Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich einmal bei einer Generalprobe des Musikantenstadls in der Bozner Eiswelle zugegen war; obschon das Attribut “beruflicher Grund” mich doch einigermaßen reinwaschen dürfte. Jedenfalls war dieses Ereignis im Lichte der “Europaregion Tirol” und der damit einhergehenden Identitätsstiftung ein sehr interessantes. Völlig wertfrei möchte ich von einer Beobachtung erzählen, die ich dort gemacht habe und die mir in etwas abgeänderter Form auch regelmäßig im Alltagsleben begegnet.
Um die Meute in Stimmung zu bringen, gibt es beim Musikantenstadl einen “Einpeitscher”. Bevor der immer gut gelaunte Andy Borg die Bühne betritt, schießt ein noch viel besser gelaunter Stimmungsmacher wie ein aufgeschrecktes Eichhörnchen wild fuchtelnd, brüllend und klatschend durch den Saal. Die Zuseher bedanken es ihm mit Applaus. “Wo sind unsere deutschen Freunde?” Stattlicher Applaus. “Wo sind die Nordtiroler?” Großer Applaus. “Wo sind die Osttiroler?” Vereinzelter Applaus. “Wo sind die Südtiroler?” Riesengroßer Applaus. Und wohl in der Hoffnung, den kolossalsten Beifall des Abends einzufahren, brüllte der gute Mann – der dem Dialekt nach zu urteilen aus dem Raum Innsbruck stammte – zu guter letzt ins Mikro: “Und wo sind die Tiroler?” Das Ergebnis war ungefähr der große Applaus der Nordtiroler mit den vereinzelten Klatschern der Osttiroler zusammengenommen¹. Der “Einpeitscher” versuchte erfolglos sein Erstaunen über die enttäuschenden Dezibel zu kaschieren, schoss aber sogleich ein “Und jetzt alle die Hände über den Kopf” nach und die Welt war wieder in Ordnung.
Von den Untiefen des Musikantenstadls nun wieder zurück herauf in den Alltag: Da ich meinen Nordtiroler Zungenschlag nicht zu verstecken vermag und auch nicht will, schallt mir südlich des Brenners immer wieder die Frage entgegen: “Du bisch obr a Tiroler?” Ich habe mir mittlerweile angewöhnt darauf mit der – zugegeben etwas süffisanten – Gegenfrage “Du epper nit?” zu antworten und genieße dann ganz absonderlich die überrascht-verlegenen Blicke und das eilig-rechtfertigende “Jo, obr I moan …”. Wenngleich es auch einige gibt, die dann noch einer Erklärung bedürfen, was ich denn nun damit meine.
Das “höfliche” Äquivalent des kollegialen “Du bisch obr a Tiroler?” ist das amtliche “Ah, Sie sein Ausländer?”, das einem nicht selten in der Südtiroler Verwaltung begegnet. Wiewohl die Formulierung im bürokratischen Sinne durchaus korrekt sein mag, fröstelt mich die Kälte dieser Titulierung im Vergleich zum herzlich-warmen Empfang der mir in Südtirol im Allgemeinen bereitet wurde.
Ich bilde mir ein, dass man besonders dem Nordtiroler Zuwanderer mehrheitlich wohlwollend gegenübersteht und bin mir bewusst, dass die obigen Formulierungen nicht böse gemeint und bisweilen sogar positiv konnotiert sind. Sie zeigen aber auch, dass die jahrzehntelang aufrechte und mittlerweile bekanntlich “nicht mehr existierende Grenze” wie auch die nationalstaatliche Logik den Sprachgebrauch prägen. Der Weg hin bzw. zurück zu einer territorialen Tiroler Identität im Sinne der Europaregion – die dann nicht bloß die “echten Tiroler”, sondern alle Ansässigen miteinschließt und als Tiroler begreift – ist ein verdammt weiter. Aber irgendwann muss man sich auch zum entferntesten Ziel auf den Weg machen.
1) Dass die Welschtiroler überhaupt außen vor gelassen wurden, ist wohl ob der Erfahrungswerte bezüglich der Biographie des “gemeinen Musikantenstadlbesuchers” durchaus nachvollziehbar
Cëla enghe: 01
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