Die Südtiroler Volkspartei (SVP), die mit dem PD eine Koalition eingegangen ist, spricht von einem »bahnbrechenden Abkommen«, das zum dritten Autonomiestatut und zur vielbeschworenen →Vollautonomie führen soll. Bei letzterer handelt es sich, wie unserem politischen Glossar zu entnehmen ist, eigentlich um eine ausgeprägtere Form von Teilautonomie.
Ob man sich eine derartige Entwicklung von einer Partei wie dem PD erwarten darf, die noch vor wenigen Wochen die bislang schwersten Angriffe auf das derzeit gültige Autonomiestatut, die Wiederauferstehung des nationalen Interesses und unter anderem die Einführung der Hymnenpflicht an öffentlichen Schulen mitgetragen hat, scheint fragwürdig. PD-Parlamentarier Gianclaudio Bressa hat in einem Interview mit der Tageszeitung A. Adige kein Hehl daraus gemacht, dass die dritte Phase der Autonomie vor allem eines besiegeln soll: die »nationale Verantwortung« Südtirols.
Selbst wenn der PD ein neues Autonomiestatut verabschieden möchte, dürfte das übrigens ein fast unmögliches Unterfangen sein: Derzeit kündigt sich besonders im Senat eine Pattsituation an, die den möglichen Ministerpräsidenten Bersani von der Zusammenarbeit mit Parteien über seine — ohnehin heterogene und daher für Zwist anfällige — Koalition hinaus abhängig machen könnte.
All dies vorausgeschickt, sind jene Punkte des Koalitionsprogramms, die die SVP bisher öffentlich gemacht hat, weit davon entfernt, eine neue Phase der Autonomie einzuleiten oder die Bezeichnung »bahnbrechend« zu verdienen. Genannt wurden etwa:
- Die Stärkung und Weiterentwicklung der Finanzregelung des Landes. Nach Steuerhoheit klingt das leider nicht.
- Die Anerkennung der internationalen Verankerung der Südtirolautonomie. Wie bereits geschrieben wurde, war uns über Jahrzehnte versichert worden, bereits die heutige Autonomie sei international verankert.
- Die Verankerung des Mailänder Abkommens. Warum muss man ein Abkommen verankern und warum wurde es bisher nicht eingehalten (wozu auch der PD beigetragen hat)?
- Die Delegierung administrativer Zuständigkeiten für das Verwaltungspersonal bei Gericht. Klingt nicht nach vollständiger, sondern nach sehr eingeschränkter Autonomie in diesem Bereich.
- Erlass einer Durchführungsbestimmung, die das Ortsnamensgesetz des Landes übernimmt. Warum bedarf eine Angelegenheit, die zu den primären Zuständigkeiten des Südtiroler Landtags gehört, einer staatlichen Durchführungsbestimmung? Damit wird dem Landtag übrigens die ihm zustehende Möglichkeit genommen, Änderungen am Ortsnamensgesetz vorzunehmen.
Nehmen wir aber an, dass es allen Schwierigkeiten zum Trotz tatsächlich zu einem dritten Autonomiestatut kommen wird. Woran wird es sich dann messen lassen müssen? Eine Aufstellung.
- Einbindung der Zivilgesellschaft und des breitestmöglichen politischen Spektrums, partizipativer Prozess: Es wird entscheidend sein, ob das neue Autonomiestatut nur zwischen zwei Parteien ausgekungelt wird — und damit weiterhin im (nunmehr um den PD erweiterten) Besitz der SVP bleibt — oder ob diese Aufgabe einem konstituierenden Konvent anvertraut wird.
Die Unabhängigkeitsbefürworter werden stets ermahnt, möglichst die gesamte Gesellschaft anzusprechen und mitzunehmen. Dasselbe muss für den Umbau der Autonomie gelten. - Einbindung aller Sprachgruppen: Laut Karl Zeller hat die italienische Sprachgruppe das zweite Autonomiestatut »erduldet« und müsse jetzt eingebunden werden. Ein richtiger Ansatz für jede Fortentwicklung unseres Landes. Doch: Wird dies einen Interessensausgleich im Rahmen eines Ausbaus, der allen zugute kommt, zur Folge haben — oder wird es zu Anbiederung und Abflachung kommen?
- Wird das neue Statut ein Landesstatut oder bleibt es ein Regionalstatut? Und damit zusammenhängend: Bleibt die Region erhalten oder wird sie zugunsten neuer Formen der Zusammenarbeit in der Euregio aufgelöst?
- Wird der Geltungsbereich des neuen Autonomiestatuts auf die Gemeinden von Souramont ausgedehnt? Die drei ladinischen Gemeinden, die gleichzeitig mit Südtirol an Italien gefallen waren, haben 2007 in einer amtlichen Volksabstimmung den demokratischen Wunsch geäußert, an Südtirol angegliedert zu werden. Das Siedlungsgebiet der ladinischen Minderheit war zum Zwecke der Assimilierung vom faschistischen Regime auf zwei Regionen und drei Provinzen aufgeteilt worden.
Francesco Palermo, gemeinsamer Kandidat von SVP und PD im Unterland, hat sich leider schon mehrmals gegen die Angliederung ausgesprochen. - Wird der Regierungskommissär wie in Aosta abgeschafft und gehen seine Kompetenzen ans Land über?
- Wie wird mit derzeitigen Pfeilern der Autonomie — etwa Proporz, Schulsystem und Ansässigkeitsklausel — umgegangen und welche kompensatorischen und flankierenden Maßnahmen wird es geben, um den Fortbestand der Minderheiten zu gewährleisten?
- Wird das dritte Autonomiestatut imstande sein, endlich die Gleichberechtigung der deutschen und der italienischen Spache durchzusetzen? Das allgemein formulierte Gleichstellungsprinzip hat heute auf viele Bereiche keine Auswirkungen:
- Im Konsumentenschutz, wo ausschließlich die italienische Sprache vorgeschrieben und gewährleistet ist.
- Bei der Integration von Zuwanderern, eines der großen Zukunftsthemen für die Überlebensfähigkeit unserer mehrsprachigen Gesellschaft und für deren aktive Gestaltung.
- Bei der Interpretation von Gesetzen: Selbst bei Landesgesetzen, die auf Deutsch ersonnen und erlassen wurden, ist ausschließlich der italienische Wortlaut bindend. Dies ist für die deutsche Rechtssprache in Südtirol, aber auch für die Rechtssicherheit, von großem Nachteil.
- Zum Teil als Verfahrenssprache bei Gericht, wo Deutsch erst jüngst zur reinen Lokalsprache im Umgang mit Indigenen degradiert wurde.
- Wird die ladinische Sprache, zumal im Bildungssystem, gestärkt?
- Wird Südtirol eine Steuerhoheit zuerkannt, die diesen Namen verdient? Oder »darf« Südtirol lediglich nach römischen Vorgaben die Geldeintreibung übernehmen und muss im Gegenzug noch stärker zum Staatshaushalt beitragen?
- Kommt die Landespolizei? Geht die Post ans Land über? Wird Südtirol für sensible Bereiche wie Umwelt und Zuwanderung zuständig? Oder beschränkt sich die ominöse Vollautonomie auf die Wiederherstellung der Zuständigkeiten, die Rom im Laufe der letzten Jahre mehr oder minder legal kassiert hatte?
- Wird die Sportautonomie umgesetzt, die angeblich ein großer Teil der Südtiroler Landtagsabgeordneten wünscht?
- Wird schließlich die italienische Landesbezeichnung Sudtirolo legalisiert?
Darüberhinaus:
- Wird das Zusatzprotokoll zum Madrider Abkommen unterzeichnet, das die volle Inbetriebnahme der Euregio gestatten würde?
- Ratifiziert Italien endlich die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen?
- Wird gegebenenfalls sogar — wie im nordirischen Karfreitagsabkommen — die Möglichkeit der Selbstbestimmung festgeschrieben?
Scrì na resposta