Teilweise beschleicht mich das ungute Gefühl, dass wir uns im Jahre 1912 des 21. Jahrhunderts befinden. Auch damals ahnten wohl wenige, dass schon zwei Jahre später der gesamte Kontinent in Scherben fliegen würde. Nicht, dass ich einen Krieg in Europa fürchten würde, die Geschichte wiederholt sich glücklicherweise nicht linear, trotzdem erleben wir derzeit epochale wirtschaftliche Umbrüche und weltweite Machtverschiebungen, denen wohl nicht mehr mit den üblichen Rezepten begegnet werden kann, obwohl gerade diese hilflos und alternativlos von Politik und Wirtschaft verlangt werden.
In diesem Zusammenhang ist es auch von Bedeutung ,welche Sicherheiten und Visionen von Südtirols einflussreichster Partei, der SVP, vermittelt werden. Schon seit geraumer Zeit ist die SVP leider in erster Linie hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt und nicht mit der Frage über Südtirols Zukunft. Nicht die Zähigkeit in Verhandlungen, die ein Alfons Benedikter noch par excellence beherrschte oder die Brillanz der Konzepte und Visionen scheinen derzeit zu den Kernkompetenzen unserer Mehrheitspartei zu zählen.
Es scheint der pure Trieb zum Machterhalt zu sein, der den nervösen Haufen der SVP Spitzenpolitiker zusammenschweißt.
Just in dem Moment, wo man damit rechnen muss, das Spiel nicht mehr im sportlich, fairen Schlagabtausch zu gewinnen, will man die Spielregeln ändern. Die Dreistigkeit mit der das Wahlgesetz zugunsten der SVP abgeändert werden soll, gipfelt darin, dass man nun plötzlich das Volk entdeckt, das über ein Wahlgesetz abstimmen soll, das unserer Mehrheitspartei auch mit ca 43 – 44% der Stimmen die Mehrheit der Sitze garantieren soll. Dasselbe Volk, das führende SVP Politiker bei der ersten Landesvolksabstimmung im Oktober 2009, noch aktiv zur Nicht-Teilnahme aufgerufen haben.
Just in dem Moment, wo sich die SVP inhaltlich von der Frage über Südtirols Zukunft weitgehend abgemeldet hat, erfindet man die Vollautonomie, um sich zumindest medial wieder zurückzumelden. Prinzipiell wäre ein engagiertes und zukunftsweisendes Konzept zu einer wirklichen Vollautonomie ja eine begrüßenswerte Vision, die sich im Gegensatz zur gängigen SVP Mainstream-Ansicht auch exzellent mit der Forderung nach völliger staatlicher Unabhängigkeit vereinbaren ließe. Schottland und Katalonien verfolgen genau diesen Weg erfolgreich. Wer sich nun von der SVP ein brillantes Konzeptpapier zum Thema Vollautonomie erhofft hat, bleibt ernüchtert.
Die größte Partei des Landes, mit 18 Landtagsabgeordneten, von denen selbst der letzte Hinterbänkler noch 6000 Euro netto verdient, ist nicht in der Lage zum Thema Vollautonomie ein Arbeitspapier zu verfassen, das auch nur annähernd das Niveau eines engagierten Polit-Blogs erreichen würde.
Aber klare Zukunftskonzepte, in einer Zeit, in der unsere Autonomie im Wochenrhythmus vom italienischen Zentralstaat torpediert wird, und unser gesamtes Wirtschaftssystem auf dem Prüfstand steht, sind wohl auch nicht das Ziel der SVP. Das Ziel sind 18 Mandate bei den Landtagswahlen 2013. Eine Mehrheit, nicht um ein hohes Ziel zu erreichen, sondern eine Mehrheit um so weiter zu machen wie bisher.
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