Gestern wurden wir — im Zusammenhang mit unserer Kritik am SZ-Interview mit dem Landeshauptmann — zum wiederholten Mal um eine Einschätzung (und Selbstwahrnehmung) gebeten, wie viele »linke SelbstbestimmungsbefürworterInnen« es denn in Südtirol gibt. Via Twitter haben wir darauf geantwortet, dass wir nur ungerne schätzen — und dass hierzulande grundsätzlich zu oft geschätzt und »selbst wahrgenommen« wird. Bestes Beispiel: Die Sprachkenntnisse. Immer wieder geht die Rede von schrumpfenden Zweitsprachkenntnissen, obwohl bislang alle verfügbaren Daten das genaue Gegenteil belegen.
Wollten wir also »schätzen«, wie viele »linke SelbstbestimmungsbefürworterInnen« (Befürworterinnen einer Abstimmung über die Eigenstaatlichkeit) es in Südtirol gibt, könnten wir uns gleich auf 100.000 festlegen. Einfach so. Why not? Die anderen tun es doch auch.
Seriös (und zugegebenermaßen sehr interessant) aber wäre eigentlich nur eine repräsentative Umfrage, die allerdings mehrere tausend Euro kosten würde. Kommt für ein ehrenamtliches Projekt wie unseres nicht in Frage… und wem sonst in Südtirol an dieser Erkenntnis so viel gelegen sein könnte, dass sie/er eine solche Erhebung finanzieren würde, ist fraglich. Mal davon abgesehen, dass es sich dabei nur um eine Momentaufnahme handeln würde.
Konkrete Anhaltspunkte gibt es meines Wissens hingegen wenige. Ebenfalls via Twitter hatten wir geschrieben, dass sich (im Jahr 2013) immerhin 13% der Grünenwählerinnen als Unabhängigkeitsbefürworterinnen geoutet hatten. Ein mehr als halb so hoher Anteil, wie — laut derselben Erhebung — in der Gesamtbevölkerung (22%). Nicht schlecht für die Wählerschaft einer Partei, die offiziell wenig bis gar nichts mit der Unabhängigkeit anfangen kann. Wobei die Fragestellung der Erhebung (unserer Meinung nach) auch noch ziemlich suggestiv war und nicht gerade dazu einlud, sich für die Eigenstaatlichkeit auszusprechen.
Wie schwierig es jedoch ist, aus solchen Daten die Zahl der »linken SelbstbestimmungsbefürworterInnen« zu extrapolieren oder auch nur eine einigermaßen glaubwürdige Schätzung vorzunehmen, wird schnell klar, wenn man sich vor Augen hält, dass:
- die Grünen noch lange nicht alle Linken in Südtirol repräsentieren;
- zwar anzunehmen ist, dass jede Unabhängigkeitsbefürworterin die Selbstbestimmung (Prozess) unterstützt, aber nicht umgekehrt;
- das Thema Selbstbestimmung ein so grundsätzliches ist, dass selbst »Linke« sich dazu veranlasst sehen könnten, eine zumindest »nichtlinke« (wenn nicht gar »rechte«) Partei zu wählen, wenn es — wie in Südtirol — links der Mitte kein Angebot für Unabhängigkeitsbefürworterinnen gibt.
Außerdem sind je nach Fragestellung auch die Schwankungen enorm. So wurde beispielsweise vom Sozialforschungsinstitut Apollis zwischen 2008 und 2011 erhoben, dass 47% der Südtirolerinnen (aller Sprachgruppen und jeder Parteizugehörigkeit) sofort für die Unabhängigkeit wären. Das hieße wohl (vergleiche obigen Punkt Nr. 2), dass eine deutliche Mehrheit der Gesamtbevölkerung für eine Abstimmung wäre. Und da können wiederum Linke — hoffentlich — nichts dagegen haben.
So gesehen: Wir können nicht sagen, wie viele »linke SelbstbestimmungsbefürworterInnen« es in Südtirol gibt. Aber wir können zumindest sicher sein, dass es sie gibt und dass es gar nicht so wenige sind. Die »vereinigte Linke« (Izquierda Unida) in Spanien sagt, eine Selbstbestimmungsgegnerschaft (nicht: Unabhängigkeitsgegnerschaft) von links wäre »unvorstellbar«. Sehen wir ähnlich.
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