RAI Südtirol hatte in der Sendung »Am runden Tisch« vom 3. Februar die Frage zum Thema Warum in den italienischen Medien Südtirol vielfach so schlecht dargestellt wird und warum, wie etwa in der Sendung porta a porta, gegenüber Südtirol häufig eine populistische Neiddebatte geführt wird.
Studiogäste waren der Journalist Lucio Giudiceandrea, Senator Karl Zeller, der ORF-Journalist Georg Laich und Rom-Korrespondent des Wiener Standard Gerhard Mumelter.
Die von Zeno Breitenberg sehr sachlich moderierte Sendung brachte einige erstaunliche Aussagen.
Gerhard Mumelter zeigte sich darüber erstaunt, dass Landeshauptmann Kompatscher beim Antrittsbesuch in Wien immer noch mit »altem Vokabular« wie Schutzmacht, Vaterland Österreich oder der doppelten Staatsbürgerschaft hantierte. Mumelter hätte sich da ein neues Vokabular erwartet.
Sonderbar, dass Mumelter die Bringschuld hier vor allem in der Figur des Südtiroler Landeshauptmannes sieht und nicht in den Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich das Land Südtirol bewegen muss. Es wird grad so getan, als ob der Rahmen, der Südtirols Autononomie nötig macht, nicht mehr vorhanden wäre. Existiert der Nationalstaat nicht mehr, dessen Teil Südtirol ist? Hat der Nationalstaat, dem wir angehören, seine Rhetorik und sein nationalstaatliches Selbstverständnis geändert? Reichen gebetsmühlenhaft wiederholte Floskeln von nicht mehr existenten Grenzen in Europa aus, um die Position Südtirols innerhalb eines »fremden« Nationalstaates grundlegend anders zu beurteilen?
Der ORF-Journalist Georg Laich argumentierte ähnlich: In Europa sind die Grenzen gefallen, auch das Bundesland Salzburg müsse innerhalb Österreichs kämpfen.
Auch hier derselbe Ansatz. Glaubt Laich tatsächlich, dass die vorgetragene Formel von den nicht mehr existenten Grenzen Wirklichkeit wird, nur wenn sie ohne Unterlass wiederholt wird? Und sieht Laich keinerlei Handlungsbedarf, was die Rolle der Nationalstaaten in der zukünftigen Architektur Europas betrifft?
Wesentlich realitätsnäher ist da die Einschätzung des Schriftstellers Robert Menasse, der in der erst kürzlich in RAI Südtirol ausgestrahlten Sendung »Grenzfälle« sagt, »die Grenzen in Europa sind durchlässiger geworden, aber nicht überwunden«.
Das schwierige Umfeld in dem sich Südtirol bewegt — auf der einen Seite die Wahrnehmung, den Südtirolern gehe es ja bestens und auf der anderen Seite der nationalstaatliche Rahmen, der sich in den letzten Jahren ja nicht wesentlich zugunsten Südtirols geändert hat — wurde maßgeblich von der SVP verschuldet.
Mittlerweile zeigen sich die Folgen der Vorzeigeautonomie-Rhetorik, die bei jeder Gelegenheit nach außen transportiert wird. Es ist eben gefährlich, werktags immer die Festtagsglocken zu läuten. Das Weichspülprogramm der Vorzeigeautonomie wird vom medialen Mainstream in Südtirol und Forschungseinrichtungen wie etwa der Eurac artig mitgetragen. Dadurch wird suggeriert, Südtirol könne sich tatsächlich weitgehend selbst verwalten, was natürlich in keiner Weise den Fakten entspricht.
Auf der anderen Seite beschwört die SVP bei jeder Gelegenheit, wie wichtig der Zusammenhalt und das geschlossene Auftreten gegenüber Rom sei. Hätten wir tatsächlich eine weitgehende Selbstverwaltung wäre dies ja nicht notwendig.
Dieser vermeintliche Widerspruch wird selbst von Südtirols Freunden nicht mehr immer nachvollzogen.
Was lehrt uns die Diskussion? Innerhalb der aktuellen nationalstaatlichen Ordnung sind Regionen, in besonderem Maße Regionen, die sich sprachlich/kulturell von der Titularnation unterscheiden, in irgendeiner Art und Weise immer zum Verteidigen ihrer Ansprüche verdammt.
Diese Verteidigungshaltung kostet nicht nur wertvolle Ressourcen, sondern es gibt langfristig auch keinerlei Garantie, dass innerhalb der gegebenen nationalstaatlichen Rahmenbedingungen nicht doch das nationalstaatliche Selbstverständnis stärker ist als alle regionalistischen Selbstverwaltungsbemühungen.
Wenn Südtirol die Rhetorik und die Richtung der Politik ändern muss, dann aus diesen Gründen: Die Autonomie war die richtige Antwort auf das falsche System des Nationalstaates. Wir können diese Antwort verteidigen, sie weiter verfeinern, werden aber dadurch nie das falsche System überwinden. Der nächste Schritt muss deshalb die Überwindung des falschen Systems sein. Wollen wir tatsächlich eine Weiterentwicklung der Südtiroler Gesellschaft, dann muss der Paradigmenwechsel und die Anpassung der Rhetorik in diese Richtung stattfinden. Die alleinige Symptombehandlung reicht hierfür nicht mehr aus. Erstaunlich, dass niemand von den Anwesenden dies erkennen wollte.
Scrì na resposta