Das schlechte Abschneiden der »italienischen« Parteien bei den Landtagswahlen führt in der Medienlandschaft zu einigen recht erstaunlichen Rückschlüssen. Der Politologe Günther Pallaver forderte entgegen den Proporzbestimmungen zwei italienische Landesräte. Luisa Gnecchi schlug die Aufstockung der Landesregierung auf 11 Miglieder vor, was der italienischen Sprachgemeinschaft wiederum zwei Landesräte garantieren würde. Luigi Spagnolli wird in ff Nr. 45 vom 7.11.2013 gar wie folgt zitiert: »In einem halben Jahrhundert wird es in Südtirol keine Italiener mehr geben, wenn das so weitergeht.« Dass diese Aussage in Widerspruch zu den letzten Trends der Sprachgruppenerhebung steht und laut Astat-Sprachbarometer der Sprachgebrauch in Südtirol in keiner Weise den Verhältissen der Sprachgruppenstärke entspricht, wird von den Medien nicht analysiert. Lieber beschwört man da das sogenannte Phänomen des »Vize«. »Durch Autonomie, Proporz und Zweisprachigkeit blieb den Italienern nur mehr die Rolle der Vizepräsidenten und Vizedirektoren«, so ebenfalls in ff vom 7.11.2013. Dass es gar einige Bereiche gibt, die auch dieser salopp vorgetragenen Formel widersprechen, deckt sich nicht mit dem roten Faden einiger Artikel der letzten Wochen, die einen Todesmarsch der Italiener suggerieren.
Etwas fundierter setzt sich Francesco Palermo mit der Thematik auseinander, der in der Wahlpleite der Italiener gar die Chance zu einem Qualitätssprung in der ethnischen Demokratie sieht. Er stellt fest, dass eine neue Dialogkultur zwischen den Sprachgruppen zu einer grundlegenden Diskussion über die Zukunftvision dieses Landes führen könnte. Konkrete Vorschläge, wo und wie dieser Dialog ansetzen könnte, fehlen in Palermos Abhandlung noch (ebenfalls in ff vom 7.11.2013).
Was ist passiert? Durch einen hohen Anteil an italienischen Nichtwählern ist deren Anteil im 35-köpfigen Landtag auf einen historischen Tiefstand von 5 Abgeordneten gesunken. Als Gründe werden eine Übertragung der »nationalen« Politikverdrossenheit auf die Südtiroler Landtagswahl sowie die hoffnunglose Zersplitterung des italienischen Rechtslagers, das von Mitte Rechts bis extrem Rechts (Donato Seppi, Minniti) reicht, gesehen.
Anscheinend sieht ein großer Teil der italienischsprachigen SüdtirolerInnen im »italienischen« Parteienangebot keine geeignete Antworten auf die Herausforderungen, die hier in Südtirol gestellt werden. Einige ItalienerInnen sehen die Entwicklung sogar ziemlich gelassen, wie ein kurzer Querschnitt des RAI Sender Bozen am Tag nach den Landtagswahlen ergab. Manche italienischsprachigen MitbürgerInnen meinten, dass sie sich von der SVP recht gut verwaltet fühlten.
Vielleicht läge in diesen Aussagen sogar der Schlüssel zu einem Quantensprung in der Südtiroler Parteienlandschaft und im Dialog zwischen den Sprachgruppen: Dass die SVP schon bei den vorletzten Landtagswahlen von nicht wenigen ItalienerInnen gewählt wurde ist bekannt. Trotzdem ist es innerhalb der Sammelpartei nie zu ernsthaften Diskussionen gekommen, sich aktiv italienischsprachigen SüdtirolerInnen zu öffnen.
Dies ist einerseits verständlich, da die Daseinsberechtigung des Südtiroler Autonomiestatutes der Schutz der deutschen und ladinischen Minderheit innerhalb des Nationalstaates Italien ist. Ohne sprachliche und kulturelle Andersartigkeit der deutschen und ladinischen SüdtirolerInnen gegenüber der Titularnation des italiensichen Zentralstaates, fehlt die grundlegende Existenzberechtigung des Südtiroler Autonomiemodelles.
In einer Zeit in der der Begriff »autonomiefreundlich« bis zur völligen Beliebigkeit verwässert wird und selbst die SVP über keinerlei klares, geschärftes autonomiepolitisches Profil verfügt, wäre der historische Wandel der SVP von einer ethnischen Partei zu einer territorialen interethnischen Partei höchst brisant.
Ein völlig anderes Bild böte sich, wenn die SVP tatsächlich über ein geschärftes autonomiepolitisches Profil verfügen würde, das ein klares Konzept zur Umsetzung der sogenannten »Vollautonomie« ebenso beinhalten würde, wie eine ergebnisoffene Diskussion über die Zukunft Südtirols mit der konkreten Möglichkeit zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes — einschließlich von Szenarien einer Loslösung von Italien.
Eingebettet in solch ein geschärftes autonomiepolitisches Profil wäre der Übergang von einer ethnischen zu einer territorialen Partei, die aktiv um ItalienierInnen wirbt, nicht mehr ein Spiel mit dem Feuer sondern eine Chance in mehrfacher Hinsicht. Für die italiensichsprachigen SüdtirolerInnen wäre dies ein wirksames Zeichen, dass ihnen ohne Wenn und Aber ein Heimatrecht zuerkannt und ihr Engagement in allen Bereichen der Südtiroler Gesellschaft aktiv gewünscht wird. Zusätzlich wäre dies ein Signal, dass die Probleme und Herausforderungen in Südtirol, unabhängig von den Sprachgruppen, am besten über regionale Parteien funktioniert und nicht über nationalstaatlich verankerte Parteien, die letztendlich nach nationalen und zentralistischen Kritierien und Prinzipien programmiert sind.
Übrigens, für die sogenannten Selbstbestimmungsparteien, die ja »autonomiepolitisch« über ein sogenanntes geschärftes Profil verfügen, wäre eine aktive Öffnung Richtung italienischsprachiger SüdtirolerInnen heute schon ohne inhaltliche Probleme möglich, Dass dies nocht nicht konsequent umgesetzt wird, ist ein konzeptionelles Versäumnis dieser Parteien.
Die institutionelle Ausrichtung des Südtiroler Autonomiemodelles nach ethnischen Kriterien und die Organisation der meisten Parteien entlang der ethnischen Bruchlinien wird durch die Zugehörigkeit Südtirols zum Nationalstaat Italien bedingt. Eine Abkehr von ethnischen Kritierien hin zum Territorialprinzip, einschließlich einer regional verwurzelten interethnischen Parteienlandschaft ist wünschenswert und anzustreben.
Scrì na resposta