Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am gestrigen Dienstag entschied, können Kruzifixe an öffentlichen Schulen die Religionsfreiheit und die Erziehungsfreiheit der Eltern verletzen. Insbesondere könne die Anbringung der Kreuze die Freiheit der Kinder “zu glauben oder nicht zu glauben” einschränken, weil sie dadurch einem nicht menschenrechtskonformen Anpassungsdruck ausgesetzt seien. Damit gaben die Richter einer aus Finnland stammenden italienischen Bürgerin recht und sprachen ihr eine Entschädigung von EUR 5.000,- zu. Sie hatte vor dem EGMR geklagt, nachdem sie vor italienischen Gerichten gescheitert war. Dass im Klassenraum ihres Kindes ein Kreuz hing, fand die bekennende Atheistin inakzeptabel.
Die italienische Regierung hat bereits Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt, das jedoch nicht die automatische Entfernung aller Kreuze fordert. Es richtet sich vielmehr gegen zwei nach wie vor gültige verbindliche Anordnungen des faschistischen Unterrichtsministeriums von 1924 und 1928, in allen Klassenräumen Kruzifixe anzubringen.
Verwaltungsgericht, Staatsrat und Verfassungsgericht hatten zuvor argumentiert, das Kreuz sei Ausdruck der italienischen Kultur und daher nicht ausschließlich als religiöses Symbol zu verstehen. Sie lehnten die Klage der Mutter ab. Der EGMR schloss sich dieser Linie jedoch nicht an, da das Kruzifix eindeutig dem Christentum zuzuordnen sei.
Wenn man davon ausgeht, dass sich die westliche Kultur seit der Aufklärung durch eine allmähliche Überwindung des konfessionellen Staates auszeichnet, geht sie jedoch aus dem Urteil — anders als allgemein dargestellt — gestärkt hervor.
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