Die Realisten hätten sich noch am 8. November 1989 nicht vorstellen können, dass die Berliner Mauer fällt, und schon gar nicht, dass die Sowjetunion impolodiert.
Selbst hochgebildete Menschen, pensionierte Hofräte in Wien oder Abonnenten deutscher Intelligenzblätter verstehen die einfachste Lehre aus der Geschichte nicht: dass alles, was einen Anfang hat, irgendwann ein Ende hat. Dass die eigene Zeitgenossenschaft nicht Höhepunkt und Ende der Geschichte darstellt, sondern dass es danach weitergeht und mit Sicherheit anders wird.
[D]er Nationalstaat garantiert nicht Demokratie, er garantiert nur Nationalismus. Auf die Gegenwart bezogen: Es hat doch keinen Sinn, sich an das Modell Nationale Demokratie zu klammern, wenn die Voraussetzungen dafür nicht mehr gegeben sind. Ich verstehe natürlich, dass die Realisten politisch Wünschenswertes für unrealistisch halten. […] Das ist es, was wir gegenwärtig erleben: eine Realpolitik, die geschichtsblind und phantasielos ist. Und deshalb real gefährlich.
Regionen konnten nie durch nationale Leitkultur oder nationale Vereinheitlichungsversuche gebrochen werden, denken Sie nur an Tirol: da wurde quer durch eine willkürliche nationale Grenze gezogen, aber Tirol ist Tirol. Die EU hat den Vereinheitlichungsanspruch der Nationen nicht. Sie sieht in der Vielfalt ihren Reichtum.
Robert Menasse im FAZ-Interview mit Paul Ingendaay, erschienen am 21. August unter dem Titel Nie wieder Realismus!
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