Europaweit die Kräfte von Regionen mit ähnlichen Ansprüchen nach mehr Eigenregierung zu bündeln kann durchaus sinnvoll, ja notwendig sein, wenn man in der Union Ergebnisse erzielen möchte. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass gerade die Regionen sehr heterogen sind und sich beileibe nicht über einen Kamm scheren lassen.
Diesen Fehler hat die Süd-Tiroler Freiheit begangen, als sie mit ihrem grundsätzlich durchaus teilbaren Slogan »Südtirol ist nicht Italien« an die Öffentlichkeit gegangen ist, den sie offenbar aus Katalonien entlehnt hat. Südtirol kann zwar von den Katalanen sehr viel lernen, wie auch dieses Blog regelmäßig aufzeigt, wir dürfen uns aber deshalb noch lange keine Kurzschlüsse und Abkürzungen erlauben. Mal ganz abgesehen davon, dass es sich dort beim Slogan »Catalonia is not Spain« um eine gesellschaftliche Äußerung handelt, während sie sich hier eine politische Bewegung zueigen gemacht hat, gibt es auch einige grundsätzliche Unterschiede:
Mitunter aufgrund einer völlig anderen Ausgangslage (z.B.: die katalanische und die kastilische Sprache gleichen sich wesentlich mehr als Deutsch und Italienisch) konnte in Katalonien in der kurzen Zeit seit Ende der Franco-Ära ein gesellschaftlicher Zusammenhalt (»cohesió«) erzielt werden, der stets im Mittelpunkt der dortigen Autonomiepolitik war. Das heißt, dass es nicht getrennte Schulsysteme gibt, sondern ein einheitlich katalanisches, mit dem sich auch die Kastilier im Lande stark identifizieren. Zugewanderte werden in die katalanische Sprache eingeführt und in eine Gesellschaft integriert. Auch sonst gibt es im Land keine wahrnehmbaren Spaltungen; Parteien, die die Autonomie auch nur einschränken wollen, sind im »Parlament«, dem katalanischen Landtag, reine Randerscheinungen. Die überwältigende Mehrheit der Bürger aller Muttersprachen wünscht sich eine noch wesentlich stärkere Eigenregierung bis hin zur Schaffung eines unabhängigen Staates. Und dies, obschon die anteilsmäßige Anzahl an »Spaniern« in Katalonien wesentlich höher ist, als die der Italiener in Südtirol.
Aus ebenfalls historisch nachvollziehbaren Gründen gibt es in unserem Land dagegen eine innere Spaltung, die durch die mehr oder minder gegebene Notwendigkeit getrennter Schulsysteme, des Proporzes, getrennter Vereine und Kinos entstanden ist. Dies ist der Grund, weshalb der selbe Slogan (»Südtirol ist nicht Italien« analog zu »Catalonia is not Spain«) hierzulande eine gänzlich andere Wirkung erzielt als in Katalonien: Während es sich dort um eine gemeinsame Mitteilung aller Bürger an Vorbeikommende, Touristen und äußere Beobachter handelt, man fühle sich nicht als Teil Spaniens und verfolge (auch) daher ein stärkeres Maß an internationaler Anerkennung, reißt der Slogan hier bei uns tiefe Gräben quer durch die Gesellschaft. Es handelt sich nicht in erster Linie um eine Mitteilung für Außenstehende, sondern um eine innere Reviermarkierung, die als trennend und belastend aufgefasst wird. Ein italienischsprachiger Südtiroler wertet den – nicht zufällig nur auf Deutsch abgedruckten – Satz als eine Aggression, und nicht als eine Verteidigung auch seiner Unabhängigkeit und Interessen gegenüber staatlichem Zentralismus.
Daher ergeht an dieser Stelle eine klare Aufforderung an die Süd-Tiroler Freiheit – so sie tatsächlich die Freiheit Südtirols verfolgt – sie möge sich zuerst für die soziale Kohäsion einsetzen, dafür, dass sich Menschen aller Sprachgruppen in diesem Land gemeinsam wohlfühlen. Davor wird es nicht nur keine Unabhängigkeit geben, sie hätte zudem auch keinen Sinn!
Nicht zuletzt hat die Süd-Tiroler Freiheit mit dieser Aktion sogar ihrer eigenen Kausa einen Bärendienst erwiesen: Bei einer großen Anzahl Plakaten wurde das Wort »NICHT« bereits weiß übermalt, was bei Touristen nicht gerade die gewünschte Wirkung erzielen wird.
Cëla enghe: Neither Italy. Nor Austria.
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