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Das SVP-Vademecum zur Verfassungsreform.
Verfassungsreferendum 8/10

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Gegendarstellung zum Vademecum der SVP zum Verfassungsreferendum vom 4. Dezember (Abschnitt “Abschließende Bewertung”.

von Thomas Benedikter, Oskar Peterlini, Thomas Vaglietti

Im Zuge der Debatte um die Verfassungsreform hat die SVP ein Dokument herausgegeben, das auf zwölf Seiten die Reform erläutert und dazu abschließend Stellung bezieht. Das Dokument bestreitet nicht, dass diese Reform eine Reihe von Schwachpunkten und Ungereimtheiten enthält und insbesondere Titel V der Verfassung stark zentralistisch ausgerichtet ist. Wenn sich Wahlberechtigte der Normalregionen dagegen wehren, sei dies “nachvollziehbar”. Bei den Wahlberechtigten der Regionen mit Sonderstatut sei dies anders. Die Begründung dafür lässt allerdings schwerwiegende Zweifel offen. Unser “Bürgerkomitee fürs NEIN” betrachtet die Schlussfolgerungen dieses Vademecums als nicht haltbar, weshalb wir hier auf diese zehn Punkte kurz eingehen.

  1. “Neuer Titel V bezieht sich nicht auf Sonderautonomien.”

Die Sonderautonomien müssen sich aber an diese Verfassungsbestimmungen in nächster Zeit im Zuge einer Revision ihrer Statuten anpassen. Im Verfassungstext heißt es zwar “revidieren”, aber der Verfassungsgeber geht damit klar davon aus, dass eine Anpassung zu erfolgen hat. Sie werden nicht auf Dauer von der Wirkung und Geltung des Titel V der Verfassung ausgeklammert. Es gibt nicht auf Dauer zwei Verfassungen, eine für die Normalregionen und eine für die Sonderregionen. Dafür wird auf jeden Fall der Verfassungsgerichtshof (VfGH) sorgen.

  1. “Mit der vorliegenden Reform werden die Sonderautonomien sogar gestärkt.

Wo bitte genau? Es gibt bloß eine temporäre Übergangsklausel, optimistisch “Schutzklausel” genannt, die diese Regionen zur Revision der Statuten treibt. Sonst wendet der VfGH die aus der Reform abzuleitenden Prinzipien an und Regionalautonomie wird allgemein eingeschränkt. Nach 2001 erfolgte es so, obwohl es eine eher föderale Reform war. Die neuen Prinzipien hingegen geben dem VfGH alle Instrumente zur Einschränkung in die Hand. Auch verschwinden alle Zuständigkeiten, die Südtirol dank der Besserstellungsklausel von 2001 erhalten hat (ca. zwanzig wichtige Bereiche von der Energie, den strategischen Infrastrukturen, dem Außenhandel, der Universität, bis zu den Zusatzrenten). Die Möglichkeit, neue Zuständigkeiten über das enge Korsett des Art. 116, Abs. 3, zu erhalten, hängt von einem erschwerten Staatsgesetz mit hohen Mehrheiten ab, das beim derzeitigen Neid in weiter Ferne liegt. Außerdem wurde dieser Absatz durch das Wegfallen der konkurrierenden Zuständigkeiten so eingegrenzt, dass für Südtirol kaum wesentliche Zusatzbefugnisse herausschauen. Die Sonderregionen werden auch explizit dem Art. 120 Verfassung (Ersatzvornahme des Staates) unterworfen, was bisher zwar so ausgelegt wurde, aber mit der Reform 2016 erstmals in Verfassungsrang gehoben wird. Die alte Verfassung gilt insofern nicht mehr, als neue Zuständigkeiten schon wieder zurückgenommen oder vom VfGH relativiert worden sind.

  1. “Erstmals seit 1948 ist das Einvernehmen, also ein Vetorecht der Autonomen Regionen, bei dieser Revision verankert.”

Eine glatte Falschbehauptung, denn genau dies ist in der vorliegenden Reform nicht vorgesehen. Es gibt kein Vetorecht wie etwa im Verfassungsreformentwurf der Regierung Berlusconi 2005. Wenn kein Einvernehmen erzielt werden kann, entscheidet das Parlament über unser Autonomiestatut. Das gibt sogar Unterstaatssekretär Bressa zu, der sich darum bemühen will, dass am Ende das Parlament nur mit qualifizierter Mehrheit entscheiden kann. Dafür bräuchte es ein neues Verfassungsgesetz, sonst erfolgt die Parlamentsentscheidung mit absoluter Mehrheit.

  1. “Aufgrund des Einvernehmens wird es möglich sein, das Ergebnis des Autonomiekonvents im Parlament einzubringen und zu diskutieren, ohne Risiko, dass das Parlament einseitige Abänderung vornimmt.

Bisher wurden seitens der Parlamentarier zwar Änderungen vorgelegt, aber auf deren Behandlung wurde nicht gedrängt, weil die Gefahr einer einseitigen Abänderung durch das Parlament bestand. Die derzeitige so genannte “Schutzklausel” bietet aber genau diesbezüglich keinen Schutz. Bei der Behandlung des Verfassungsgesetzes zur Änderung des Autonomiestatutes können Änderungen im Parlament nicht verhindert werden, solange man nicht ein Vetorecht (wie 2005 mit Berlusconi und 2006 mit Prodi) vorsieht. Die Möglichkeit, Entwürfe vorzuschlagen, war auch bisher gegeben (Vorschläge des Landtags, Initiative des Regionalrats), insofern diese überhaupt vom Regionalrat übernommen und im Parlament eingebracht werden. Diese Möglichkeit wird auch von Südtiroler und Trentiner Parlamentariern mit Verfassungsgesetzentwürfen (Nr. 32/2013 Zeller/Berger, Nr. 56/2013 Alfreider et. al., Nr. 2220/2016 Palermo/Zeller et al.) in Anspruch genommen, aber eine Behandlung erfolgte bisher noch nicht.

  1. “Die völkerrechtlichen Garantien bleiben aufrecht, zusätzlich wird eine innerstaatliche Sicherung eingebaut.”

Durch die Verfassungsreform ändert sich nichts am Völkerrecht, aber auch nicht durch die Ablehnung dieser misslungenen Reform. Eine innerstaatliche Sicherung besteht nur temporär, dann müssen sich die autonomen Regionen auch an die neue Verfassung anpassen. Das permanente Vetorecht (Pflicht zum Einvernehmen, Recht auf Ablehnung durch den Landtag) ist eben nicht verankert worden. Das Völkerrecht ist der letzte Anker. Denken wir daran, dass es von 1946 bis zur Streitbeilegung vor der UNO 1992 fast ein halbes Jahrhundert gedauert hat, bis der Pariser Vertrag einigermaßen zufriedenstellend erfüllt wurde. Eine starke innerstaatliche Schutzklausel würde sofort wirken, aber genau das fehlt in der derzeitigen schwammigen Formulierung.

  1. “Mit der Anwendung des Art. 116, Abs. 3, wird ein erleichtertes Verfahren für die Übertragung von wichtigen Kompetenzen wie jene für den Umweltschutz geschaffen.”

Falsch. Es werden nur sehr wenige übertragbare Kompetenzen aufgelistet, die Südtirol zum Großteil schon hat. Diese Kompetenzen können nur vom Staat mit erschwerter Mehrheit im Parlament übertragen werden, bei der politischen Großwetterlage gegenüber den Sonderstatutsregionen fast unmöglich. Dabei werden sie damit aber nicht im Autonomiestatut permanent verankert. Es gibt keine Bestimmung, die explizit den Regionen mit Sonderstatut das Recht auf freie Weiterentwicklung ihrer Autonomie einräumt.

  1. “Die beiden autonomen Provinzen sind mit jeweils zwei Senatoren proportional stärker als bisher vertreten.”

Dies ist ein Privileg, das wegen des Prinzips der Gleichheit der Stimmen und damit der proportionalen Vertretung der Regionen im Senat vor dem VfGH angefochten werden kann. Die Polemik ist schon entbrannt und hat den Neid gegenüber den autonomen Regionen noch mehr geschürt. Dabei hat man den Eindruck, dass es mehr um die Posten als um den Schutz Südtirols ging. Gleich ob ein oder zwei Senatoren: Ihre bloße Zahl kann die zahlreichen Nachteile in der Konstruktion des neuen Senats nicht wettmachen. Aufgrund seiner Zusammensetzung wird der Senat den Autonomen Regionen eher feindlich gegenüberstehen und als Vertretung geschwächter Regionen keinen wesentlichen Erweiterungen der Sonderautonomien zustimmen. Doch gerade dafür braucht es die Mehrheit des Senats, weil er auch für Verfassungsgesetze (einschl. Autonomiestatuten) zuständig ist. Der Gesamtkontext wird zentralistischer, damit auch der Senat. Die voraussichtlich acht Senatoren der Sonderstatutsregionen können nicht dagegen halten.

  1. “Es ist angesichts der negativen Grundstimmung im Parlament gegen die Sonderregionen bei einer Ablehnung der Reform absehbar, dass bei der nächsten Verfassungsreform die Abschaffung der Sonderregionen thematisiert wird.”

Dies kann für Südtirol ohnehin nicht greifen, denn wozu haben wir dann die völkerrechtliche Absicherung? Für Südtirol (und das Trentino) wäre dies Anlass für die Anrufung des IGH und neuen internationalen Streit zwischen Österreich und Italien. Die reale Gefahr ergibt sich aus der schleichenden Aushöhlung der Autonomie durch einen zentralistischen Staat, dessen Instrumente mit der Suprematieklausel geschärft werden. Bei einer scheibchenweisen Aushöhlung hingegen kräht kein Hahn auf internationaler Ebene. Im Übrigen ist es eine Aufgabe der Südtiroler Politik, sich gegenüber Rom mit dem demokratischen Rückhalt der Südtiroler Bevölkerung nach Kräften für die optimale Lösung bei der Autonomie und für einen weiteren Ausbau einzusetzen, anstatt Schreckgespenster an die Wand zu malen.

  1. “Die parlamentarische Vertretung der Sonderautonomien ist bei der nächsten Reform fraglich”.

Woher wollen die Verfasser des Vademecums das wissen? Das Klima ist auch deshalb vergiftet, weil die Kluft zwischen Sonderregionen und Normalregionen immer größer wird und wir als Privilegierte dastehen, auch wenn es nicht der Fall ist. Wenn die Reform fällt, dann gerade aus berechtigten Gründen: Ablehnung des Zentralismus, Ablehnung der Suprematie des Staates, Ablehnung des damit indirekt verquickten Wahlgesetzes Italicum, das kombiniert mit der Verfassungsreform die Macht in Rom in wenigen Händen konzentriert, Widerstand gegen diesen neuen Senat mit unzureichender Senkung der Politikkosten und Rückbau demokratischer Kontrollrechte. Genau die Ablehnung der Reform schafft Freiraum und Verhandlungsspielraum für mehr Regionenrechte und Autonomie.

  1. “Wer mit NEIN stimmt, spricht sich nicht nur für die Beibehaltung der derzeitigen Verfassung aus, sondern auch gegen die Schutzklausel.”

Eine völlig aus der Luft gegriffene Behauptung und eine glatte Unterstellung. Wer mit NEIN stimmt, spricht sich für eine andere und bessere Verfassungsreform aus und überträgt diese Aufgabe dem Parlament, vor allem einem dazu vom Wähler legitimierten Parlament. Das NEIN richtet sich nicht gegen die Schutzklausel, die das Mindestmaß an Absicherung darstellt, sondern bringt zum Ausdruck: Das ist zu schwach und viel zu wenig. Es hängt ganz von der demokratischen Mobilisierung der Bevölkerung in den Regionen ab, wieviel an Regionalismus erhalten oder dazugewonnen werden kann.

Wer mit NEIN stimmt, stimmt gegen eine Übergangsklausel, die schlechter ist als jene Schutzklausel, die sogar mit der Berlusconi-Regierung ausgehandelt wurde, gegen eine Übergangsbestimmung, die keine Sicherheit bietet, dem Landtag kein Vetorecht gegen einseitige Änderungen des Autonomiestatutes einräumt, unsere Autonomie der Willkür des Parlamentes aussetzt. Derentwegen kann man unmöglich in Kauf nehmen, für die Zentralisierung des Staates zu stimmen. Mit dieser Haltung begeht die SVP einen sehr schwerwiegenden Fehler. Man stelle sich vor, Italien stimmt gegen die Reform, so wie es derzeit laut Umfragen aussieht, und Südtirol stimmt für die Zentralisierung des Staates. Ein historischer Fehler für ein autonomes Land und seine ethnischen Minderheiten.

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