Nichts gegen den Bozner Bürgermeister, ein fähiger Verwalter, der seine Aufgaben in Bozen gut bewältigen wird. Doch warum sollte Caramaschi über italienische Verfassungsgesetze abstimmen? In spätestens zweieinhalb Jahren, also nach Ablauf der jetzigen Parlamentslegislatur, wird es so kommen, wenn im November Renzis Verfassungsreform vom Volk bestätigt wird. Dann wird der Bozner Bürgermeister – nur sehr theoretisch könnte es auch jener von Leifers oder Pfatten sein – einer von 21 Bürgermeistern sein, die zusammen mit 74 Vertretern der Regionalräte den neuen Senat bilden. Laut Art. 57, Abs.6, Verf., wird die Wahl der Senatoren noch mit einem eigenen Gesetz geregelt. Auf jeden Fall werden “die Sitze in Entsprechung zu den abgegebenen Stimmen und der Zusammensetzung jedes Regionalrats zugeteilt.” Im Klartext: für Südtirol nominiert die Landtagsmehrheit einen Landtagsabgeordneten und einen Bürgermeister zu Senatoren.
Schon aus praktischen Gründen ist diese Lösung der Renzi-Verfassungsreform untauglich. Sowohl die Aufgaben eines Landtagsabgeordneten als auch noch mehr jene des Bürgermeisters einer großen Stadt sind Vollzeitaufgaben. Das gilt für Bozen, aber noch weit mehr für Mailand, Rom, Neapel. Wann wird sich Caramaschi um die immer noch stattliche Agenda des römischen Senats kümmern? Die künftigen Senatoren werden zu einer Art “Wochenendsenatoren” mit viel politischer Tele-Arbeit, aber ist das der Sinn einer zweiten Kammer des Parlaments? Kann der Senat in dieser Besetzung eine angemessene Anregungs- und Kontrollfunktion ausüben?
Zum zweiten stellt sich die Frage der demokratischen Legitimation. Der neue Bozner Bürgermeister hat im Mai 2016 mit 55,72% die Stichwahl gewonnen bei einer Wahlbeteiligung von 41,22%. 18.158 Wähler haben seinen Namen angekreuzt, womit er nach Wahlrecht zum Bürgermeister wurde. Nun kann er aber auch über die Verfassung eines Landes mit 60 Millionen Einwohnern mitbestimmen. Caramaschi ist von den Boznern mit der Verwaltung von Bozen beauftragt worden, womit er genug zu tun haben dürfte, wird aber nicht von den Südtirolern zum Senator gewählt. Beim künftigen Landtagsabgeordneten-Senator ist es nicht anders: er ist von der Wählerschaft zur Gesetzgebung im Land legitimiert, nicht für den Senat. Allein die Kandidaturen für den Senat könnten überall ganz anders aussehen.
Die Regierungsmehrheit hat mit einer Klausel in die Verfassung eingefügt, dass “die Senatoren in Übereinstimmung mit den Präferenzen der Wähler bei der Regionalratswahl bestimmt werden müssen” (Art. 57,7, Verf.). Das geht gar nicht und widerspricht derselben Verfassungsreform, die die Wahl der Senatoren in die Hände der Regionalräte legt. Zudem werden die Senatoren während der Legislaturperiode wegen ungleichzeitiger Regionalrats- und Gemeindewahlen ständig ausgetauscht. Auch durch dieses Kommen und Gehen wird der Senat geschwächt. Eine Direktwahl der Senatoren bei Halbierung der Sitze beider Kammern wäre die bessere und sparsamere Lösung gewesen.
Schließlich ist der Senat in seiner neuen Zusammensetzung auch nicht repräsentativ für die Wählerschaft insgesamt. Weil er immer von den Regionalratsmehrheiten bestimmt wird, wird er unter parteipolitischen Aspekt immer nur die Mehrheitsverhältnisse in den jeweiligen Regionalräten und Landtagen abbilden. Auch wenn die Opposition in all diesen Räten und 21 Städten 49% der Stimmen erreicht, wird sie im Senat nur eine marginale Rolle spielen. In Südtirol hat die Landtagsmehrheit derzeit knapp 52% der Wähler hinter sich, wird aber beide Senatoren stellen, die Opposition keinen. Und was haben in einem demokratisch gewählten Parlament fünf honorige, aber nicht gewählte Persönlichkeiten zu suchen, die vom Präsidenten nominiert werden? Nichts gegen Renzo Piano usw., doch ist dies ein Relikt der elitären Honoratioren-Parlamente des 19. Jahrhunderts. Eine Regionenkammer in einem modernen Regionalstaat müsste wesentlich repräsentativer zusammengesetzt sein und eine demokratisch legitimierte Vertretung regionaler Interessen bei gleichzeitiger Stärkung der Regionen erhalten.
Thomas Benedikter ist Ko-Sprecher des Bürgerkomitees fürs NEIN beim Verfassungsreferendum 2016.
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