Am kommenden 23. Juni wird im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland ein Referendum über den Verbleib in der Europäischen Union stattfinden. Die EU ist zwar kein Staat, aber sie hat im Laufe der Jahre zahlreiche kennzeichnende Züge eines Staates (bzw. einer Konföderation) angenommen.
Seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gibt es mit Artikel 50 des EU-Vertrags erstmals eine Rechtsgrundlage für den Austritt — und somit klare Scheidungsregeln, wie wir sie auch für die Loslösung einer Region von einem Staat im Rahmen der EU fordern:
(1) Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten.
(2) Ein Mitgliedstaat, der auszutreten beschließt, teilt dem Europäischen Rat seine Absicht mit. Auf der Grundlage der Leitlinien des Europäischen Rates handelt die Union mit diesem Staat ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts aus und schließt das Abkommen, wobei der Rahmen für die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Union berücksichtigt wird. Das Abkommen wird nach Artikel 218 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgehandelt. Es wird vom Rat im Namen der Union geschlossen; der Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments.
(3) Die Verträge finden auf den betroffenen Staat ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder andernfalls zwei Jahre nach der in Absatz 2 genannten Mitteilung keine Anwendung mehr, es sei denn, der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat einstimmig, diese Frist zu verlängern.
(4) Für die Zwecke der Absätze 2 und 3 nimmt das Mitglied des Europäischen Rates und des Rates, das den austretenden Mitgliedstaat vertritt, weder an den diesen Mitgliedstaat betreffenden Beratungen noch an der entsprechenden Beschlussfassung des Europäischen Rates oder des Rates teil.
Die qualifizierte Mehrheit bestimmt sich nach Artikel 238 Absatz 3 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
(5) Ein Staat, der aus der Union ausgetreten ist und erneut Mitglied werden möchte, muss dies nach dem Verfahren des Artikels 49 beantragen.
Der EU-Vertrag sieht für eine etwaige Abstimmung über den EU-Austritt keine qualifizierte Mehrheit vor. Und wie schon beim Referendum über die Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich hat auch Westminster für den Brexit keine besonderen Mehrheitsklauseln vorgeschrieben. Eine einfache Mehrheit von 50%+1 der Abstimmenden reicht, um die »Sezession« zu vollziehen.
Klar ist auch, dass die Abstimmung nicht in allen Mitgliedsstaaten der EU stattfinden wird, sondern nur im Abspaltungswilligen Land — in diesem Fall das Vereinigte Königreich.
Keine Klarheit herrscht indes — weil diesbezügliche Scheidungsregeln fehlen — über die Bedingungen eines allfälligen EU-Verbleibs oder -Wiedereintritts von Schottland, dessen Bevölkerung laut derzeitigen Erkenntnissen einen Austritt aus der Union großmehrheitlich ablehnt.
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