Der Nationalismus war immer die Kernkompetenz der Rechten. Aber das verwischt sich heute, denn die Linke ist in die Falle gegangen. Sie glaubt, den nationalen Arbeitsmarkt und das nationale Sozialsystem verteidigen zu müssen, und kippt damit selbst in den Nationalismus. Heute kann man zwischen Rechts- und Linkspopulisten kaum noch unterscheiden, sondern nur noch zwischen Populisten und Populisten, die nicht populär sind. Dahinter versteckt sich das Grundproblem: Der Nationalstaat kann heute kein einziges relevantes gesellschaftliches, politisches und wirtschaftliches Problem mehr alleine lösen. Das sollte man in der Schweiz eigentlich wissen. Wir erleben derzeit das langsame Sterben des Nationalstaats.
Robert Menasse im Interview mit der Schweizer Sonntagszeitung.
Besonders gut lässt sich die Krisenentwicklung am Beispiel der Forconi erkennen. Ein Protest gegen die Krisenauswüchse im Nationalstaat wird schnell von Rechten unterwandert. Es zeigt sich, wenn jahrzehntelang alle Warnsignale eines bevorstehenden Niedergangs des Nationalstaates ignoriert und keine tiefgreifenden Reformen gemacht werden, welche Sprengkraft sich in kürzester Zeit entwickeln kann.
Die Verarmung großer Teile der Bevölkerung in Italien muss als große Gefahr erkannt werden. Selbst Napolitano, Teil des Polit-Establishments, warnt vor sozialen Unruhen. Die Situation kann also schneller kippen als man denkt, besonders gefährlich ist die Tatsache, dass schnell vermeintlich Schuldige gefunden werden und ein sozialer Protest in einen nationalistischen umschlagen kann.
Wenn der Nationalstaat stirbt, wie Sie sagen, wie deuten Sie dann das Erstarken nationalistischer Bewegungen in ganz Europa?
Menasse: Das ist ein Todeskampf. Die Menschen, die heute noch glauben, der Nationalstaat gebe ihnen Sicherheit und Selbstbestimmtheit, werden nach dem Zusammenbruch so enttäuscht sein, dass Ressentiments, Hass und alle niederen Instinkte der Menschen ausbrechen werden. Das haben wir schon einmal erlebt. Ich würde diese nostalgische Sehnsucht nach der souveränen Nation, nach dem Mutterschoss-Feeling, das die Nation ihren Kindern anbietet, ja menschlich verstehen, wenn wir nicht die historische Erfahrung hätten, dass der Nationalismus, wenn es hart auf hart geht, zu den grössten Verbrechen führt.
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