Bei der gestrigen Landesvolksabstimmung konnte die SVP nicht genügend Stimmbürgerinnen dazu bewegen, sich in die Wahllokale zu begeben und ihr Bürgerbeteiligungsgesetz zu bestätigen. Gültig bleibt demnach die »alte« Regelung, die zwar ein anachronistisches Beteiligungsquorum von 40%, allerdings auch niedrigere Hürden für die Initiierung direktdemokratischer Verfahren vorsieht, weshalb sie von einschlägigen Expertinnen als das geringere Übel betrachtet wird. Knapp zwei Drittel (65,1%) der Abstimmenden Bürgerinnen sahen das so und zeigten der SVP-Vorlage die rote Karte.
Machen wir uns nichts vor: Die Abstimmungsbeteiligung von nur 26,4% der Stimmberechtigten ist eine Enttäuschung, auch wenn eine massive Teilnahme von vornherein auszuschließen war. Zu abstrakt war die Angelegenheit, wiewohl eine Zustimmung sehr konkrete Folgen auf die Bürgerbeteiligung gehabt hätte. Trotzdem — in einem Land wie Südtirol, wo die Menschen seit Jahren mehr Mitbestimmung zu wünschen schienen und wo an Stammtischen gern gegen eine angeblich selbstgerechte Kaste gewettert wird, bleibt die breite Enthaltung unverständlich.
Umso beeindruckender scheint nun angesichts dieser Zahlen die Mobilisierungsfähigkeit der Süd-Tiroler Freiheit mit ihrer Selbstbestimmungsumfrage. Obschon sie nur von einer einzigen Partei (der STF selbst) mitgetragen und von mehreren anderen sogar offen angefeindet worden war, hatten sich 61.189 Südtirolerinnen daran beteiligt — während jetzt, an einem amtlichen, von allen Parteien mitgetragenen und in jedem Fall verbindlichen Referendum, »nur« 106.305 Bürgerinnen teilnahmen.
Trotz der niedrigen Beteiligung besteht jedoch kein Zweifel, dass der gestrige Entscheid aus demokratischer Sicht vollkommen legitim war und ist. In einer Demokratie hat niemand Anspruch darauf, dass seine nicht abgegebene Stimme im Sinne der Befürwortung oder Ablehnung interpretiert wird — wenigstens, solange alle eine faire Chance hatten, am Urnengang teilzunehmen. Dennoch werden in der SVP schon Stimmen laut, die die »Wiedereinführung« eines Quorums (LR. Arnold Schuler) fordern, damit nicht »die Minderheit über die Mehrheit entscheiden« könne. Hierzu ist folgendes anzumerken:
- Im gestrigen Fall hätte auch ein Quorum am Ergebnis nichts geändert, da es sich um ein bestätigendes Referendum handelte: Nicht die Gegnerinnen hätten das Quorum erreichen müssen, um das SVP-Gesetz abzuschaffen, sondern die Befürworterinnen, um es zu bestätigen — das ist nicht gelungen.
- Man kann nicht wiedereinführen, was nie abgeschafft wurde: Wie bereits erwähnt haben die Stimmbürgerinnen gestern die Beibehaltung eines Gesetzes beschlossen, das ein (hohes) Quorum enthält. Dies freilich nicht unbedingt, weil die Südtirolerinnen ein Quorum möchten, sondern möglicherweise, weil sie das SVP-Gesetz als eine noch schlechtere Alternative befunden haben.
- Auch bei Wahlen gibt es kein Quorum: Vielerorts ist — gerade bei Europawahlen — die Wahlbeteiligung sehr gering, doch es würde niemandem einfallen, sie für ungültig zu erklären, nur weil sonst eine Minderheit über die Mehrheit entscheiden könnte.
- Wenn wir die letzte Landtagswahl betrachten, haben SVP und PD zusammen unter Einbeziehung der Nichtwählenden wohl ebenfalls keine Mehrheit erreicht. Auch die Landesregierung, die während der kommenden Jahre völlig zu recht schaltet und waltet, vertritt somit nur eine Minderheit der Wahlberechtigten (aber eine Mehrheit der Wählenden).
- Gestern konnte sich in der Schweiz eine umstrittene Initiative gegen »Masseneinwanderung« durchsetzen, befürwortet von 28,07% der Stimmberechtigten (50,3% Zustimmung bei 55,8% Teilnehmenden). Trotz der hauchdünnen Mehrheit und der weitreichenden Folgen dieses Entscheids sagt in der Schweiz niemand — auch nicht die Gegner — dass eine Minderheit über die Mehrheit entschieden habe.
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