Selbst ein angeblich progressives und weltoffenes Portal wie Salto kann sich dem Nationalismus der Fußball-WM nicht entziehen. Das heutige Foto des Tages zeigt einen Mietwohnkomplex in Bozen, an dem viele italienische und auch ein paar deutsche Flaggen prangen. Der vielsagende Bilduntertitel lautet:
Ecco come si presenta la facciata di un condominio di Bolzano in questi giorni […]. E’ l’eterno derby dell’identità contrapposta, da un lato gli altoatesini, dall’altro i sudtirolesi, o almeno alcuni di loro, sempre meno persuasi di rappresentare la “minoranza austriaca” in Italia e opportunisticamente fieri, invece, di parlare più o meno la lingua in uso in un paese completamente straniero, com’è la Germania, ma almeno sportivamente vincente.
Dieser Kommentar fasst in wenigen Zeilen einen ganzen Fächer an Vorurteilen und Missverständnissen zusammen:
- Es wird klar nicht nur nach Sprachgruppe unterschieden, sondern auch noch eine andere (Landes-)Bezeichnung benutzt — wie selbstverständlich leben die einen in A. Adige und die anderen in Sudtirolo.
- Es wird davon ausgegangen, dass Italienfans alle italienischer Sprache und Deutschlandfans alle deutscher Sprache sind. Während letzteres mit großer Wahrscheinlichkeit zutrifft, ist ersteres immer weniger der Fall. Schon das zeigt ein klares »national(istisch)es« Gefälle: In einer ausgewogenen Situation gäbe es auch Mitbürgerinnen italienischer Zunge, die zu Deutschland halten, doch der Trend geht wohl fast ausschließlich in die andere Richtung.
- Die Möglichkeit, dass die(se) Deutschlandfans auch Zuwandererinnen aus Deutschland sein könnten, wird nicht einmal in Betracht gezogen.
- Mitglieder einer deutsch(sprachig)en Minderheit, die zu Deutschland halten, werden pauschal als Opportunistinnen betitelt — als ob es auf der anderen (also »italienischen«) Seite eine direkte Identifikation zwischen Spielerinnen und Fans gäbe. Fakt ist vielmehr: Südtirol ist nicht wirklich ein Fußballland und mit welcher Weltklassemannschaft auch immer man sich identifiziert, es ist Opportunismus.
- Obwohl es in Europa angeblich keine Grenzen mehr gibt und etwa der Drang nach Unabhängigkeit standardmäßig mit dem Hinweis quittiert wird, dass in Europa ohnehin alles zusammenwächst, ist selbst für ein Portal wie Salto Deutschland ein paese completamente straniero.
- Dadurch ist im Umkehrschluss auch ersichtlich, dass es eine Normalität gibt, nämlich die, zum (angeblich) »eigenen« Land zu halten; und eine Anomalie, nämlich die, einer anderen Mannschaft die Daumen zu drücken.
- Nicht erkannt wird hierbei, dass genau dieselbe nationale Logik, die dazu führt, die Unterstützung für die italienische Nationalmannschaft als normal zu betrachten, ein Argument sein kann (aber nicht muss), dass die Südtirolerinnen deutscher Muttersprache, zumindest einige davon, zur deutschen Nationalmannschaft halten: Der nationalen Logik zufolge sind die Südtirolerinnen italienischer Muttersprache (pardon: die Altoatesinerinnen) Teil der italienischen Nation, die Südtirolerinnen deutscher Muttersprache (pardon: die Südtirolerinnen) Teil der deutschen Nation — und eben nicht der österreichischen, die (dieser Logik zufolge) ja nur ein Unfall der Geschichte ist. Genau diese Einstellung aber müssen wir endlich hinter uns lassen.
- Der Hinweis schließlich, in Südtirol werde nur »più o meno« dieselbe Sprache gesprochen, wie im paese completamente straniero, ist nicht nur eine überflüssige Provokation, sondern darüberhinaus auch noch völlig falsch: Es gibt zwar unterschiedliche Dialekte, doch die Sprache ist unzweifelhaft dieselbe.
Cëla enghe: 01
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