Das Strategiepapier des SVP-Obmanns zur Vollautonomie war eigentlich überfällig. Zwischen punktuellen Forderungen einzelner Gruppen, wie etwa nach Steuerhoheit und Landespolizei, zwischen dem Stillstand bei den Verhandlungen in den 137er-Kommissionen einerseits und den Selbstbestimmungs- und Freistaatsentwürfen andererseits fehlte der unverzichtbare Gesamtentwurf zur Vervollständigung der bestehenden Autonomie. Den hat Richard Theiner mit seinem Strategiepapier zwar noch nicht geliefert, aber zumindest steckt er damit einen viel versprechenden Weg ab, den auch andere Regionalautonomien in Europa gehen: die stufenweise Erweiterung der politischen Eigenständigkeit und Verbesserung der Autonomie. Diesen Weg haben etwa die Ålandinseln vorgezeichnet (Reform des Autonomiestatuts 1991), Katalonien mit dem neuen Statut von 2006, Grönland (neues Statut in Kraft seit 2010), während die Bemühungen zum Ausbau der Autonomie in Schottland in vollem Gange sind. Wie Staatsverfassungen nicht für die Ewigkeit gemacht werden, müssen auch Autonomiestatute von zu Zeit den neuen Entwicklungen regionaler Demokratien und Gesellschaften angepasst werden. Die Entwicklung der Südtirol-Autonomie ist noch lange nicht am Endpunkt. Dazu kommen die starken Tendenzen in Richtung Föderalismus in der italienischen Politik, die in dieselbe Richtung wie Theiners “Vollautonomie” gehen. In manchen Aspekten gehen Theiners Vorstellungen allerdings nicht weit genug, andererseits muss ein Prozess zur Übertragung weiterer Machtbefugnisse ans Land notwendigerweise begleitet werden durch neue Regeln zur feineren und demokratischeren Verteilung und Kontrolle der Macht innerhalb der Autonomie.
Ganz so neu ist das Projekt “Vollautonomie” auch nicht. Schon die Väter der Paket-Autonomie schrieben am 22. November 1969 in die Resolution zur Annahme des Paketes hinein, dass man sich aufgrund der geschichtlichen Umstände mit einer Teilautonomie zufrieden geben müsse, und 1991 verlangten Peterlini und Pahl einen Qualitätssprung in der Autonomieentwicklung. Wichtig ist jedenfalls, dass Richard Theiner die Diskussion und Reflexion darüber auf breiter Basis und in offener Diskussion angestoßen hat und diesen neuen Horizont zum Teil seines politischen Programms macht.
Cëla enghe: 01
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