Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano stellt neuerdings einen Zusammenhang zwischen Erfolg bei der Fußball-EM und der Fähigkeit einer Nation zur Krisenbewältigung her.
Die Wirtschaftskrise und die Fußball-EM sind zwar im Grunde zwei verschiedene Dinge — ist aber ein Land in Krisenzeiten auf dem Fußballplatz erfolgreich, so ermutigt das die Bevölkerung und das ganze Land bei der Krisenbewältigung.
Dass Fußball-Großereignisse gesellschaftlich zentrale Veranstaltungen sind, beweist schon die Tatsache, dass sämtliche Ministerpräsidenten bzw. Staatsoberhäupter ihren Nationalteams die Aufwartung machen. Napolitano bildet hier keine Ausnahme. Die Medien befeuern ihrerseits die nationalstaatliche »Sache« mit teils archaisch, militärisch anmutendem Vokabular. Eine von mir geschätzte Oberschullehrerin beschrieb Fußball-Großereignisse als Ersatzkriege. Wie dem auch sei, die Faszination Fußball begeistert und beschäftigt die Massen. Ein Spiel mit simplen, leicht verständlichen Regeln, das im afrikanischen Hinterhof ebenso gespielt werden kann, wie in einer modernen Arena. Ein Spiel, das trotz Korruptionsskandalen und knallhartem wirtschaftlichen Business den Traum von der Durchlässigkeit der Gesellschaft nährt. Hier zählen zumindest theoretisch weder Hautfarbe noch soziale Herkunft, sondern einzig Können und Talent.
Zurück zu den Aussagen Napolitanos: Für ein Minderheitengebiet entwickeln derartige Verknüpfungen eine besondere Brisanz. Aus verfassungspatriotischer Logik müssten SüdtirolerInnen nun wohl ebenfalls der italienischen Mannschaft den Daumen drücken? Nach derselben Logik wurde ja vor einem Jahr eine gebührende Teilnahme Südtirols an den 150-Jahr-Feiern Italiens gefordert. Auch von Leuten, die sonst gerne vom grenzenlosen Europa philosophieren.
Wer sich diesem nationalstaatlichen Druck widersetzt, muss sich jedenfalls rechtfertigen — nicht umgekehrt. In Zukunft werden sich (zahlreiche) SüdtirolerInnen, die nicht der italienischen Nationalmannschaft den Daumen drücken, wohl auch für die Wirtschaftskrise und die erhöhten Steuern rechtfertigen müssen. Laut Napolitano gibt es da ja einen Zusammenhang. Leute, die noch immer vom Alpinitreffen schwärmen, wie ein Pubertierender vom ersten Alkoholexzess, werden dem Staatspräsidenten wohl sekundieren. Schließlich fördern nächtelange Hupkonzerte und grün-weiß-rote Autokorsos durch Südtirols Dörfer den gesellschaftlichen Zusammenhalt und neuerdings auch die wirtschaftliche Genesung des Landes. Eigenartig nur, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt in Südtirol häufig über die Symbole und Logik des Nationalstaates definiert wird. Eine wirklich funktionierende Autonomie sollte hier eigentlich Alternativen anbieten und einen gesellschaftlichen Zusammenhalt in einem Kontext abseits der nationalstaatlichen Logik garantieren. Südtirols Autonomie ist dazu nicht imstande — einer der gravierendsten Konstruktionsfehler unserer Autonomie, der im Rahmen eines Nationalstaates wohl auch schwerlich zu überwinden ist.
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