Die Beendigung des perfekten Zweikammernsystems — das ist ein deklariertes Ziel der von Renzi durchgesetzten Verfassungsreform, weil zu zeitaufwändig und ineffizient. Zahlreiche europäische Demokratien kommen mit einer einzigen Kammer aus. Andere (z.B. Spanien, Frankreich, England) haben ein Oberhaus mit weit geringeren Befugnissen. Warum nicht auch Italien?
Ein Problem für Italiens parlamentarisches System war das Erfordernis des doppelten Vertrauens, weil bisher beide Häuser der Regierung das Vertrauen aus- oder absprechen mussten, aber mit unterschiedlichem Wahlsystem gewählt wurden und deshalb manchmal verschiedene Mehrheitsverhältnisse aufwiesen. Dies wird zu Recht von der jetzigen Reform beendet. Nur mehr die Kammer wird dem Regierungschef das Vertrauen aussprechen. Ein Pseudoproblem ist dagegen die Produktivität des Zweikammernsystems: Italien produziert notorisch viele Gesetze, zu viele und zu unverständliche. Die Dauer des Gesetzgebungsverfahrens ist aber vergleichsweise kurz, sofern der politische Wille vorhanden ist. Die meisten wichtigen Gesetze der letzten Jahre sind in wenigen Wochen durchgepeitscht worden: die Fornero-Reform, der lodo Alfano, der fiscal compact und die Pflicht zum Haushaltsausgleich, der Jobs Act und die buona scuola.
Die Verfassungsreform hat nun sechs verschiedene Gesetzgebungsverfahren eingeführt. Beim “ordentlichen Gesetzgebungsverfahren” kann der Senat nur mehr binnen 30 Tagen seinen Willen zur Mitsprache anmelden, eine Änderung vorschlagen, die dann von der Kammer überstimmt werden kann. Wäre dieses Verfahren in der bisherigen Legislatur angewandt worden, hat die Regierung verlauten lassen, wären nur mehr 3% der Gesetze bikameral verlaufen. Doch wozu braucht man dann einen Senat, der den Steuerzahler 467 Mio. Euro (2016) im Jahr kostet? Der Senat kann künftig auch dann überstimmt werden, wenn die Regierung über das Parlament das Suprematieprinzip anwendet. Weil dann direkt in primäre Regionenzuständigkeiten eingegriffen wird, muss der Senat mitreden, kann aber von der absoluten Mehrheit der Kammer überstimmt werden. Somit wird klar: Der Senat wird zu einer schwachen Vertretung geschwächter Regionen und Bürgermeister, der nicht mehr direkt gewählt wird und über weniger demokratische Legitimation verfügt.
Von Vereinfachung der Gesetzgebungsverfahren kann man auch nicht sprechen, denn zum einen wird es künftig mindestens sechs verschiedene Gesetzgebungsverfahren geben, zum anderen bleiben 22 Sachbereiche “bikameral” (Art. 70 Verf.). Damit entstehen neue Unklarheiten, wann welcher Bereich welchem Verfahren zuzuordnen ist, und neue Konflikte zwischen den Kammern. Paradoxerweise wird der Senat bei manchen Fragen, die direkt die Regionen betreffen, kein Vetorecht haben, ist also keinesfalls mit dem deutschen Bundesrat zu vergleichen. Neue Aufgaben kommen dem Senat in der Umsetzung des EU-Rechts zu sowie auch die “Evaluierung der EU-Politik”. Doch ist dies nicht eine Stammaufgabe eines jeden schwer bezahlten Parlamentariers und seines Stabs, die Sachlage zu evaluieren? Wegen seiner Zusammensetzung, dem Teilzeit-Einsatz der künftigen Senatoren und seinen geschwächten Stimmrechten wird der Senat keine echte Kontrollfunktion mehr ausüben können. Eine echte, direkt gewählte Kammer der Regionen sähe anders aus. Mit einer Halbierung der Sitze beider Kammern und der linearen Kürzung aller Gehälter hätte man auch weit mehr an Politikkosten gespart. Näheres zur Verfassungsreform in der Broschüre von Dezini/Peterlini/Benedikter.
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