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Induktiv daneben.

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Auf der Webseite der Tageszeitung A. Adige wurde gestern ein nur wenige Zeilen langer Artikel publiziert, der jedoch in vielerlei Hinsicht bemerkenswert ist. Unter dem Titel “Se il tedesco ‘traduce’ il ladino” wird dort das Foto eines einnamig ladinischen Wegweisers veröffentlicht, auf den mit einem Marker die Bezeichnung “Raschötz” geschrieben wurde. Der angebliche ladinischsprachige Einsender dazu:

Le traduzioni vanno bene solo se sono in tedesco?

Der Redakteur bestärkt sogleich diese Einschätzung indem er schreibt:

‘Resciesa’ (Anm.: der besagte ladinische Flurname auf dem Schild) è il nome storico, quindi, secondo la logica dei ‘puristi’ non traducibile. Sul Salto di San Genesio, ad esempio, le traduzioni in italiano delle località aggiunte col pennarello dagli escursionisti su cartelli rigorosamente solo in tedesco, sono state cancellate perché ‘invenzioni tolomeiane’. Evidentemente, quando le invenzioni sono nella lingua di Goethe, il problema non sussiste. Tutto questo mentre rimane irrisolto il problema della sostituzione dei segnali monoligui (sic!) sui sentieri, dove, spesso, anche le indicazioni di pericolo sono solo in tedesco.

Ob es nun zündlerischer Vorsatz oder einfach nur grenzenlose Dummheit ist, kann und will ich nicht beurteilen. Wie man aber nach jahrelanger Diskussion immer noch so undifferenziert “argumentieren”, haarsträubende induktive Schlüsse ziehen und der Sachlage derart nicht mächtig sein kann, ist zumindest bemitleidenswert. Aus diesem Mitleid heraus erkläre ich die Materie noch einmal:

  1. Es stimmt, dass man Namen grundsätzlich nicht übersetzen kann, da sie im Gegensatz zu Wörtern, die etwas benennen, etwas bezeichnen und mit dem Bezeichneten untrennbar verbunden sind. Wenn auch die Wörter, aus denen der Name besteht, eine übersetzbare Bedeutung haben, so verlieren diese Wörter diese Bedeutung, sobald sie Teil eines Namens sind. “Dreikirchen” beispielsweise bezeichnet eine bestimmte Örtlichkeit, wo natürlich drei Kirchen stehen. Dennoch heißen andere Orte, wo es drei Kirchen gibt, nicht notwendigerweise so. “Dreikirchen” hat demnach seine wörtliche Bedeutung verloren, da es einen spezifischen Ort eindeutig definiert. Die Namensbestandteile können daher auch nicht – wie es in Übersetzungen vorkommt – durch Synonyme ersetzt werden. Am besten veranschaulicht dies der “semantische Umkehrschluss”. Ich kann von der Romantik der drei Kirchlein in “Dreikirchen” begeistert sein, nicht aber von der Romantik der drei Kirchen in “Dreikirchlein”.
    Dies ist, anders als es der Redakteur andeutet, keine schrullige Einzelmeinung von “Puristen”, sondern weit verbreiteter sprachwissenschaftlicher Konsens.
  2. Theoretisch kann man nur etwas übersetzen, was auch eine Bedeutung hat. Obwohl ich, wie ich unter Punkt 1 beschrieben habe, einen Ortsnamen auch dann nicht “übersetze” wenn ich die einzelnen Namensbestandteile, sofern sie etwas bedeuten bzw. uns die Bedeutung und Etymologie bekannt ist, in eine andere Sprache übertrage. Brennero ist demnach keine “Übersetzung” von Brenner, sondern lediglich eine phonetische Anpassung des Exonyms an das Endonym. Bisweilen gibt es auch zwei oder mehrere historisch gewachsene Bezeichnungen für ein und dieselbe Örtlichkeit. Der höchste Berg der Welt hat beispielsweise zwei Endonyme, da die Menschen sowohl dies- als auch jenseits des Himalayas unabhängig voneinander einen Namen für den Berg gefunden haben — Sagarmatha und Chomolungma — und ein sehr bekanntes und weit verbreitetes Exonym — Mt. Everest. Ähnlich verhält es sich – wenn ich nicht irre – mit Neumarkt vs. Egna. Es gibt also sowohl historisch gewachsene Endonyme (München) als auch Exonyme (Monaco). Manche Exonyme wurden “übersetzt” (Settequercie), andere haben eine völlig unterschiedliche Etymologie (Vipiteno). Nicht zuletzt muss man aber auch den qualitativen Unterschied zwischen einer mutwilligen “Übersetzung” bzw. “Bezeichnung” zum Zwecke der Assimilierung und einer historisch gewachsenen exonymen Betitelung berücksichtigen. Exonyme Bezeichnungen sind legitim, sollten aber keine Offizialität haben. “Raschötz” ist überdies keine “Erfindung”, sondern ein historisch gewachsenes Exonym – in gewissem Sinne sogar Endonym, da die Alm an deutschsprachiges Gebiet grenzt. [siehe]
  3. Abgesehen davon, dass “Raschötz” keine “invenzione” sondern argumentierbar ein historisches Endonym ist, setzt der abenteuerliche induktive Schluss, dass es auf “deutscher Seite” ok sei, Namen grundsätzlich zu übersetzen und Schilder illegalerweise zu beschriften, der ganzen Agitation die Krone auf. Aufgrund eines einzelnen einnamig ladinischen Wegweisers auf den eine andere Bezeichnung geschrieben wurde, auf die Allgemeinheit zu schließen, ist absurd. Wenn ich irgendwo im italienischen Viertel in Bozen eine faschistische Schmiererei finde, kann ich doch auch nicht daraus schließen, dass es den italienischen Antifaschismus nicht gibt. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass es auf deutschsprachiger Seite nennenswerte Strömungen gibt, welche deutsche Exonyme auf einnamig ladinischen Schildern fordern. Ebensowenig wurden meines Wissens in Ladinien flächendeckend einnamige Wegweiser nachträglich mit deutschen Exonymen versehen, noch wird derartiges Vorgehen öffentlich goutiert oder gar eine Gefährdung deutschsprachiger Wanderer heraufbeschworen, weil in Ladinien die im deutschen Sprachraum gängigen Exonyme auf den Schildern fehlen. Im Gegenteil, Egon Kühebacher, eine der wichtigsten wissenschaftlichen Stützen der Befürworter der “historischen Lösung”, schlägt für Ladinien ein Zurückfahren der deutschen Exonyme vor, obwohl diese meist historisch gewachsen und keine faschistischen Erfindungen sind.

Abgesehen davon, dass Warnhinweise auf Wegweisern in den Bergen natürlich mehrsprachig sein müssen, dies nach meinem Dafürhalten auch von niemandem bestritten wird und der AVS zur Zeit Umgestaltungen vornimmt, die über das bloße Aufstellen von Warnhinweisen auf Italienisch hinausgehen (Stichwort: Tolomei hält in den Bergen Einzug), ist das unautorisierte Anbringen von zusätzlichen Bezeichnungen oder Informationen – seien sie nun deutsch, italienisch oder chinesisch – schlicht und einfach Sachbeschädigung, gegen deren Verursacher normalerweise ermittelt werden müsste. Diesbezüglich hab ich aber noch nie etwas in den Medien gelesen.



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Comentârs

7 responses to “Induktiv daneben.”

  1. 1950er avatar
    1950er

    … danke Harald Knoflach, dass Du einen wohl sonst unbeachteten Beitrag genutzt hast um einmal mehr an die Ortsnamenthematik zu erinnern. Es ist nur zu hoffen, dass Deine fachlich einwandfreie und nachvollziehbare Erwiderung möglichst zahlreich gelesen und darüber nachgedacht wird! – Auch an den Oberschulen sollte gerade bei solch aktuellen Momenten über Ortsnamengebrauch gesprochen/gearbeitet werden!

  2. niwo avatar
    niwo

    Gratulationen für diesen exzellenten Artikel. Das inakzeptable Diskussions-Niveau des AA bestimmt leider maßgeblich die politische Agenda in dieser Materie, auch deshalb, da es innerhalb der Mehrheitspartei kaum Leute gibt, die derart brillant argumentieren, wie Harald und daraus ein Konzeptpapier erstellen, das Grundlage der politischen Verhandlungen bildet.

  3. 1950er avatar
    1950er

    … und noch eine Wahrnehmung: – im Südtiroler Tourismusgeschehen ist “AltoAdige” als Übersetzung für Südtirol inzwischen Gang und Gäbe und wohl unverzichtbar!?
    – Gleichzeitig ist festzustellen, dass unsere Nachban im Trentino ihre Betriebe zunehmend in “Südtirol” ansiedeln! – Vielleicht denkt man zukünftig daran das >Südtirol< in Südtirol "zu sparen" und nur mehr mit AA (AA wie doppelt authentisch) zu locken, die Gäste (aus allen Richtungen) wissen es sicher zu schätzen, weil so die beiden Benennungen nicht mehr unnötig irritieren!

  4. pérvasion avatar

    Der A. Adige nutzt das Argumentum ad auditores laut Schopenhauers Eristischer Dialektik:

    Wenn ein Publikum vorhanden ist, das schlechter informiert ist als die Gegner und es an Argumenten ad rem und ad hominem fehlt, können ungültige [Gegen]Argumente gebraucht werden, solange sie dem Publikum plausibel sein können. Will der Gegner die Ungültigkeit aufzeigen, muss er zunächst das Publikum belehren, das die Belehrung nicht ohne Weiteres akzeptiert.

    Da seine Leser — auch aufgrund der systematischen Desinformation des Blattes — im Durchschnitt schlecht informiert sind (und etwa teils nicht wissen, was historische Ortsbezeichnungen sind oder eine Erfindung von einem Exonym unterscheidet), kann der A. Adige so argumentieren. Will jemand die Ungültigkeit des Arguments aufzeigen, muss er zunächst (wie wir) das Publikum belehren, das die Belehrung nicht ohne Weiteres akzeptiert.

    Dass es auch noch an der Logik mangelt, wie Harald bestens dargelegt hat (ein einziger Kritzler auf einem einnamig ladinischen Schild führt noch lange nicht die Argumentation ad absurdum, man dürfe Namen nicht übersetzen), setzt dem ganzen noch die Krone auf. Auch hier dürfte es aber darum gehen, möglichst viel Schlamm durch die Gegend zu schleudern — irgendetwas wird dann wohl hängen bleiben. Dem Blatt ist einfach nix zu dumm.

  5. Arno Rainer avatar
    Arno Rainer

    Der Ortsname “Vipitenum” war für die Stadt Sterzing mehr als tausend Jahre nicht mehr in Gebrauch bis ihn Tolomei wieder ausgrub und zu “Vipiteno” umformte. Er kannte zwar das echte Exonym (Fremdbezeichnung) “Sterzen”. Aber es war ihm laut seinen eigenen Aussagen einfach zu deutsch für eine Stadt. Für ein Dorf wäre es ihm noch gut genug gewesen.
    Dies wäre gerade so, als ob man den Ortsnamen “Aguntum” zu “Agunto” umformte, bloß um nicht “Lienz” sagen zu müssen. Der Name “Vipitenum” ist übrigens nicht ganz verschwunden. Er lebt vermutlich in der Bezeichnung “Wipptal” weiter. Der Ursprung des Namens ist vorromanisch und beudeutet vermutlich “Gebiet eines Uipe”.

    “Settequerci” ist auch eine plumpe Fälscheng Tolomeis. Im Norditalienischen heißt die Eiche nämlich “rovere” und nicht “quercia” (vergleiche “Rovereto” oder “Rovere della Luna”). Somit müsste die Ortschaft im Exonym wenn schon “Setteroveri” heißen.

    Das italienische “Egna” für Neumarkt dürfte sich übrigens von der Ortschaft Enn herleiten.

    Der Name “Resciesa” bzw “Raschötz” dürfte sich im Ladinischen und im Deutschen parallel durch natürliche Lautverschiebung aus einer vorromanischen Urform unbekannter Bedeutung entwickelt haben.
    Da Raschötz an der Sprachgrenze liegt und seit Jahrhunderten von Ladiener und Deutschen gleichermaßen genutzt wird, kann man wohl beide Flurnamen als Endonyme (Eigenbezeichnungen) sehen.
    Mich würde es auch nicht stören, wenn im ladinischen Siedlungsgebiet nur ladinische Orts- und Flurnamen verwendet würden.

  6. Harald Knoflach avatar
    Harald Knoflach

    @ arno
    vielen Dank für die Präzisierungen. Deine fachmännischen Bemerkungen decken sich glücklicherweise mit meinen Beobachtungen.

  7. fabivS avatar
    fabivS

    Der Luis hat aber seit kurzem eine zufriedenstellende und sinvolle Lösung gefunden! Na, nicht der Landeshauptmann: ich meine jetzt der Luis aus Ulten! ;-)

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