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Primäre Augenwischerei?

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Neulich habe ich über die Aushebelung des Landesbautengesetzes und die Angleichung an die entsprechenden Staatsnormen berichtet. Unter anderem habe ich dazu aus einem Vortrag zitiert, den RA. Dr. Renate von Guggenberg, Direktorin der Abteilung Anwaltschaft des Landes Südtirol, im Auftrag des zuständigen Landesrates zu diesem Thema gehalten hatte. Nicht schlecht gestaunt habe ich, als ich erstmals in aller Klarheit erfahren habe, was es mit den angeblich »ausschließlichen« Zuständigkeiten des Landes Südtirol so auf sich hat: Von Ausschließlichkeit kann faktisch keine Rede sein, denn die autonomen Befugnisse sind außer der italienischen Verfassung und internationalen Verpflichtungen auch noch »den Grundsätzen der Rechtsordnung der Republik«, den »nationalen Interessen« und nicht näher definierten »grundlegenden Bestimmungen der wirtschaftlich-sozialen Reformen der Republik« unterworfen. Dies ist in Artikel 4 des Autonomiestatuts ganz klar so definiert, weshalb das Land im speziellen Fall trotz primärer Zuständigkeit auf dem Gebiet der öffentlichen Arbeiten — wie es Frau von Guggenberg ausdrückt – »fast nur mehr die Möglichkeit [hat], rein organisatorische Aspekte zu regeln«.

Da Artikel 4 des Autonomiestatuts allgemeine Gültigkeit hat, ist nicht davon auszugehen, dass seine Auswirkungen auf den Bereich der öffentlichen Arbeiten beschränkt sind. Im Gegenteil: Im Laufe der vergangenen Jahre wurden Südtirols Zuständigkeiten regelmäßig vom Verfassungsgericht auf ein Mindestmaß zurechtgestutzt.

Konsultiert man auf den Seiten des Landes Südtirol — pardon: der autonomen Provinz Bozen – die Liste der autonomen Zuständigkeiten, stößt man auf folgende Formulierung:

I. Primäre Zuständigkeiten:
Diese stellen den obersten Ausdruck der Gesetzgebungsautonomie des Landes dar. Es handelt sich hier um Bereiche, in denen das Land die Gesetzgebungsbefugnis nicht mit dem Staat teilen muss. Nach der Verfassungsreform von 2001 unterliegt die gesetzgeberische Tätigkeit des Landes in diesen Bereichen folgenden Schranken: Einhaltung der Verfassung, Einhaltung der EU-Verpflichtungen sowie der internationalen Verpflichtungen.

Wie man sieht wird hier der vorgeblichen Ausschließlichkeit dieser Zuständigkeiten (»in denen das Land die Gesetzgebungsbefugnis nicht mit dem Staat teilen muss«) besonderer Nachdruck verliehen, während gleichzeitig die Verpflichtung unterschlagen wird, sich nationalen Interessen und Grundsätzen unterzuordnen.

Warum aber klärt das Land die Bürger darüber nicht auf, in welchem Umfang es tatsächlich eigene Befugnisse wahrnehmen kann? Aus welchem Grund wird dauernd die perfekte Autonomie beschworen, die sich de facto selbst verwaltet, während in Wirklichkeit nicht einmal die wenigen primären Zuständigkeiten das Papier wert sind, auf dem sie vermerkt sind?

Immer mehr entpuppt sich die Eigenregierung als Farce! Die meisten Zuständigkeiten, die uns als solche verkauft werden, sind gar keine. In vielen Fällen (Schule, Straßen, demnächst vielleicht Rai und Post) beschränkt sich der Einfluss fast ausschließlich auf die finanzielle Ausstattung. Das Land darf zwar munter dafür bezahlen, dass die Schlaglöcher ausgebessert werden, kann die Wartung organisieren und die Straßenarbeiter entlohnen — die normativen Befugnisse hat jedoch im Zweifelsfall auch weiterhin der Staat.

Cëla enghe: 01 02



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Comentârs

2 responses to “Primäre Augenwischerei?”

  1. hansi avatar
    hansi

    Hierbei dürften einige Zahlen interessant sein, die ich kürzlich erst wieder im Internet nachgelesen hab. Da die Zustädnigkeiten des Landes (oder wie du bezeichnenderweise anmerkst, autonomen Provinz Bozen) in Wirklichkeit gar nicht so toll sind, wie sie gern von der Mehrheitspartei verkauft werden, ist dieses historische Abstimmungsergebnis bezeichnend und auch vielsagend. Das Südtirol-Paket musste sowohl im österr. als auch im ital. Parlament genehmigt werden. Hier die Zahlen:

    Italien: 269 Ja, 26 Nein, 88 weiße Stimmzettel (klares Ja)
    Österreich: 83 Ja (ÖVP!) und 79 Nein (73 SPÖ! und 6 FPÖ) (sehr knapp)

    Die Sozialdemokraten und Rechten (alle Ökosozialen Kräfte und die FPÖ, die damals noch marginal vertreten war) in Österreich waren also dezidiert gegen dieses Paket, da es ihnen zu wenig Eigenständigkeit beinhaltete. Hätten sie zu dieser Zeit die Mehrheit im Parlament gehabt, wer weiß wie es heute aussehen würde…Jedenfalls kann man daraus auch einiges ableiten, was uns heute als bestes Modell weltweit präsentiert wird.
    Immer von solchen Leuten, die als Politiker auch den besten Gehaltszettel haben weltweit…

  2. anonym avatar
    anonym

    Ja wunderts euch, daß mittlerweile die Italienier (der Staat) mehr für diese Autonomie sind, als wir? Wenn es nicht zu deren Nutzen wäre, wieso sollte das sonst so sein?
    Und die Macher in der Politik (SVP) und Medien (Athesia) sind natürlich für den unveränderten Fortbestand, für den Status Quo, weil sie am meisten davon profitieren!!!!!

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