Wie in Südtirol die Mär vom bevorzugten »Ausländer« entsteht und wovon sie sich nährt, lässt sich ausnahmsweise an einem konkreten Fall gut nachvollziehen, der sich kürzlich in Brixen abgespielt hat und weitgehend schriftlich erfasst ist.
Frau Verena G. will ihr Kind in den geographisch nächstgelegenen Brixner Kindergarten einschreiben, muss aber bestürzt feststellen, dass für ihre Zone ein anderer Kindergarten zuständig wäre. Man sagt ihr, sie könne ihr Kind gerne auf eine Warteliste setzen lassen, garantieren könne man ihr einen Platz aber nicht. Schließlich reiche es, dass eine Familie zuwandere und ihren Nachwuchs hier anmelde — die habe dann selbstverständlich Vorrang. Zuwandern, dieses Stichwort bestimmt den weiteren Verlauf der Geschichte.
Frau G. beschließt, ihren Fall öffentlich zu machen, beschreibt ihre Erfahrung mit drastischen Tönen in einem Leserbrief und kommt darin zum Schluss, man müsse zum Rassisten mutieren, wenn man als Südtiroler bald weniger Rechte habe, als ein »Ausländer«. Man weiß nicht ob es Vorsatz ist oder doch eher ein Missverständnis, jedenfalls bleibt unerwähnt, dass völlig irrelevant ist, ob eine Brixner Familie von einem anderen Stadtteil in das Einzugsgebiet des Kindergartens »zuwandert«, oder eine Familie aus dem Ausland. Wer sein Kind in einen anderen Kindergarten schicken möchte, als den für seine Wohngegend zuständigen, hat immer Nachrang.
Eine Schlüsselrolle spielt in diesem Fall sicherlich das Medium, das einen Brief mit derart schwerwiegendem Inhalt unüberprüft veröffentlicht hat: Die Tageszeitung Dolomiten. Das ist fahrlässig, gefährlich und unprofessionell.
Von dort nimmt die Falschinformation ihren Weg zu den Stammtischen — und zu Facebook, wo sich eine wachsende Meute darüber hermacht. Schließlich ist es die Bestätigung einer »Tatsache«, die ohnehin »alle kennen«: Die »Ausländer« wandern in unsere Sozialsysteme ein und machen sich darin breit, die Politik scheint gar kein anderes Interesse zu verfolgen, als es »ihnen« so bequem wie möglich zu machen.
Da helfen bereits keine rationalen Argumente mehr, und auch SVP-Sekretär Philipp Achammer, der immer wieder auf eine klärende Stellungnahme der zuständigen Brixner Stadträtin, Magdalena Amhof, aufmerksam macht, ist nicht sonderlich viel Erfolg beschieden.
Wie so oft nährt sich das Vorurteil aus der unüberprüften Anekdote (»ich kenne jemanden, dem ist dies und jenes widerfahren…«) und nicht aus Fakten (»Gesetz x, Verordnung y besagt, dass Zuwanderer jenes Privileg haben…«). Es könnte auch gar nicht anders sein, denn wennschon haben wir genau das gegenteilige Problem: Solange die neuen Südtiroler — obwohl sie hier arbeiten, Steuern zahlen, den demographischen Wandel auffangen und somit die Finanzierbarkeit unseres Sozialsystems unterstützen — kein Wahlrecht haben, wird kein Politiker einen wahren Anreiz haben, sich übermäßig um ihre Belange zu kümmern.
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