Das Areal des Bozner Hauptbahnhofs soll umgebaut werden: Durch einen Planungswettbewerb wurde ein Siegerprojekt erkoren, welches die Verlegung des Bahnhofs nach Südosten vorsieht. Die historische Trasse durch Rentsch würde ersetzt und ca. 20 Hektar Fläche auf dem bestehenden Betriebsgelände gewonnen werden. Das Projekt ist gigantisch und würde die Landeshauptstadt erheblich verändern. Gleichzeitig ringt Bozen mit einem Kaufhausprojekt in unmittelbarer Nähe, welches ebenfalls massive Auswirkungen auf die Stadt hätte. Es stellt sich die Frage, ob zwei derartige Projekte nicht in einen gemeinsamen Masterplan einfließen sollten, damit keine Fehlplanungen entstehen, die die Zukunft der Stadt nachhaltig beeinträchtigen.
Eines der vermutlich größten Bauprojekte im Land wird kaum in der Öffentlichkeit diskutiert. Auf der Projekthomepage sind nur spärliche Informationen verfügbar, lediglich ein paar Bilder und ein »Depliant« sind für die Öffentlichkeit bestimmt. Liest man darin, so trifft man auf einen Architekten-Slang, der nicht wirklich zum Verständnis beiträgt:
Der Wiedergewinnungsplan des Areals Bozen sieht eine Fläche von ca. 475.000m² vor. Diese setzt sich überwiegend aus den frei gewordenen Bahnhofsflächen und dem Erwerb von Flächen im östlichen Teil des Areals, die zur Verlegung der Gleistrasse notwendig sind, zusammen.
Die Bebauungsstruktur fügt sich der urbanen Morphologie Bozens ein und interpretiert bzw. transformiert kontextuell die bereits bestehenden Typologien. Die funktionale Aufteilung schöpft die Möglichkeiten aller neuen Freiflächen aus und sieht in der Bozner Boden Zone ein Wohnviertel, sowie eine Wohn-Handwerkerzone im Osten und ein polyfunktionales Zentrum mit tertiären Funktionen und Kultur im Süden vor. Das Projektvolumen berücksichtigt eine Siedlungsdichte von 3,5m³/m².
Das Projekt entwickelt sich aus der Neupositionierung der Gleisharfe in Richtung Süden und der Beibehaltung des historischen Bozner Bahnhofsgebäudes als Landmark. Das neue Aufteilungsschema sieht sieben durchgehende Gleise mit einem Krümmungsradius von 750m – mit dazugehörigen Bahnsteigen vor.
Die alte Trasse, aktuell stellt sie einen Cut zwischen Rentsch und Bozner Boden dar, verwandelt sich zu einem verbindenden Element, einem Grünen Zipp, einem Paseo für Freizeitaktivitäten der Bevölkerung.
Als Pendler interessiert mich rund um das Bahnhofsprojekt natürlich die Funktionalität des Bahnhofes, hier wirft das Siegerprojekt einige Fragen auf, welche bisher nicht in einem ausreichenden Maß beantwortet wurden. Es muss folglich eine Priorisierung der Funktionen vorgenommen werden, indem sich das Podrecca-Projekt einer kritischen Prüfung stellen sollte:
- Der Bahnhof Bozen ist zuallererst ein Bahnhof, der wichtigste Verkehrsknotenpunkt im Land. Deshalb sollte die Planung sich diesem übergeordneten Ziel unterordnen. Nur wenn der neue Bahnhof entscheidende Vorteile gegenüber dem alten Standort hat, sollte eine Verlegung angedacht werden.
- Der Bahnhof soll zu einem multimodalen Zentrum ausgebaut werden. Die optimale Erreichbarkeit zu Fuß, mit dem Fahrrad, öffentlichen Verkehrsmittel und Pkw ist der zweitwichtigste Baustein für die Planung.
- Der heutige Standort ist optimal, das Zentrum ist in wenigen Gehminuten erreichbar, wichtige Einrichtungen, wie die Landhäuser, sind in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof angesiedelt. Eine Verlegung weg vom Zentrum ist suboptimal.
- Der Bahnhof besteht aus einem historischen Gebäude, das unter Denkmalschutz steht und folglich bei einer Verlegung nicht einfach abgerissen werden kann. Somit stellt sich die Frage, was mit dem historischen Gebäude passieren soll.
- In den letzten Jahren ist die Nutzung der Nahverkehrszüge nach Südtirol massiv gestiegen, der Bahnhof hat folglich an Bedeutung enorm gewonnen, jeder kann am Morgen beobachten, welche Fußgängerstaus es beim Verlassen des Bahnhofes gibt. Der Bahnhof als Verkehrsdrehscheibe wird in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen, deshalb sollte bereits heute auf die zu erwartenden steigenden Verkehrsströme geplant werden. Eine Beschneidung der Kapazität des Bahnhofes kann nicht hingenommen werden.
- Die Flächen südöstlich des Bahnhofes, vor allem Rangiergleise und der Betriebshof, sind hingegen wertvolle Grundstücke, die einer städtischen Nutzung unterzogen werden sollten. Voraussetzung ist allerdings, dass Alternativflächen zur Verfügung stehen, damit die wichtigsten betrieblichen Infrastrukturen für Unterhalt und Abstellung von Zügen gewährleistet werden. Diese stehen bereits heute in Bozen Süd neben dem Stahlwerk zur Verfügung. Für den Güterverkehr hingegen sollten keine Flächen mehr vorgesehen werden, hier wäre es besser in Autobahnnähe ein Umschlagzentrum zu errichten, welches vor allem auf Container und Wechselbehälter ausgerichtet sein soll.
Wenn all diese Funktionen gewährleistet sind, kann die städtische Nutzung angegangen werden, wobei eine Fläche von ca. 20 Hektar frei würde. Der Immobilienmarkt in der Stadt, wo viele gewerbliche Flächen besonders in Bozen Süd frei stehen, ist nicht auf dieses neue Angebot angewiesen. Im Wohnungsmarkt hingegen besteht weiterhin eine erhebliche Nachfrage, der Standort wäre aber nicht die beste Wohnlage in Bozen, da sie Sonne im Winter beispielsweise erst sehr spät zum Vorschein kommt.
Das Siegerprojekt sieht eine Verlegung des Bahnhofes in Richtung Südosten vor, die nördliche Zufahrt durch Rentsch wird auch mitverlegt. Die Bahnnutzer erhalten einen neuen Bahnhof, der aber die Fußweglängen in Richtung Zentrum erhöht. Problematisch sind die Bahnsteiggleise im Bahnhof, welche eine Krümmung aufweisen, weshalb es für den Zugführer unmöglich ist, den Zug bei der Abfahrt zu überblicken. Solche Krümmungen wurden bei früheren Bahnhofsbauten aus gutem Grund nie angewendet.
Obwohl ich keine Kostenschätzung kenne, sollte immer auch die Frage gestellt werden, welche alternativen Projekte stattdessen angegangen werden sollten:
- Bozen weist keine Bahnhofsumfahrung für Güterzüge auf. Dieses Projekt sollte aber größte Priorität erlangen, da es die Stadt mit einem Schlag von einer erheblichen Lärmquelle befreien würde. Man kann jedem empfehlen, sich in der Nacht z.B. in St. Jakob die Durchfahrt eines Güterzuges anzuhören, wo zehntausende Menschen in ihrer Nachtruhe gestört werden.
Zudem würde ein derartiger Umfahrungstunnel auch eine betriebliche Entlastung darstellen, da für die Abwicklung der Personenzüge im Stadtbereich (z.B. Bozen-Meran) mehr Trassen zur Verfügung stünden. Rentsch und viele andere Stadtteile würden mit einem Schlag kein Lärmproblem mehr haben. Innsbruck hat beispielsweise seit 15 Jahren einen Umfahrungstunnel. - In Südtirol müssten dringend Infrastrukturprojekte für die Eisenbahn angegangen werden, allen voran die Bahnstrecke Bozen-Meran, die in einem bedauernswerten Zustand ist, die Riggertalschleife, die Elektrifizierung der Vinschger Bahn würden allesamt zu einer wesentlichen Stärkung des Bahnverkehrs beitragen. Eine Bahnhofsverlegung bringt aus Sicht des Fahrgasts im Vergleich keinen zusätzlichen Nutzen.
- Großprojekte werden von Politikern geliebt. Kleinere, billigere Projekte, die in kurzer Zeit zu einer wesentlichen Entlastung oder Verbesserung der Situation führen würden, werden hingegen nicht mit der notwendigen Priorität behandelt. Wäre dem so, hätte man am Bahnhof längst eine großzügige Fußgängerunterführung in die Bahnhofsallee gebaut und damit den Pendlern eine schnelleren und bequemeren Zugang zum Bahnhof geschaffen. Ich habe von einem derartigen Projekt nie gehört.
- Großprojekte kosten vielfach mehr, als veranschlagt, weisen häufig eingen geringeren Nutzen auf und sind zudem meist verspätet. Ich höre seit den 1980er Jahren vom Brennerbasistunnel, seitdem ist ein Vierteljahrhundert vergangen, der BBT steht aber frühestens in 20 Jahren zur Verfügung, da habe ich mittlerweile mein Rentenalter erreicht. Das »Jahrhundertprojekt« Bahnhof Bozen wird dasselbe Schicksal ereilen, da zu groß, zu teuer und zu umstritten.
- Bisher konnte noch niemand glaubhaft erklären, weshalb der Bahnhof verlegt werden soll. Die Flächen hinter dem Bahnhof stehen auch ohne Verlegung zur Verfügung, somit ist es flächenmäßig ein Nullsummenspiel, allerdings ein sehr teures. Würde man den Bahnhof belassen wo er ist, ihn modernisieren, durch mindestens zwei breite Fußgängerunterführungen für die Stadt durchlässiger gestalten, die übrigen Flächen einer vernünftigen Nutzung unterziehen, dann hätte man dieselben Vorzüge, allerdings zu wesentlich geringeren Kosten.
Diese Ausführungen lassen für mich nur einen Schluss zu: Das Projekt ist eine gigantische Immobilienspekulation auf Kosten der Bahnreisenden und der Bevölkerung. Dass vor allem ein Immobiliendeal im großen Stil dahintersteckt, zeigt für mich auch der Umstand, dass beim ursprünglichen Projekt die Fahrradabstellanlagen »vergessen« wurden. Bereits heute parken rund um den Bahnhof an die 1.000 Fahrräder, unverständlich wie man sowas übersehen kann!
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