Am Freitag (8. Juli 2016) fand in der Eurac die letzte Konventssitzung vor der Sommerpause statt. Thema war der Minderheitenschutz, ein recht brisantes Thema, von dem ich mir einige kontroverse Dikussionen erwartete. Riccardo Dello Sbarba (Grüne) riss sogleich das Wort an sich und forderte in einem 4-Punkte-Programm die Aufweichung der Schutzbestimmungen. Er betonte, dass sich die gesellschaftliche Situation seit 1972 geändert habe, die Gesellschaft sei mobiler, das Machverhältnis Staat-Region-Land habe sich geändert, der Minderheitenschutz habe nicht mehr vorrangigen Charakter, sondern der Mensch müsse die Freiheit der Entscheidung (»libertà di scelta«) haben. Aus diesem Grund forderte Dello Sbarba, dass die Bürger sich frei entscheiden können sollten, welche Schule sie besuchen, beispielsweise auch eine mehrsprachige Schule. Weiters sollten die Südtiroler Jugendlichen nicht mit 18 Jahren dazu verpflichtet werden, die Sprachgruppenerklärung abzugeben. Da dies viele vergäßen, würden sie für 18 Monate gesperrt, sodass häufig eine öffentliche Stelle nicht angetreten werden könne. Die Ansässigkeitspflicht für vier Jahre sollte reduziert sowie der Proporz und der Zweisprachigkeitsnachweis hinterfragt werden.
Luis Durnwalder (SVP) konterte sofort und verwies darauf, dass der Minderheitenschutz die Grundlage unsere Autonomie sei und ein Erfolgsmodell darstelle. Neue Lösungen sollten aber nicht in das Statut hineingeschrieben werden, sondern pragmatisch im Rahmen der Regierungstätigkeit ermöglicht werden. Neue Schulformen könnten ja zum Beispiel schon heute praktiziert werden ohne in das Statut einzugreifen. Ganz klar wandte sich Durnwalder gegen eine Aufweichung der Schutzbestimmungen.
Roberto Bizzo (PD) argumentierte ähnlich wie Dello Sbarba, immer wieder wurde auch der Ärztemangel angeprangert, welcher durch eine Aufweichung des Proporzes bzw. der Zweisprachigkeitsvorschriften behoben werden sollte. Für mich völlig unverständlich, denn erstens ist der Ärztemangel ein europaweites Phänomen und zweitens kann man — wie auch Durnwalder betonte — von Akademikern sehr wohl verlangen, dass sie entweder Deutsch oder Italienisch lernen. Auffallend war die Diskrepanz zwischen deutscher und italienischer Seite, was die Ausrichtung der Schulen betrifft. Während die italienischen Vertreter die mehrsprachige Schule forderten, wurde dies von deutscher Seite fast ausnahmslos abgelehnt. Experimente wie CLIL sollten hinterfragt werden, für mich sind auch die aktuellen Ergebnisse des Invalsi-Tests an den italienischen Schulen ein Grund, vieles zu hinterfragen. Dies waren auch vor allem meine Kritikpunkte, ich forderte dazu auf, die ständigen Experimente an den Schulen zu unterlassen und endlich einmal die aktuelle Sprachsituation im Lande und in den Schulen systematisch und professionell zu erheben. Zudem erscheint mir die Fixierung auf den Sprachunterricht in den Schulen völlig überzogen, von Mathematik und Naturwissenschaften als viel wichtigere Kompetenzen für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes (das Lieblingsthema Bizzos) wird niemals gesprochen.
Wolfgang Niederhofer argumentierte sehr geschickt und widersprach vor allem auch Dello Sbarba, den er vor einem »autonomiepolitischen Neoliberalismus« warnte; Dello Sbarba nahm diese Kritik ernst und versprach, darüber nachzudenken.
Die Sitzung verlief aus Sicht der meisten Teilnehmenden zum wiederholten Mal sehr konstruktiv und war in vielen Punkten durch Konsens geprägt. Vor allem bemerkenswert war für mich die Aussage Dello Sbarbas zum Minderheitenschutz: »Non nego il successo di questo strumento«. Erstaunlich, wie sich doch die Meinungen im Laufe der Zeit ändern können. Der Mensch ist lernfähig, ein hoffnungsvolles Zeichen!
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