Relativ unbeachtet hat sich auf der kleinen Mittelmeerinsel Malta ein kleines Wunder ereignet. So laut Süddeutsche Zeitung, die am 16.04.2014 vom »Wunder von Malta« spricht.
Ein Wunder, in einem Kleinstaat? Für viele Kritiker der innereuropäischen Sezessionsbewegungen, die häufig einen Rückfall in eine mittelalterliche Kleinstaaterei beschwören, müsste Malta geradezu als Negativbeispiel prädestiniert sein.
Auf gerade mal 316 km², das ist etwas größer als die Gemeinde Sarntal, mit 302 km² die flächenmäßig größte Gemeinde Südtirols, leben knapp 420.000 EinwohnerInnen. Einer der kleinsten Staaten der Welt weist wohl eine hohe Bevölkerungsdichte auf, aber dort wo jeder jeden irgendwie kennt, können die Institutionen wohl nicht unabhängig funktionieren?
Zudem hat die katholische Kirche geschichtlich bedingt einen starken Einfluss auf die maltesische Politik, so ist Schwangerschaftsabbruch strafbar und »oben ohne« zu baden verboten. Die Scheidung war bis 2011 nicht zulässig und der Katholizismus ist in der maltesischen Verfassung als Staatsreligion verankert.
Das Müllproblem, das schon bei meinem ersten Besuch im Jahre 2001, während der EU-Beitrittsverhandlungen Maltas, die Tagespresse beschäftigte, scheint immer noch nicht nachhaltig gelöst zu sein und bei den CO2-Emissionen ist bisher noch kein Rückgang, sondern in den vergangenen Jahren sogar eine Steigerung eingetreten.
Zumindest einige Ingredienzien, die nicht gerade auf eine große Progressivität schließen lassen.
Trotzdem weist der Kleinstaat Malta einige erstaunliche Leistungen auf. Die wirtschaftlichen Eckdaten sind ziemlich positiv. Mit 6,4% Arbeitslosigkeit liegt man EU-weit auf dem viertbesten Platz und in Südeuropa ist man sogar Klassenprimus. Die Staatsverschuldung ist mit knapp 70% des BIP unter Kontrolle und im Vergleich zur Mittelmeerinsel Zypern, wo der Finanzsektor zu einer Krise führte, folgt der ebenfalls starke Finanzbereich auf Malta einer wesentlich konservativeren Philosophie, die sich weit weniger krisenanfällig gezeigt hat, als in anderen Ländern.
Im Korruptionsindex 2013 von Transparency International belegt Malta Platz 45. Dies ist noch einigermaßen akzeptabel. Keinesfalls ein Beleg für das Vorurteil, dass kleinere Einheiten, wo jeder jeden kennt, anfälliger für Korruption wären. Italien liegt auf Rang 69, Griechenland auf Platz 80.
Überraschungen gibt es im Bildungsbereich: Die Pro-Kopf-Ausgaben für Bildung werden nur von den skandinavischen Ländern und von Zypern übertroffen. Der Mehrsprachigkeit Maltas Rechnung tragend wird der Unterricht in der Grund- und in der Sekundarschule sowohl in englischer als auch in maltesischer Sprache gestaltet. Beide Sprachen sind Pflichtfächer für die SchülerInnen. Auf diese Weise gelingt es, einen balancierten Ausgleich zu schaffen. Erst im Hochschulbereich werden die Vorlesungen größtenteils auf Englisch gehalten.
Das Maltesische ist die einzige semitische Sprache, die das lateinische Alphabet verwendet. Entwickelt hat sich das Maltesische aus einer Variante des Arabischen. Seit 2004 ist das Maltesische eine der offiziellen Amtssprachen der EU. In diesem Zusammenhang stellt sich die beinahe rhetorische Frage, ob das Maltesische als gleichberechtigte Sprache überlebt hätte, wenn Malta kein unabhängiges Land wäre, sondern Teil eines benachbarten Nationalstaates. Das Sardische auf Sardinien z.B. spielt im Vergleich zum Maltesischen ein Nischendasein und kämpft ums Überleben. Zudem gilt es zu erwähnen, dass maltesische SchülerInnen laut Wikipedia im Schnitt 2,2 Fremdsprachen lernen, das ist nach Finnland und Luxemburg der höchste Wert innerhalb der EU. Der Status eines unabhängigen Landes, das nicht der Doktrin der meisten Nationalstaaten — ein Land, eine Sprache — folgt, scheint bezüglich Mehrsprachigkeit positive Früchte zu tragen, da die Rahmenbedingungen keiner nationalstaatlichen Logik folgen.
Doch nun zum maltesichen Wunder: Mitte April, nach heftigen Debatten, hat Malta die Homo-Ehe eingeführt, mit allem Drum und Dran, das Adoptionsrecht eingeschlossen.
Was ist danach passiert? Laut Süddeutsche Zeitung haben ein paar Tausend Menschen das Ereignis gefeiert, das war’s. Selbst im katholischen Malta, wo der Apostel Paulus gelandet ist und die Kreuzritter ab 1530 für knapp drei Jahrhunderte den Ton angaben, ist das Abendland durch dieses Gesetz nicht untergegangen.
Für den Rest Europas heißt das Ereignis auf dem merkwürdigen Felsen im Süden: Leute, bleibt gelassen. Das Abendland mag untergehen. An der Homo-Ehe hat das dann aber nicht gelegen.
— SZ
Frei nach dieser Conclusio möchte man anfügen: Innerhalb der EU sind einige Regionen drauf und dran, souveräne, unabhängige Staaten zu werden. Auch hier wäre Gelassenheit den Drohungen der Status-Quo-Apostel vorzuziehen. Das Mittelalter wird deshalb nicht restauriert. Das kleine Malta beweist, dass Kleinstaaten zu sehr progressiven Neuerungen fähig sind, die selbst in großen Nationalstaaten, die für viele Status-Quo-Verfechter der Garant für Recht, Ordnung und Fortschritt sind, bisher noch nicht möglich waren.
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