt, den Südtiroler Beitrag zum Staatshaushalt einseitig um 10% zu erhöhen. Dass Südtirol darüber mitentscheiden darf, was denn außerordentliche Umstände sind, ist — anders als Italien von der EU verlangt — im Finanzabkommen erst gar nicht vorgesehen.
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