Wenn über die Abhaltung eines »Selbstbestimmungsreferendums« um die Loslösung oder den Verbleib Südtirols bei Italien gesprochen wird, ist meist der ernstzunehmende Einwand nicht weit, es müsse verhindert werden, dass »die Italiener« überstimmt werden. Seltener werden auch »die Ladiner« erwähnt, doch beides Mal bleibt außer Acht, dass weder »die Italiener«, noch »die Ladiner« eine einheitliche Meinung haben — übrigens genausowenig wie »die Deutschen«.
Der Einfachheit halber will ich diese Tatsache ebenfalls unberücksichtigt lassen. Stattdessen möchte ich folgende Überlegung anstellen: Der Minderheitenschutz kann zur legitimen Aufhebung des reinen demokratischen Mehrheitsprinzips führen, wo es die grundlegenden Rechte der zu schützenden Minderheit tangiert. In Italien sind (neben anderen) die deutsche und die ladinische Sprachgemeinschaft die zu schützenden Minderheiten, über deren Köpfe hinweg das italienische Parlament nicht mit reinem Mehrheitsentscheid das Südtiroler Schulsystem oder die Ansässigkeitsklausel ändern darf (oder soll). Im Fall der Loslösung Südtirols von Italien könnten die Italiener und abermals die Ladiner zur Minderheit im neuen Staat werden, weshalb grundlegende Sicherungen (Minderheitenrechte) vorzusehen sind.
Gehört ein nach Sprachgruppen getrenntes Selbstbestimmungsreferendum zu diesen Minderheitenrechten? Im Grunde nein. Genauso wie sich Italien eine andere Regierungsform geben, internationalen Organisationen beitreten oder seine Verfassung ändern kann, ohne die Südtiroler gesondert fragen zu müssen, dürfen sich auch die Südtiroler aller Sprachgruppen gemeinsam eine neue institutionelle Form geben, selbst mit dem Risiko, dass die Mehrheit einer Sprachgemeinschaft überstimmt wird*. Ausschlaggebend ist nur, dass die Rechte der Sprachgemeinschaften als solche nicht verletzt werden; das heißt, dass »die Deutschen«, »die Italiener« und »die Ladiner« die Gewissheit haben, im neuen Staat nicht schlechter als bisher behandelt bzw. diskriminiert zu werden.
Es wäre also meiner Meinung nach im Vorfeld einer etwaigen Abstimmung unter Einbeziehung unabhängiger, anerkannter Organismen feststellen zu lassen, dass das angestrebte Modell den höchsten Standards des Minderheitenschutzes entspricht. Ein Vorschlag wie jener von , der die Schaffung eines Staates nach nicht ethnischen, nicht nationalen Grundsätzen beinhaltet, hätte beste Chancen, eine derartige Prüfung zu bestehen. Zur allseitigen Absicherung könnte man den internationalen Organisationen ein vertragliches Recht zusichern, rechtsverbindlich einzugreifen, falls irgendwelche Standards jemals wider erwarten unterschritten werden sollten.
Wenn aber feststeht, dass die Minderheitenrechte als solche von der neuen institutionellen Form nicht tangiert werden (um nicht zu sagen, dass sogar deutlich höhere Maßstäbe angelegt werden könnten, als sie in Italien Gültigkeit haben), wäre eine getrennte Abstimmung »nach Sprachgruppen« hinfällig.
Diese hätte übrigens einen doppelten Makel: Erstens den, dass sie implizit die (hypothetische) Überstimmung der deutschsprachigen Mehrheit akzeptiert, während sie die (hypothetische) Überstimmung der italienischsprachigen Minderheit zur unüberwindbaren Hürde erhebt. Und zweitens den, dass sie de facto nicht durchführbar ist und ein vorhandenes Problem aus demokratischer Sicht »für immer und ewig« aufschiebt/aufhebt.
*) Italien hat vor Streitbeilegungserklärung sogar ein Veto gegen den EU-Beitritt Österreichs eingelegt, obwohl dies absolut gegen das Interesse der Südtiroler (Minderheiten) war. Außerdem konnten die Südtiroler weder beim staatsweiten Referendum über die Staatsform (Monarchie/Republik) abstimmen, noch die verfassunggebenden Versammlung wählen.
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