Nach der Selbstbestimmung in Schottland hat in Südtirol die Stunde der rhetorischen Akrobaten geschlagen — und da durfte natürlich ein Karl Zeller, dem kein Widerspruch zu groß ist, nicht fehlen. Im gestrigen RaiSüdtirol-Mittagsmagazin sagte er sinngemäß, die Schottinnen hätten sich mit der Abhaltung der Abstimmung einen Bärendienst erwiesen, weil ihnen nun das größte Druckmittel gegen London (nämlich die Drohung mit der Abspaltung) abhanden gekommen und nun jegliche Verhandlung viel schwieriger geworden sei. Man müsse sich nun darauf verlassen, dass London sich an die Versprechungen aus dem Abstimmungskampf erinnere, während Südtirol sich das Druckmittel der Selbstbestimmung erhalten habe. Diejenigen, die heute hierzulande über Schottland jubeln, hätten nicht verstanden, dass die Situation Schottlands nun sogar schlechter sei, als jene Südtirols.
Ein paar Hinweise an den Senator:
- Politik ist nicht immer nur drittklassige Taktik und Drohung: Ist es für Zeller so unvorstellbar, dass die Schottinnen abgestimmt haben, um die Frage der Loslösung zu klären und nicht, um direkt oder indirekt etwas anderes zu erreichen?
- Die SVP behauptet seit Jahr(zehnt)en gebetsmühlenartig, man könne nicht gleichzeitig die Selbstbestimmung und mehr Autonomie fordern — und wenn man ein Selbstbestimmungsreferendum verlöre, würde einem auch noch die Autonomie weggenommen. Hierzu hat sich Senator Zeller nun nicht mehr geäußert. Wenn Schottland laut Zeller trotz negativen Votums jetzt nur ein wenig schlechter dasteht, als Südtirol, war seine eigene Panikmache wohl falsch.
- Doch in Schottland durfte die Bevölkerung demokratisch und völlig transparent darüber befinden, ob sie den Versprechungen aus London glaubt oder nicht. Offenbar hat sich die Mehrheit dafür entschieden, was wohl bedeutet, dass man Westminster trotz allem als Verhandlungspartner ernstnimmt.
Die SVP beweist uns mit ihren Verhandlungsergebnissen jedoch regelmäßig, dass auf Rom kein Verlass ist. Die Bevölkerung wird natürlich nicht befragt. - Zwar ist die Selbstbestimmung in Schottland, wie neben Zeller auch David Cameron bestätigte, nun wohl für (nur) eine Generation (rund 25 Jahre) vom Tisch, doch sollte sich London tatsächlich nicht an die eigenen Verheißungen halten, bleibt sie als Druckmittel sehr wohl aufrecht — dann nämlich wäre der Vertrag wohl hinfällig, den Schottinnen und Rest-UK nun mit der Abstimmung eingegangen sind.
- Die Selbstbestimmungsbefürworterinnen, die heute in Südtirol über Schottland jubeln, tun dies — anders als Zeller nahelegt — wohl kaum wegen des Ergebnisses, sondern wegen des Prozesses: Die Schottinnen durften ohne großes Drama abstimmen, Südtirol darf dies (auch dank Karl Zeller, der sich nie dazu veranlasst sah, dies zu fordern) nicht.
- Selbst wenn man, wie die SVP, die Selbstbestimmung nicht als direktdemokratisches Instrument, sondern als reines taktisch-politisches Druckmittel versteht, dürfte es doch strategisch ein Schuss ins eigene Knie sein, sie per Landtagsbeschluss grundsätzlich auszuschließen. Was ist das für ein Druckmittel, wenn wir offen und amtlich festhalten, dass wir es gar nicht anerkennen?
- Die Schottinnen legen ein Tempo vor, von dem Südtirol und die SVP (trotz angeblichen Druckmittels) nur träumen können: Von der Devolution 1997 bis zur diesjährigen Abstimmung sind gerade einmal 17 Jahre vergangen. Und nun wird im Vereinigten Königreich über eine Föderalisierung diskutiert. Hierzulande haben wir ein hoffnungslos veraltetes Autonomiestatut von 1972, gibt es seit Jahren Stillstand und spätestens seit Mario Monti ist die Autonomie gar einer Involution ausgesetzt.
Detail am Rande: Hätte die ältere Generation in Schottland nicht mitgestimmt, hätte das Ja gewonnen. Wenn die Machthaber in London also nicht möchten, dass eine Abstimmung in 25 Jahren anders ausfällt, als heute, werden sie gut daran tun, sich als vertrauenswürdiger Verhandlungspartner zu erweisen.
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