→→ Autorinnen →→ Gastbeiträge →→

»Es muss ursprünglich sein.«

Autor:a

ai

Die Diskussion um die Toponomastik nimmt kein Ende. Der Bozner Anwalt Gianni Lanzinger hat klare Vorstellungen: Wie Ortsnamen zu gebrauchen seien, welchen Wert die ursprünglichen Bezeichnungen für Italiener und Deutsche haben sollten und warum es keine Entscheidung auf politischer Ebene geben werde.

aus der heutigen Ausgabe der *TAZ*

Tageszeitung: Herr Lanzinger, was bedeuten Ihnen die ursprünglichen Ortsnamen?
Gianni Lanzinger: Die ursprüngliche Toponomastik ist ein kulturelles und sprachliches Denkmal. Diese Denkmäler dürfen nicht zerstört werden. Ich beziehe mich hier nur auf jene Bezeichnungen, die in ihrer gesamten Entwicklung nicht durch irgendeine politische Entität eingesetzt worden sind.

Wieso gelten in Südtirol noch die faschistischen Ortsnamen?
Es hat in den Nachkriegsjahren einen Versuch der Assimilation des italienischen Staates gegenüber Minderheiten gegeben. Es herrschte das Denken vor, dass man hier in Italien sei und damit auch Italienisch sprechen müsse. In der Folge ist es nicht zu einer Wiederherstellung der deutschen Namen gekommen.

Ist Italien immer noch intolerant gegenüber sprachlichen Minderheiten?
Ja. Ich kann das in zwei Punkten aufzeigen. Wenn wir heute die Italiener ansehen, so müssen wir uns klar werden, dass die wenigsten nur einen Ortsnamen in der deutschen Sprache wissen [sic]. Wieso können die Italiener die französischen Namen im Aostatal aussprechen, aber nicht die deutschen in Südtirol?

Was ist der zweite Punkt?
Man geht davon aus, dass Italien sprachlich ein homogenes Land wäre. Das ist einfach nicht wahr. Ich habe eine Landkarte von Pantelleria. Darauf sind Ortsbezeichnungen in der arabischen Sprache. Die Ortsbezeichnung hat sich in ganz Italien in den unterschiedlichsten Sprachen entwickelt. Es gibt viele Ortsnamen, die slawischer, longobardischer und eben auch deutscher Herkunft sind.

Was geschieht mit der geforderten Zweisprachigkeit der Ortsnamen?
Zweisprachigkeit hat nichts mit Ortsnamen zu tun. Ich kann nicht eine Ortschaft in eine andere Sprache übersetzen, wenn seine [sic] ursprüngliche Bezeichnung nur in der einen Sprache vorhanden ist. Es darf nicht auf eine Erfindung von Ettore Tolomei zurückgegriffen werden. Wenn Auer seit Jahrhunderten auch Ora bezeichnet wird, dann ist es eine echte Bezeichnung.

Also keine Übersetzung?
Ich kann es mir nur für Sachen vorstellen, die übersetzbar sind. Fluss ist Fiume und Alm ist Malga. Aber alles andere ist für mich nicht relevant. Man kann nicht einen Begriff erfinden, nur weil er in meiner Sprache sonst nicht existieren würde.

Sind die Bezeichnungen in Südtirol alle deutsch?
Wahrscheinlich nicht. In den alpinen Bereichen gibt es eine geschichtlich wichtige Entwicklung. Die Alpen wurden immer wieder von anderen Völkern regiert. Gleichzeitig wurde von den meisten auch die Ortsbezeichnung übernommen. Wir können damit nicht von einer ursprünglichen Bezeichnung sprechen.

Was sagt die italienische Verfassung dazu?
Im Artikel neun der Verfassung wird darauf Bezug genommen, dass das historische und kulturelle Erbe schützenswert sei. Meiner Meinung nach sind auch die Ortsbezeichnungen in den unterschiedlichsten Tälern ein kulturelles Erbe; angefangen bei der keltischen Bezeichnung bis zu der heute gebräuchlichen. Es muss klar werden, dass der Schutz der ursprünglichen Ortsbezeichnungen nicht nur die deutschen Namen schützt, sondern auch die italienischen. Ich kann nicht verstehen, dass Ortsbezeichnungen, die bisher für 500 Jahre Gültigkeit hatten, heute nicht mehr gelten sollten.

Bringt die Übersetzung von Ortsnamen nicht ethnischen Frieden mit sich?
Nein. Wenn ich heute zwei Bezeichnungen für ein und denselben Ort habe, dann ist das konfliktträchtig. Kultur ist nicht ein dauernder Streit. Kultur ist der Versuch von Vermittlung und Versöhnung. Ich hoffe, dass unsere Kinder diesen Streit einmal beilegen werden.

Wenn Sie deutscher Muttersprache wären, würden Sie als intolerant dargestellt werden?
Ich trete nicht für die deutsche Bezeichnung ein. Ich mache mich stark dafür, dass die ursprünglichen Ortsbezeichnungen verwendet werden. Dann ist es mir wirklich egal, ob diese nun deutscher oder italienischer Herkunft sind. Die politische Diskussion kann nur mit der historischen Wahrheit gelöst werden. Es geht nicht darum, dass eine sprachliche Minderheit nur ihre eigenen Ortsnamen haben will. Es geht darum, dass die deutschen Bezeichnungen ein Reichtum aller ist [sic]: sowohl der Deutschsprachigen wie auch der Italienischsprachigen.

Was können wir jetzt machen, wenn nicht eine sprachliche Bereinigung?
Es öffnet sich mir ein wichtiger gesellschaftlicher Diskurs. So etwas können wir nicht durch eine Abstimmung regeln. Man darf die Gesellschaft nicht ausspielen. Es darf nicht ein nationalistisches Geplänkel werden. Darin sehe ich die größte Gefahr. Eine Kommission aus Sprachwissenschaftlern und Historikern soll entscheiden. Ohne die Anerkennung der ursprünglichen Bezeichnungen werden sich die Italiener in Südtirol nie richtig zuhause fühlen.

Interview: Hannes Senfter.



Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.

Comentârs

17 responses to “»Es muss ursprünglich sein.«”

  1. anonym avatar
    anonym

    Eine Wohltat diese Wahrheit endlich einmal aus dem Munde eines Italieners zu hören! Wenn nur alle (oder zumindest eine Mehrheit) so denken würde und es auch klar ausprechen würden (!), dann wären wir schon viel weiter hier in diesem Lande! Bravo!

    Einziger Kritikpunkt:
    “Ich mache mich stark dafür, dass die ursprünglichen Ortsbezeichnungen verwendet werden. Dann ist es mir wirklich egal, ob diese nun deutscher oder italienischer Herkunft sind.”

    Die Ladiner werden wieder einmal vergessen?
    Und welche Namen sind hier bei uns italienischer Herkunft?

  2. Lex avatar
    Lex

    Alle Namen (wie Bolzano, Merano, Ora, Gargazzone usw.) die es “immer schon” gegeben hat.

  3. hansi avatar
    hansi

    Die Wahrheit zu hören tut gut. Dennoch gibt sie sehr zu denken. Zum Beispiel was Lanzinger zu den italienischen Methoden sagt. Man wusste es ja schon immer, es aber von neutraler Seite nochmal direkt zu hören, ist was anderes. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mir mein Vater erzählt hat, dass sein deutscher Vor- und Nachname einfach übersetzt wurde. So etwas gab es wohl nicht mal auf dem Balkan. Und das ist genau dasselbe wie die Übersetzung von Orts-und Flurnamen. Es ist einfach moderner Imperialismus und Faschismus, und dies im 21 Jh.! Ich hoffe doch sehr dass Europa diesen Staat stoppt bei seinen unchristlichen und unzivilisierten Bemühungen.

  4. anonym avatar
    anonym

    @Lex
    nur um klar zu sagen: ich sage nicht das es keine ital. Namen geben soll sondern frage welche Namen ital. Herkunft sind? (keine Frage daß Namen die auch schon früher einen ital. Namen hatten, bleiben sollen!)

    Aber die Herkunft ist keltisch, römisch , räto-romanisch (ladinisch) oder eben deutsch (bajuwarisch). Hoffe mich klar ausgedrückt zu haben.
    Unter Herkunft verstehe ich daß der Name in der Sprache entstanden ist und die anderen Namen dvon abgeleitet wurden.

  5. gadilu avatar
    gadilu

    Le posizioni di Lanziger totalmente in preda dell’ideologia (mitologia) dell’origine. Una pena unica.

  6. Lex avatar
    Lex

    Ach anonym das ist doch nationalistische Verblendung in Reinform. Selbstverständlich gibt es Namen die im Italienischen entstanden sind, was ja nicht heißen muss dass die deutsche Form davon abgeleitet ist. Sie können auch eine gemeinsame Wurzel haben. Du bist nichts besser als die die Tolomei anbeten.

    @hansi: Was hat das wieder mit “christlich” zu tun?

  7. hansi avatar
    hansi

    @Lex
    Ich hoffe ich muss mich heute in Europa nicht dafür entschuldigen, wenn ich das Wort “christlich”, aufgrund einer gewissen Werteordnung, (die mir am Herzen liegt) in den Mund nehme. Ich denke nun mal neutestamentarisch – die Betonung liegt auf dem neuen Testament- und versuche danach zu handeln. Auch hier gilt, bitte keine Vorurteile und voreilige Schlüsse, indem man alles in einen Topf wirft. Wie z.B. Fehlgriffe der Kirche mit christlichem Glauben verwechseln.
    Meine Aussage bezog sich auf geschichtsfälschendes und imperialistisches Gedanktengut, was ja nun wirklich mit dem neuen Testament unvereinbar ist.
    Ich denke wir alle sind dafür die unverfälschten italienischen Namen so zu belassen wie sie sind: z.B Merano, Bolzano usw. Aber dass man hier ein Faschistenwerk in Südtirol überall drüberstülpen will, dafür kann man ja wohl kaum sein wenn man europäisch denkt.

  8. hansi avatar
    hansi

    Kleiner Nachtrag. Das neue Testament ist übrigens auch sehr zu empfehlen wenn man für das friedliche Zusammenleben der Sprachgruppen ist.

  9. anonym avatar
    anonym

    @Lex
    du hälst dich ja für so klug, und bist doch genau das Gegenteil. Was ich nämlich sage ist genau der wissenschaftliche Ansatz. Aber wenn du dir was anderes einreden willst, bitte.
    Mit Tolomei vergleichbar bist du, wer nämlich die wissenschaftlichen und historischen Fakten bewusst ausser acht lässt (weil sie ja so nationalistisch ist, aha! Ladinisch, Keltisch, römisch… interessant!) und sich lieber seine eigene Theorie zurechtlegt ist wie er!

    Denn die Namen gehen doch meist auf die Gründung zurück, und die liegt bei allen Ortschaften mehrere hundert wenn nicht tausende Jahre zurück.
    Und was redest du von den gemeinsamen Wurzeln, glaubst du das wüsste ich nicht? Ich sagte ja die Namen haben großteils keltische, ladinische, lateinischen, bajuwarische usw. Ursprünge. Also was?
    Auf meine Frage welche Namen ital. Herkunft sind antwortest du: “Alle Namen (wie Bolzano, Merano, Ora, Gargazzone usw.) die es ”immer schon” gegeben hat.”
    Und das ist, erwiesenermassen, nicht korrekt: diese ital. Namen werden seit langem benutzt und sind von der lateinischen Bezeichnung (im Mittelalter Standardsprache) abgeleitet oder direkt übernommen (und haben ohne Frage Berechtigung), sind aber nicht der Ursprung des Namens. Das habe ich aber gefragt. Lern lieber mal lesen und genau verstehen!

  10. gadilu avatar
    gadilu

    “…sind aber nicht der Ursprung des Namens”.

    Oh wie schade.

  11. pérvasion avatar

    Die Aussagen von anonym sind unter jenem Kapitel »Extremismus« zu verbuchen, das wir schleunigst überwinden müssen, wenn der gesellschaftliche Zusammenhalt eine Chance haben soll — der übrigens auch zwingende Voraussetzung für die Unabhängigkeit ist.

    Aus dem Kontext ist doch klar verständlich, inwiefern von »Herkunft« die Rede ist. Alles darüber hinausgehende wäre ohnehin nicht vertretbar — wenn man sich nicht für eine weniger wissenschaftliche, aber demokratisch genauso respektable Prozentlösung entscheidet.

  12. fabivS avatar
    fabivS

    A memoria credo di non aver scritto alcun commento sulla toponomastica. perchè non c’è al momento nulla di buono da dire. E’ semplicemente un cespuglio di rovi: da qualsiasi parte ti giri ci sono spine.
    E finchè c’è gente che auspica la ritraduzione dei nomi tedeschi o la traduzione di quelli non ancora toccati e chi si mette a discutere accanitamente sul fatto che nemmeno le origini dei nomi fossero italiane perchè 1000 anni fa in Italia si parlava una specie di latino volgare, non mi interessa discutere. La questione della toponomastica è assolutamente peggio di quelle sui relitti fascisti o sulla scuola bilingue e persino più spinosa di quella della Selbstbestimmung. Osservo solo che nel caso fossimo già  in un Freistaat gran parte del problema cadrebbe: la convinzione di Tolomei che l’Italia arrivi fino al Brennero sarebbe allora definitivamente sconfitta nei fatti e la massima “nomina sunt flatus vocis” potrebbe acquistare forse qualche credito.

  13. Lex avatar
    Lex

    Diese Extremisten sind nicht besser als der CAI. Gibt es kompromissbereite Italiener, machen sie wieder einmal alles mit ihrer I-Tüpfelchen Reiterei und mit Maximalforderungen kaputt. Ich kann mich richtig ärgern über so viel Beschränktheit! Genau das will uns ja fabivs sagen (wenn ich richtig interpretiere, sonst bitte korrigiere mich), dass diese “Patrioten” (!?!) auch die Italiener verschleißen welche für mehr Autonomie oder Unabhängigkeit wären.

  14. Gorgias avatar
    Gorgias

    @hansi

    Wenn heutzutage von diesen christlichen Werten gesprochen wird, dann handelt es sich in Wirklichkeit um Werte die in Epochen des Humanismus und der Aufklärung entstanden sind.

    Diese Werte werden dann von Gläubigen in die Bibel (und auch ins NT) hineinprojeziert um ihre Identität als Christ zu erhalten. Die Bibel wird in jeder Epoche neu interpretiert und zurechtgebogen, damit sie sich besser mit dem Zeitgeist verträgt. Auch das Neue Testament enthält viel vulgäres und schreckliches, und daran ändert auch nichts, dass auch manches steht, das für heute noch ethisch verwertbar wäre. Doch wer die Bibel als Grundlage für seine Ethik heranzieht, baut auf Sand, weil er sich in dauernden Widersprüchen verstrickt und seine intelektuelle Redlichkeit einbüßt.

    Ich kenne auch die Geschichte des guten Samariters und die des verlorenen Sohns aus dem katholischen Religionsunterricht, aber das sind nur ausgewählte Stellen für die lieben Kleinen. Kennt jemand aber z.B. die Stelle in der Jesus Dämonen austreibt und ihnen dann erlaubt in eine Herde Schweine zu fahren, die dann zum See rennt, um sich selbst zu ertänken? (Mk 5,1-20) Diese Geschichte müßte man einmal im Kindergottesdienst vortragen. Und die Offenbahrung des Johannes ist wohl in sich eines der brutalsten schriftlichen Ergüsse aus der Antike.

    Wer sich für die dunkle Seite der “frohen Botschaft” näher interessiert kann sich mal diese Bücher anschauen:

    Die Intoleranz des Evangeliums: Erläutert an ausgewählten Schriften des neuen Testaments

    Denn Sie wissen nicht was sie Glauben

  15. dauergast avatar
    dauergast

    Diese Diskussion ist ein Lehrbeispiel, wie die Südtiroler Rechten sich auch bei Themen wo sie “im Recht” liegen systematisch ins Abseits bringen. Anstatt um Lanzingers kluge Aussagen dreht sich wieder alles um die radikalen Töne von anonym (und hansi).

  16. anonym avatar
    anonym

    Hm, unter lauter “Ignoranten” und “Utopisten” muss ich wahrlich ein “Extremist” sein. Aber lieber sag ich’s grad raus wie es ist, als Fakten zu ignorieren (eben Ignoranten) oder sich irgendwelche Wunschvorstellungen zu machen (Utopisten).
    Und bitte, dann muss auch Gianni Lanzinger als “Extremist” eingestuft werden, denn er sagt ja selbst: “Eine Kommission aus Sprachwissenschaftlern und Historikern soll entscheiden.” Ahaaa! Und was würden diese Wissenschaftler wohl feststellen?

  17. hansi avatar
    hansi

    @gorgias
    ich will dir deinen atheismus nicht streitig machen und mich deshalb gar nicht auf eine diskussion diesbezüglich einlassen, denn glaube ist wie der name schon sagt glaubenssache. so wie du in foras deine atheistischen ansichten kundtun darfst, darf ich auch meine seite einbringen.
    dass das wort “christlich” solche reaktionen hervorrufen kann, möchte man nicht für möglich halten, wäre es auf der restlichen welt doch normal, hie und da auf seine religiösen wurzeln zu verweisen.

    @dauergast
    radikale töne? bitte fair bleiben, denn eine nicht-faschistische lösung ist glaub ich nicht radikal. meine meinung bezüglich “schilderstreit” unterscheidet sich nicht von bbd (z.b in ladinien nur einsprachig ladinische namen und alle italienisch nicht von tolomei erfundenen, gewachsenen namen verwenden).

Scrì na resposta

Your email address will not be published. Required fields are marked *

You are now leaving BBD

BBD provides links to web sites of other organizations in order to provide visitors with certain information. A link does not constitute an endorsement of content, viewpoint, policies, products or services of that web site. Once you link to another web site not maintained by BBD, you are subject to the terms and conditions of that web site, including but not limited to its privacy policy.

You will be redirected to

Click the link above to continue or CANCEL