Eine kritische Antwort auf “Wo bitte ist da die Mitte?”
Leserbeitrag von Matteo und Matthias
Die besonders hitzige Debatte über links und rechts und die darauffolgende Einordnung der Südtiroler Parteien in das politische Spektrum hat auch uns (in Österreich lebende zweisprachige, linke Südtiroler) zur Diskussion angeregt und veranlasst ein wenig “kritischen Senf” dazuzugeben. Ohne jemanden Hetzkampagnen vorzuwerfen und keinerlei Anspruch auf objektive Auffassungen versuchen wir dies durch eine kritische Würdigung des Artikels “Wo bitte ist da die Mitte?”. Da wir einige Einordnungen und daraus folgende Schlüsse des Autors nicht zur Gänze teilen und diese nach unserer Auffassung einer Präzisierung bedürfen, möchten wir zwei Punkte erläutern.
- Das frame das mit der Bestimmung der Begriffe von rechts und links am Anfang des Artikels gesetzt wird ist simplifizierend und nicht genug erklärend. Rechts und links sind unserer Meinung nach, nicht nur “Schubladen” ohne die wir nicht auskommen können, sondern historisch gewachsene Positionen die eine bestimmte Sicht der Gesellschaft diskursiv vermitteln.
- Die “objektive Auffassung” nach der die Einordnung der Parteipositionen erfolgt, berücksichtigt nur die räumliche Position der Parteien im politischen Spektrum. Salienz der Positionen, also ihre Wichtigkeit, und vor allem der vermittelte politische Diskurs werden hingegen vernachlässigt.
- Zu 1) Die Kategorien Links und Rechts entstanden während der französischen Revolution und wurden in der Phase des Direktoriums 1795-99 bereits für tot und überholt erklärt. Obwohl sie immer wieder als schwammig dargestellt werden sind sie eindeutig Bezeichnungen für zwei konventionelle Mentalitäten, zwei verschiedene Arten den sozialen Konflikt auszulegen. Bewegungen die sich weder rechts noch links bezeichnen haben sich immer wieder als rechts oder links positionieren müssen (meistens als rechts). Um rechte und linke Bewegungen zu unterscheiden, paraphrasieren wir eine Definition des italienischen Schriftstellerkollektiv WU MING:
“Linke”, ob sozialdemokratisch, kommunistisch oder anarchistisch, gehen von einer gespaltenen Gesellschaft aus, da im Inneren entgegengesetzte Kräfte wirken. Es gibt Arme und Reiche, Ausbeuter und Ausgebeutete, Männer und Frauen. Obwohl weit voneinander entfernt, basieren alle linken Strömungen auf der Auffassung einer von Grund auf gespaltenen Gesellschaft, dessen Bruchlinien tief und vor allem endogener Natur sind.
“Rechte” hingegen sind der Auffassung, dass die Nation geeint und harmonisch sein sollte, bzw. einmal so war. Ist das nicht mehr der Fall, so wird die Schuld externen Kräften, Eindringlingen oder Feinden zugeschrieben die sich (bei uns) eingeschlichen und (mit uns) vermischt haben. Damit die Gemeinschaft wieder vereint sein kann sollen diese nun isoliert oder ausgestoßen werden. Alle “rechten” Ansichten starten von dieser Prämisse, welche in Diskursen anfänglich heterogen erscheinender Bewegungen gefunden werden kann, sei es bei Breivik, der Tea Party, der Lega Nord oder Casapound. Um zu verstehen ob eine Bewegung rechts oder links ist, muss man nur sehen woher ihre Feinde stammen. Für rechte Bewegungen kommen Feinde oder zumindest ihre Ideen immer von “außen”.
Die Vermittlung dieser zwei Kategorien erfolgt in der politischen Kommunikation auf besondere Art. Alle Wörter und Sätze die verwendet werden, geben die ideologische Perspektive der Person die sie gebrauchen wieder. Jedes Wort trägt eine bestimmte Weltanschauung mit sich und schildert die Realität dementsprechend. Betrachtet man die Verwendung der Bezeichnungen “centrodestra” und “centrosinistra” in der italienischen Politik, kann man sehen dass das Wort “centro” den rechten erlaubt hat problemlos faschistische Mitglieder und Haltungen miteinzubeziehen ohne dass diese als Radikal verstanden wurden. Für die Linke hatte es hingegen die Folge ihre Suche nach Stimmen in Richtung eines hypothetischen Zentrums zu verlagern.
Aus dieser Begriffsbestimmung geht hervor, dass wir die Ansichten bezüglich Relativierung des Radikalismus der italienischen rechten Parteien von Seite der Medien teilen. Dennoch erscheint uns, dass der Autor in seiner Kritik der italienischen Medien (und Dolomiten), dasselbe framing reproduziert, indem er die STF als mainstream-rechts Partei darstellen möchte und gleichzeitig (zu Recht) alle italienischen Rechtsparteien als grundlegend faschistisch bezeichnet und sie sogar radikaler als die Freiheitlichen erscheinen lässt. - Zu 2) Die STF kann als ethnische single-issue Partei definiert werden, d.h. sie vertritt nicht nur einen (aüßerst radikalen) “konservativen Heimatbegriff”, sondern gerade dieser determiniert ihre zentrale Forderung nach Selbstbestimmung und stellt somit quasi ausschließlich die einzige Quelle an Stimmen dar. Parteien dieser Art tendieren aufgrund der zentralen Relevanz eines Programmpunkts dazu andere Dimensionen des Parteienwettbewerbs sehr schwach zu akzentuieren und diese bewusst diffus zu halten, um die Wählerschaft nicht zu spalten. Zudem werden nicht-ethnische Bereiche “ethnisiert” und in exklusive (nationalistische) Identitätsschemata verpackt.
Die STF wirbt mit ihren “progressiven” Positionen (z.B. Gleichstellung homosexueller Partnerschaften) in der Öffentlichkeit sehr subtil und eine vertiefte Diskussion über diese Punkte kommt unseres Erachtens eher selten zum Vorschein. Sobald sie zum Vorschein kommen werden sie meist mit der Tiroler Identität in Verbindung gebracht (vgl: Centaurus Umfrage 2008). Um weitere Punkte erst zu finden muss sich der Autor auf die europäische Ebene begeben. Eine Koalition mit (nicht nur) linken Parteien im Rahmen der EFA und das Bekenntnis zur Bilbao-Deklaration verhindert die STF allerdings nicht die “Bevorzugung von Arbeitskräften aus Nord- und Ost-Tirol, dem restlichen Österreich, Deutschland und anderen Ländern, mit deren Bevölkerung es keine Integrationsschwierigkeiten gibt” auf lokaler Ebene zu fordern. Obwohl Raum für Interpretationen frei gelassen wird, erscheint die vermittelte Botschaft klar und deutlich. Zum Vergleich: auch der PDL der faschistische Parteimitglieder in seinen Reihen hat ist in der Europäischen Volkspartei vertreten und muss offenbar die Devise “EPP will fight against all kinds of discrimination against immigrants” (EPP 2012) mittragen. Auf nationalstaatlicher Ebene zeigt beispielsweise die Implementierung des Bossi-Fini Gesetzes allerdings genau das Gegenteil.
Ohne der STF ihre progressiven Ansichten abzusprechen, bezweifeln wir dass die Partei durch diese Punkte viele Stimmen gewonnen hat. Wenn der Stimmenzuwachs nicht mit der Selbstbestimmungsrhetorik erklärt werden kann, dann nur mit ihrer Kritik am System der Autonomie und der Südtiroler (und Italienischen) korrupten Politikerkaste. Punkte und Rhetorik die üblicherweise in der Programmatik von (rechts)populistischen Parteien zu finden sind.
So diffus und zwiespältig die Ansichten der STF in ihren programmatischen Punkten erscheinen und in den Diskussionen auch dargestellt werden, so eindeutig fällt nach unserer Analyse die Einordnung der STF (ohne die Freiheitlichen zu vergessen) in den äußerst rechten Rand des politischen Spektrums, wo sie sich mit ihren italienischen counterparts wiederfinden. Ihre Affinität zur FPÖ, stammt nicht aus einer “falschen Freundschaft”, sondern aus einer geteilten ideologischen Grundeinstellung. Wir verbleiben mit Furio Jesi:
È razzismo ogni dottrina secondo la quale gli uomini di un gruppo nascono portatori di una data cultura e soggetti a un dato destino.
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